Die Pianistin und der Zeichner

Erzählung

von  uwesch

Dieser Text ist Teil der Serie  KUNSTWERK - SCHREIBWERK

Die Frau als Motiv zieht sich durch mein ganzes Schaffen als Zeichner und Maler. Heute treffe ich sie, die begnadete Pianistin, im Café des Museums für Hamburgische Geschichte direkt an den Wallanlagen in der Nähe der Musikhalle. Ich habe sie gestern nach ihrem zweiten Solokonzert am Bühnenausgang angesprochen und sie hat gleich JA gesagt, denn sie kennt einige meiner Werke und findet sich darin wieder.
Ich sitze an einem Tisch und warte. Plötzlich eine zarte, gläsern klingende Stimme hinter mir:
„Hallo, da bin ich.“
Ich springe überrascht auf, begrüße sie mit einem galanten Handkuss und befreie sie von ihrem dezent geschnittenen Mantel – eine elegante Frau mit Stil ohne übertriebenen Modeschnickschnack.
„Setzen wir uns doch“, und ich rücke ihr den Stuhl mit Blick nach draußen in den Park zurecht.
„Danke“, lächelt sie.
„Was möchten Sie trinken?“
„Bitte einen Capuccino.“
„Vielleicht ein Stück Torte? Die ist exzellent hier.“
„Nein danke, ich möchte auf meine Figur achten.“
Ich staune, denn sie ist gertenschlank, eher der Typ Magersüchtige geht mir durch den Kopf.

Nach etwas Smalltalk bis die Getränke gebracht werden frage ich sie wie es dazu gekommen ist, dass sie sich dem Piano verschrieben hat?
„Ihr Konzert gestern war fantastisch.“
Ihre Worte sprudeln aus dem Mund, so als wenn sich etwas länger aufgestaut hat: „Die Musik, die ich spiele, ist wie die Haut meines empfindlichen Körpers. Mit all meinen verborgenen Regungen und Heimlichkeiten. Schon als Kind hinterließ Klaviermusik zahlreiche Wirkungen des Sehens, Begreifens und Träumens, vor allem wenn ich die Augen schloss.“
„Oh ja, das kenne ich, wenn ich vor meinem Zeichenblock sitze, die Augen schließe, mir vorstelle wie die Erotik eines Aktes aussehen könnte. Ich lebe dann mit der Frau, die ich zeichnen will, begehre sie, versuche sie zu begreifen und mir anzueignen. Ich schone sie keineswegs, aber setze sie nicht herab. Dann öffne ich die Augen und lasse die Stifte über das Papier gleiten.“
„Mir gefallen Ihre Zeichnungen. Ich kenne sie alle.“
Neugierig frage ich weiter: „Warum haben Sie eigentlich schon früh als Kind mit dem Klavierspielen angefangen?“
„Ach, meine Mutter war Pianistin und natürlich stand immer ein Flügel in der Wohnung, auf dem sie täglich spielte. Anscheinend wurde dadurch mein Hirn für das Musizieren entscheidend geformt. Ein alles in Brand setzendes Feuer entzündete sich in mir.“
„Hat ihre Mutter Sie angehalten das Klavierspiel zu erlernen?“
„Nein. Doch wenn ich allein zuhause war setzte ich mich an den Flügel, spielte in die Stille hinein und fühlte mich nicht so verlassen. Meinen Vater habe ich nie richtig kennengelernt, denn er trennte sich in meinem zweiten Lebensjahr von Mutter.“
„Oh, da habe ich ein ähnliches Schicksal. Mein Vater, der auch Künstler war und sich sehr um meine Entwicklung kümmerte, ist an Krebs gestorben als ich fünf Jahre alt war. Mich hat das Zeichnen nie losgelassen und später kam dann die Malerei dazu. Wie ist es denn zu ihrem späteren Spiel und der Entscheidung auch die Laufbahn einer Pianistin einzuschlagen gekommen?“
„Das war natürlich ein längerer Prozess, aber ich hatte Talent. Erst brachte Mutter mir die Grundlagen bei und dann habe ich Stunden bei mehreren Klavierlehrern bekommen. Schon im Teenageralter wurde das Spielen zu einer Obsession. Mir machte es immer mehr Freude, einzelne Töne zu entlassen und mehrere zu Akkorden zu vereinen - bis sie um Hilfe schrien. Sie dann zu erlösen, indem meine Hände sanft über die Tasten glitten oder einzelne Finger sie betupften – bis sie sich in der Stille aalten.“
Ich meinte, dass ich das gut nachvollziehen könne und das Zeichnen und Malen mir half über den Tod meines Vaters hinwegzukommen.
„Können Sie sagen, woher ihre sehr eigenen Interpretationen kommen?“
„Wie ich schon sagte war es das viele Alleinsein, die Verlassenheit. Ein bekanntes Stück übe ich so lange bis es für mich klarer, aussagekräftiger ist als ich es je gehört habe. Gefielen mir Abläufe nicht, wie sie beispielsweise meine Mutter gespielt hat, dann überlegte ich mir schon als Jugendliche eine eigene Fassung. Sie hat das sehr gefördert und nannte es Tastenarbeit.“
 
Nachdem sie ihren Kaffee ausgetrunken haben, meint sie, dass sie sich jetzt gern noch etwas in ihrem Hotel ausruhen möchte um am Abend fit für ihr letztes Konzert in Hamburg zu sein.
Sie steht auf und reicht mir ihre feingliedrige rechte Hand. Ich schaue ihrer Silhouette nach, die sich vor der einfallenden Sonne abzeichnet.
 




Anmerkung von uwesch:

Straßenszene, Kohlezeichnung, 1986, 59,8 *29,5 cm

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Kommentare zu diesem Text


 franky (10.05.23, 08:49)
Hi lieber Uwe, 

Eine schöne Erzählung, am Schluss ist da etwas Ungereimtes: "Nachdem sie ihren Kaffee ausgetrunken haben, meint sie, dass sie sich jetzt gern noch etwas in ihrem Hotel ausruhen möchte"  um am Abend fit für ihr letztes

LG Franky 

 uwesch meinte dazu am 10.05.23 um 09:24:
Danke Dir franky für Deine Beschäftigung mit dem Text und die Empfehlung. Habe ein paar Sätze aus dem letzten Absatz herausgenommen. Doch der von Dir zitierte Teil muss sein als Abschiedsgeste.
LG Uwe

 harzgebirgler (10.05.23, 11:52)
ich schätz' martha argerich sehr
als zeichner horst janssen noch mehr -
dem stand sehr viel kunst zu gebot
doch leider soff er sich wohl tot! :( lg vom harzer

ps
bitte nur als statement zum beitragstitel verstehen!

 uwesch antwortete darauf am 10.05.23 um 13:12:
Die Martha kenn ich nicht. Janssen mag ich sehr. Doch mein Schwerpunkt war die Öl- und dann später Acryl-Malerei. Das Trocknen bei Acryl ging einfach sehr viel schneller und man konnte gleich Korrekturen vornehmen. Bei Öl saß man in der Warteschleife.
Dank Dir für Deine Verse und die Empfehlung.
LG Uwe
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