Erfahrungen und eine unerwartete Liaison

Erzählung zum Thema Neuanfang/ -orientierung

von  uwesch

Dieser Text ist Teil der Serie  PHASEN DES LEBENS (Prosa)

Im großen Krieg war sein Leben drunter und drüber gegangen, schlimmer als er es für sein Leben danach brauchen konnte. Von äußerlichen Versehrtheiten wurde er verschont, doch der verwundete Bereich seiner Seele war verhärtet und damit das weiche, glücks- und liebesfähige Gewebe insgesamt. Er stellte es sich als verwachsenes Narbengewebe vor. Doch es musste nach dem Krieg irgendwie weitergehen. In seinem Beruf als Chirurg konnte er nach längerer Suche eine Stelle ganz im Norden an einem Flensburger Krankenhaus finden, zwar schlecht bezahlt, aber es reichte für ein bescheidenes Leben.
Die Stationsschwester Anna warf schon früh ein Auge auf ihn, was ihm nicht entging. Sie hatten sich fast wie selbstverständlich und mühelos gefunden, waren durch Zufall aneinandergeraten, wie die meisten Paare. Für den jungen Mann hatte das etwas Verlockendes und auch eine gehörige Unschuld. Doch ihm war halbwegs bewusst, dass jederzeit etwas dazwischenkommen konnte, eine Art Beziehungswahn, der den Zufall ablöst. Kompliziert könnte es vor allem werden, dass sie beide beruflich miteinander zu tun hatten. Doch im Lauf der Zeit entwickelte sich bei privaten Treffs an Wochenenden - wenn sie beide keinen Dienst hatten - eine Mischung aus Aneinanderschmiegen und Raumlassen. Das gefiel ihm sehr. In seiner ersten Beziehung nach dem Krieg war er mit einer sehr jungen Frau zusammen, die so auf ihn gewirkt hatte, als habe sie in diesen Zeiten nichts mehr zu erwarten. Es war nicht gerade Hoffnungslosigkeit, die sich andeutete und mitunter deutlich zeigte, doch damit Verwandtes schon. Etwas, das sicher auch mit den unsicheren Zeiten und der schwierigen Lebensführung nach dem Krieg zusammenhing. Bei ihren Treffs hatte langes miteinander Schweigen sie zunächst verbunden, aber mit der Zeit trennte es. Sie war nicht in der Lage, ihr Leben mit allen Schwachstellen zu beschreiben, von denen des Ehrgeizes bis hin zum geheimsten Laster. Ihm erschien das wichtig für eine vertrauensvolle Beziehung, in der beide einander lieben lernen konnten. Er wollte eine Perspektive für eine Familie mit eigenen Kindern entwickeln. Inzwischen fand er sich zu alt für ein zu langes Aufschieben.
Es gab für ihn grundsätzlich die Wahl zwischen diesem und jenem Verhalten in schweren Stunden, denn in seiner Ausbildung als Arzt und dann den folgenden Einsätzen als Stabsarzt in den Feldlazaretten hinter den Kriegsfronten musste er oft schwierige Entscheidungen treffen. Erinnerungen an Augenblicke, die sehr chaotisch und teils bedrohlich waren, riefen noch heute nach einer inneren Ordnung, so wie das auch jede Operation erforderte.
Er beschloss, sich mit Haut und Haar Anna hinzugeben, glücklich und damit in der Lage zu sein, auch sie glücklich zu machen. In den schwierigen Zeiten wollte er sich an Dingen freuen und dazu beitragen, dass es Anna und ihren gemeinsamen Patienten im Krankenhaus gutgeht, soweit das möglich war.



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