Mein Leben – eine Fallpauschale

Glosse zum Thema Gesundheit

von  uwesch

Eine mir unbekannte Welt öffnete ihre Pforten. In dem Moment als ich hinfiel wurde ich zur Fallpauschale. Ein unvergessliches Erlebnis mit einem Gott in Weiß. Ein monetärer Einzelfall. Das war es, was mir der Unterarzt gestern eröffnete. An diesem mir bisher fremden Ort, einem Krankenhaus. Ein Albtraum!

Ich ging davon aus, dass die Operation - meine erste überhaupt - nach medizinischen Standards ausgeführt wird. Doch der Oberarzt der Chirurgischen Abteilung starrte mich heute sehr ernst an:

„Ihre Lage ist schwierig. Eine gute Operation kostet viel Geld, das ihre Kasse nicht zahlen will. Die Klinik bekommt für die Standardoperation in Ihrem Fall nur eine Pauschale, die unsere Kosten nicht deckt. Überlegen Sie es sich, ob wir nicht nachhaltig handeln sollten. Sonst besteht die Gefahr, dass Sie noch einmal ans Messer müssen.“

Er hielt mir ein aufblitzendes Skalpell vor die Nase.

„Zahlen Sie lieber 2400 € zu und dann können sie schon morgen operiert werden.“
Ich hatte bisher geglaubt, dass Gesundheit ein menschliches Grundrecht sei. Mein Gehirn lief Amok. Nachdem etwas Beruhigung einkehrte, habe ich meine Bank angerufen und gefragt, wieweit ich mein Konto noch überziehen könnte. Nach einem Ja über den vom Krankenhaus geforderten Betrag habe ich mich für die sofortige Operation entschieden. Somit konnte ich die für meine Behandlung geltende Fallpauschale in die Tonne fallen lassen.
Drei Tage musste ich nach der OP durch Maschinen in der Intensivstation beatmet werden, was die Klinik viel Geld kostete, aber ihr sehr viel mehr einbrachte, wegen der Auslastung der Geräte!
Später erfuhr ich von meinem Hausarzt, dass ich überoperiert wurde. Einfacher hätte völlig gereicht.

Ein Vierteljahr später musste ich wieder ins Krankenhaus – diesmal mit dem Notarztwagen gleich in die Herzchirurgie. Die Nachwehen des Klinikstresses hatten Folgen. Mir erklärte der Chefarzt, dass es seit einigen Jahren bei Erkrankungen an der Herzklappe eine Alternative zur herkömmlichen Operation gibt. Die Transkatheter- Aortenklappenimplantation - wow, was für ein Begriffsmonster, aber nicht nur Latein, auch ein bisschen Deutsch, sodass ich mir das vorstellen konnte. Die Kasse würde das bezahlen, meinte er noch.
Alles lief gut ab.

Ein Jahr später las ich in der Presse, dass die privat betriebene Klinik eine der medizinisch schlechtesten in der Region ist, aber gute Gewinne einfährt. Ärzte wurden deshalb genötigt Behandlungen vorzunehmen, die medizinisch nicht notwendig oder sogar gesundheitsgefährdend sind.
Der Erfolg der modernen Herzklappenoperation galt als sehr umstritten und wurde normalerweise nur nach eingehender Beratung durch den Herzspezialisten bei Risikopatienten und Älteren über 75 Jahren der Standardoperation vorgezogen. Dabei war ich erst 61 Jahre alt.
Meine Beschwerden kamen wieder, meine Orientierung ging endgültig verloren, wie bei einer Nachtwanderung im völligen Dunkel. Mein Vertrauen war dahin, mein Erspartes weg.
So wurde ich erneut zu einer Fallpauschale. Doch dieses Mal habe ich mich vorher über Kliniken informiert, eine Kreisklinik gefunden, die Defizite macht und die Zeit anders wahrnimmt. Ärzte, die sich so benehmen als wären sie Zeugen von etwas ganz Großem – meiner Heilung.

Jetzt geht es mir den Umständen entsprechend gut. Die Kreisklinik ist inzwischen an einen privaten Investor verkauft worden. Die neue Klinikleitung optimiert das Fallpauschalensystem des Hauses mit einer sogenannten Grouper-Software. Was das wohl bedeutet? In welche Group werde ich beim nächsten Mal eingeordnet. Vielleicht oder? Da kann noch teuer operiert werden. Aber wie soll ich reich werden – bei meiner schmalen Rente. Bleibt mir nichts anderes übrig als gesund zu bleiben, eine Bank zu überfallen oder mich umzubringen. Auf jeden Fall werde ich mir einen Revolver kaufen. So oder so.

 

 

 



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Kommentare zu diesem Text


 Gabyi (27.05.23, 08:45)
Hoffe mal, dass du kerngesund bist und diese Geschichte nur eine frei erfundene Fiktion. ich habe seit meiner frühesten Jugend mit diesem Medizinsystem abgeschlossen, weil ich es schon damals durchschaut habe. Ich meide Ärzte und kuriere meine Krankheiten selber aus. Noch lebe ich und ich habe auch keine Angst, zu sterben ;)
Guter Text!
LG, Gabyi
Teolein (70) meinte dazu am 27.05.23 um 09:14:
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 uwesch antwortete darauf am 27.05.23 um 10:07:
Gabyi:
Die Geschichte ist erfunden aber sicher wirklichkeitsnah. Ganz ohne Ärzte wird sich allerdings nicht jedes Leiden erledigen lassen, z.B. bei einer Blinddarmentzündung sollte schon operiert werden.
Dank Dir für Kommi und Empfehlung.  LG Uwe

Teolein: Köstlich Dein Kommi. Dank auch für Deine Empfehlungen :) LG Uwe

Antwort geändert am 27.05.2023 um 10:42 Uhr

 Rosalinde (27.05.23, 09:00)
Hallo Uwesch,

eine Fallpauschalenrealität. Übrigens dank unserem Herrn Gesundheitsminister. Ein bisschen übertrieben, dass der Arzt dir mit einem Skalpell vor der Nase rumfuchtelt, da hättest du wohl besser geschrieben, du hattest den Eindruck. Gut, aber nur nebenbei gesagt.

Über so ein Erlebnis kommt man nur mit Sarkasmus hinweg. Der ist von Anfang bis Ende gut durchgehalten. Kritik, wo es nötig ist, nämlich beim Geldeintreiben durch Operationen und bei Privatisierung von kommunalen Krankenhäusern - das bundesdeutsche Unwesen im Gesundheitswesen. 

Die Geschichte wird gerafft erzählt, der Erzählstrom reiht Geschehnis nach Geschehnis logisch aneinander, liest sich gut.
Und ist vor allem glaubwürdig.

Sprachlich fand ich nichts zu meckern, außer im zweiten Satz:
"In dem Moment, wo ich hinfiel ... müsste es heißen: "als ich hinfiel". Der Moment ist ja kein Ort, sondern ein Zeitbegriff.
Und Albtraum wird neuerdings mit b geschrieben. 
Die Anrede Sie groß schreiben: ... "dass sie noch einmal ans Messer müssen".
"Ein Vierteljahr" besser so.
"... denn ich wusste, "Klappehalten war angesagt.
"Ärzte, die sich so benehmen, als wären sie Zeugen ..."
Ein bisschen unklar: "Vielleicht oder?" Würde ich streichen.
"Bleibt mir nichts anderes übrig, als gesund zu bleiben."
Das letzte "So oder so" besser nach einem Punkt.

Ich hoffe, du kannst was mit den Korrekturvorschlägen anfangen.

Rosalinde

Kommentar geändert am 27.05.2023 um 09:01 Uhr

 uwesch schrieb daraufhin am 27.05.23 um 10:19:
Dank Dir für die formalen Hinweise zur Verbesserung des Textes. Ich habe sie weitgehend aufgegriffen und dran gearbeitet.
LG Uwe
Teolein (70)
(27.05.23, 09:08)
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 Verlo äußerte darauf am 27.05.23 um 09:30:
Teolein:

Meine Krankenhausaufenthalte nehmen aufgrund einer Herzerkrankung zu.
Gut, daß du das mitteilst, Teolein.

 uwesch ergänzte dazu am 27.05.23 um 10:25:
Teolein: Natürlich sind solche Dinge nicht weit verbreitet. Mein Vater war ein sehr gewissenhafter und angesehener Chirurg. Aber es gibt wohl in jedem Beruf unterschiedliche Wesensarten und Handlungsweisen gegenüber Abhängigen und unterschiedlich arbeitende Kliniken. Da sollte man recherchieren.
Dank Dir und LG Uwe

Verlo: Dir eine gute Besserung LG Uwe

Antwort geändert am 27.05.2023 um 13:50 Uhr

 lugarex meinte dazu am 27.05.23 um 10:42:
MEINE goldene Regel: meine Schwester Ärztin, meine Tochter auch, ich beinahe auch  - logisches Resultat: Traue niemanden, der sich Arzt nennt...

Pfingstgruss Luga

 uwesch meinte dazu am 27.05.23 um 10:45:
So so  Dank für Deine Empfehlung und LG Uwe
Agnete (66)
(27.05.23, 11:11)
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 uwesch meinte dazu am 27.05.23 um 13:54:
Ist nicht autobiographisch. Ich bin bei meiner gesunden Lebensweise so gut wie nie krank. Aber das Alter wird sicher irgendwann zuschlagen wie bei jedem Menschen.
Dank Dir für Kommi und Empfehlung.  LG Uwe

 harzgebirgler (27.05.23, 13:14)
:) 'göttern in weiß' in die hände zu fallen
kann oft das größte übel sein von allen! :angry: 
lg vom harzer

 uwesch meinte dazu am 27.05.23 um 13:57:
Na ja, es gibt natürlich wie in jedem Beruf auch sensible, einfühlsame Menschen. Aber die Rahmenbedingungen müssen stimmen, damit mitmenschliches Agieren geht.
Dank Dir für die Loorbeeren und LG Uwe
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