AAA-Sex

Erzählung

von  uwesch

Dieser Text gehört zu folgenden Textserien:  Abenteuer Lesen und Schreiben,  Aus dem Leben gegriffen

Diesen Tag konnte Hannes nicht so schnell vergessen. Aus der Provinz kommend hatte er vor seinem Zuzug nach Hamburg vermutet, dass sich Menschen in einer großen Stadt mit großer Bevölkerungsdichte leicht zusammen finden. Doch er erlebt seine Situation eher als ein distanziertes Ballungswohnen. In der Stadt mit mehr als 50% Singles, meist junge Alleinlebende, will keiner den anderen zu oft zu nahe erleben. Doch seine Sehnsucht nach Kontakt als junger Journalist ist ständig vorhanden und das erfordert Anstrengung, denn er muss überlegen wie er die Abende und Wochenenden übersteht ohne in Einsamkeitsdepression zu verfallen.

Am Mittwochabend sitzt er bei einem Bier sehnsuchtsschwanger an seinem Küchentisch und fragt sich wo das eigentliche Leben stattfindet?

Plötzlich reißt das Handy ihn aus seiner Grübelei:

„Hallo Hannes, wie geht es dir gerade?“

Am anderen Ende Ulrike, eine Kollegin aus der Redaktion!

„Och, ganz gut“, antwortet er, obwohl das nicht so richtig stimmt.

„Ich quäle mich gerade mit den Gedanken an einem Text herum, den ich morgen Mittag in der Redaktion abgeben muss.“

Offensichtlich spürt sie seine fade Stimmung und meint:

„Was machst du heute Abend? Hättest du vielleicht Lust mit mir in den Kaiserkeller zu gehen?“

„Ja, gerne“, atmet er auf, „ich habe sowieso gerade eine Schreibblockade.“

Er ist froh, dem drohenden Schreibtisch entfliehen zu können. Außerdem war er noch nie im Kaiserkeller.

„Gut, dann treffen wir uns in einer Stunde vor der U-Bahn-Station Reeperbahn.“

Diese forsche Art schätzte er an Ulrike. Sie kann mit ihrer intuitiven Gabe das Wesen von Menschen schnell erfassen. Hannes braucht manchmal einfach nur den Anstoß - etwas Führung.

Ulrike arbeitet in der Kulturredaktion und hatte ihm letzte Woche ganz überraschend einen autobiographischen Text mit einem burschikosen Lächeln zugesteckt:

 

Ich fühle mich sicher in Discos, habe meine Tanzbedürfnisse dort oft befriedigt, mich aber manches Mal einsam gefühlt wenn mich keiner aufforderte. Insgeheim hoffte ich natürlich, dass mir eines Tages der Mann meiner Träume dort begegnen würde, …. ich finde bei Männern eine gewisse Dosierung Schüchternheit interessant, aber wenn sie zu schüchtern zum Tanzen sind passiert halt nichts. Das intendiert zwar den Gedanken, dass auch das mutige Gegenteil in einem männlichen Wesen stecken könnte, aber wie das erschließen? Es erinnert mich an das, was mir verweigert wird, so wie ein attraktiver Filmschauspieler gleich jede Frau daran erinnert. Darüber hinaus empfinde ich männliche Schüchternheit natürlich manchmal auch als eine Art Simulation, eine Technik des Sich-Interessant-Machens. Das Aufschließen ist dann vergleichbar mit einem Seelen-Striptease, der auch nur dann seine volle Wirkung entfaltet, wenn die versteckten männlichen Verhaltensweisen auf spektakuläre Weise enthüllt und Geheimnisse gelüftet werden.

 

Da Hannes ein ziemlich schüchterner Mann ist, wird er versuchen das zu verbergen, denn er möchte Ulrike nicht enttäuschen. Auf der anderen Seite will er, dass sie einen rückhaltlosen Zugang zu seinem eigentlichen Wesen erlangen kann.

 

Nachdem sie drei Stunden abgetanzt haben, gehen sie noch in die Riverkasematten an der Elbe. Drei Cocktails sorgen dafür, dass ihre Unterhaltung sich immer anregender gestaltet und sie sich verträumt in die Augen schauen. Ulrike zentriert jetzt ihre gelbbraunen Tigerkatzenaugen auf ihn, so dass er sich durchsichtig vorkommt wie eine Tiefseequalle.

Es bedarf keiner Worte mehr. Ihre Körper sind sich grundsätzlich einig in dem was sie wollen. Er bezahlt die Rechnung, gibt der Bardame ein anständiges Trinkgeld und tastet sich mit Ulrike Hand in Hand die steilen Stufen hinauf in die Hafenstrasse.

Sie schlägt vor:

„Du, lass´ uns ein Taxi nehmen und in meine Wohnung in Eimsbüttel fahren und nach diesem schönen Abend noch einen Absacker trinken.“

„Ja gut“, freut er sich über ihre Initiative und findet das sehr emanzipiert.

Gesagt, getan. Sie steigen aus dem Taxi und stiefeln die Treppen des ansprechenden Jugendstil-Mietshauses in der Lutterothstraße hinauf.

Der Absacker gestaltet sich natürlich anders als von Ulrike offiziell vorgeschlagen. Der Alkohol wird übergangen und es findet ein sanftes Sinken auf die pinkfarbenen Laken in Ulrikes Bett statt. Nachdem sie sich liebevoll gegenseitig entkleidet haben, streichelt sie zart über seine Lippen und meint:

„Du, ich finde dich wunderschön und ich wünsche mir jetzt Triple-A-Sex.“

Er ist erstaunt über so viel Direktheit, weiß aber sofort was sie meint. Der Artikel, den er noch schreiben muss, soll von dem Gebaren der amerikanischen Ratingagenturen in der Finanzkrise handeln. Ein Rating AAA bedeutet beste Bonität und geringstes Insolvenzrisiko - selten geworden in ökonomischen Krisenzeiten.

Er lacht und schäkert:

„Aha, du willst also die beste Sexqualität mit Synchronorgasmusgarantie.“

„Ja, natürlich, das wirst du ja wohl hinbekommen.“

„Klar, mit dir und deinem Selbstbewusstsein sollte das doch wohl klappen. Ich habe es gelernt zu bremsen und zu beschleunigen. Nicht nur beim Autofahren.“

Ulrike lacht:

„Ich wusste es doch, du schüchterner Sexfahrer.“

Es geschieht.

 

Am nächsten Morgen flutscht der Artikel beschleunigt in die Tasten und Hannes fährt frohgelaunt in die Redaktion. Sein Chef meint: „Das ist ja ein Klasse-Artikel geworden", und klopft ihm auf die Schulter, „ich würde sagen Triple-A. Gut Junge!"



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Kommentare zu diesem Text


 franky (12.07.23, 08:33)
Hi lieber Uwe
 
Luftig und interessant geschrieben, man ist sofort im Bilde.
 
Grüße von Franky

 uwesch meinte dazu am 12.07.23 um 11:00:
Freut mich, dass der Text Dir gefallen hat.
Dank Dir für die Belobigungen und LG Uwe

 lugarex (12.07.23, 13:06)
tripple A text

elgö luga

 uwesch antwortete darauf am 12.07.23 um 13:10:
So war es gedacht. Ab und an muß ich ja auch mal beste Qualität bieten :) 
Dank Dir für Kommi und Empfehlung. LG Uwe
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