Heute wäre ich schön gewesen

Text

von  Lilo

Der letzte warme Tag dieses Jahr: ein letztes Mal Sandalen, dachte ich. Betrachtete lange das rote Sommerkleid. Ich fühle mich tatsächlich schön darin, fast zu schön – deshalb trage ich es selten. Der Gedanke war verlockend, aber ich hatte mich schon dagegen entschieden. Als ich die Nachricht las. Ich beherrsche Downdressing wie eine Kunst, obwohl es nur ein Handwerk ist. Ich dimme die Wirkung meines Körpers. Dass ich dahinter hervorscheinen kann. Hätte ich mich für das rote Kleid entschieden, hätte ich die Fußnägel umlackieren müssen. Ich habe jahrelange Übung in Downdressing und dezenter Körperpflege. Es ist ein Zwang. Ich will schön sein. Und dabei verhindern, dass mein Körper sich vor mich drängt.

 

Er hatte die Nachricht schon gestern Abend geschickt. Aber ich hatte sie übersehen. Ich freue mich, dass ich diese Unabhängigkeit entwickelt habe. Von meinem Telefon wie von Männern. Er sei krank. Kann sein, dass es stimmt. Kann auch ein Rückzieher sein. Ich freue mich, dass ich es nicht persönlich nehme. Früher wäre ich in verzweifeltes Selbstmitleid verfallen. Warum gerade ich und so. Was ich falsch machte. Das immerhin liegt hinter mir. Jetzt nur noch Schwere. Leere. Meine beste Freundin, wünscht mir, ich könnte mich gelassen fühlen. Ich bin erleichtert, dass ich Resignation fühle. Zu schön, um wahr zu sein. Mehr nicht. Er war ohnehin zu attraktiv. Dazu jünger. Er war wie vorm Himmel gefallen. Ein plötzlicher Lichtblick in einer überfüllten Regionalbahn letzten Sonntag. Dass er nach meiner Telefonnummer fragte, obwohl sein Kind dabei war. Als ich die Nummer eintippte, meinte das Kind: „dass Erwachsene immer ihre Telefonnummern auswendig kennen!“ Er schrieb mir noch am selben Abend. Tatsächlich, dass er mich attraktiv fände. Ich konnte es kaum glauben. Er schien fast im Rausch.

 

Jetzt also krank. Magen-Darm. Wir müssen verschieben, schrieb er. Tut mir leid, antwortete ich. Baldige Besserung und so. Ich schaute in den Badezimmerspiegel. Meine Haare fielen gut. Ich wäre heute schön gewesen. Ich hätte heute ein letztes Mal Sandalen getragen. Morgen wird es regnen. Immerhin nur Leere. Schwere. Keine Aufgerissenheit.


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Kommentare zu diesem Text


 Dieter_Rotmund (22.09.23, 13:10)
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