Eretz Israel

Erzählung

von  Quoth

Blatt 16

Gertrud an Vilma

Was für eine Freude, von Dir zu hören, Vilma! Nein, liebste Freundin, Palästina hat sich für mich in Luft aufgelöst an dem Tag, als man Siegfried auf dem Dachboden seines Hauses vom Strick geschnitten hat. Ihm drohte Gefängnis, weil er einigen lebenslustigen Damen gegenüber wohl zu gefällig gewesen war, und das wird, seit die Welt, wie Du schreibst, sich grundlegend gewandelt hat, noch strenger geahndet als in der nun alten Zeit, die wohl für immer vorbei ist. Und wer weiß, was mir erspart geblieben ist, man hört ja nicht nur gute Dinge aus Eretz Israel, die Einheimischen dort scheinen über die Zuwanderer alles andere als glücklich zu sein und schrecken auch vor Waffengewalt nicht zurück. Du hast recht, die neue Garde unserer Politiker ist eher abstoßend, aber es musste einfach etwas geschehen, und weil ich nicht völlig vereinsamen wollte in diesem klatschsüchtigen Kaff, in das es mich verschlagen hat, bin ich in die Frauenschaft eingetreten. Eine geschiedene Frau, deren Liebhaber sich umgebracht hat, ist einfach   d a s   gefundene Fressen: „Wenn sie beisammen sind Katharina, Sibilla, Kamilla sprechen sie, plappern sie bald von dem, bald von der, bald von jener…“ Habt ihr das auch gesungen? Ach, ich rede von mir und nur von mir, und dabei wirft Dein Brief so viele Fragen auf, dass ich gar nicht weiß, womit ich anfangen soll! Die erste ist mal: Warst Du nicht mit diesem dänischen Maler verlobt? Meinen Glückwunsch zu Ludwig, dem smarten jungen Juristen, aber Dich schätze ich nicht so ein, dass Du eine Verlobung leichtfertig löst. Ich hoffe, der Grund war bei Dir weniger tragisch als bei mir, stelle Dir vor, bei Siegfrieds Beerdigung musste ich mich hinter einer Eibe verstecken, gerade als trüge ich Schuld an seinem Tod! Ich rede schon wieder von mir, entschuldige, nun ist eine Träne auf mein Geschreibsel gefallen und hat es verschmiert … Wolltet Ihr nicht ein Theaterstück aufführen in Röshof? Ist es dazu noch gekommen? O mein Gott, hoffentlich hat es nicht Dramen in der Wirklichkeit gegeben, die Beziehung zwischen der Baronin und ihrem Schwager war schon zu meiner Zeit zum Zerreißen gespannt. Bitte berichte mir – aber wenn es zu schlimm ist, verschweige es auch ruhig, ich spinne mich ein in die neue Zeit wie in einen Kokon und   w i l l   einfach glauben, dass alles zum Guten sich entwickelt. Es gibt wieder genug Arbeit, die Kämpfe auf der Straße haben aufgehört und die Menschen sind wieder zuversichtlich geworden. An den Juden lassen die, die uns schulen, kein gutes Haar – aber meinst Du nicht auch: sie werden sich mit ihnen arrangieren, schon weil die Söhne Noahs im Finanzbereich viel zu mächtig, einflussreich und schlau sind? Jetzt höre ich aber auch auf und hoffe nur, dass unser Gespräch wieder in Gang kommt, Sei tausendmal gegrüßt und geküsst von Deiner Gertrud


(wird fortgesetzt)


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Kommentare zu diesem Text


 AchterZwerg (25.09.23, 08:05)
Eine interessante Entwicklung zum Antisemitismus hin.
Von der Beteiligten fast unbemerkt: Hauptsache einem hippen "Verein" beigetreten zu sein, nicht wahr?

Liebe Grüße
der8.

 Quoth meinte dazu am 25.09.23 um 10:58:
Die  Frauenschaft habe ich googeln müssen, ich kannte bisher nur den BdM. Ja, es ist dies "Driften" in eine später bereute Richtung, weshalb ich den Briefwechsel interessant finde. Tante Gertrud wollte nach dem Krieg nichts davon wissen, dass sie Ortsfrauenschaftsführerin gewesen war und wandelte sich zur braven Kirchgängerin. Danke für die Empfehlung mit Kommentar. Quoth
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