Guter Sex, schlechter Sex

Text

von  Lilo

Mein Leben entzog sich mal wieder dem etablierten Gefühlskodex amerikanischer Fernsehserien. Wer ein paar Jahre Fernsehschicksal durchlebt hat, weiß, dass es nur erschütterndes Drama und Ärger bringt, sich in einen Drogenabhängigen zu verlieben. Laut Drehbuch trippeln sich die Abhängigkeitsverhältnisse der Verliebten inklusive Sidekick Droge mit ihrer ganzen Süßlichkeit, in der von an Anfang an eine unausgesprochene Bedrohung lauert, mindestens in eine tränenreiche Verzweiflung, die sich schließlich in einem fulminanten Gewaltausbruch entlädt und im schlimmsten Fall in die finanzielle Pleite führt. Die Flausen der irrgeleiteten Protagonistin, die das Publikum seufzen lassen, werden ihr aus dem Kopf geschüttelt und nach dieser Katharsis sitzt sie geläutert mit blauem Auge, aufgesprungener Unterlippe und leerem Bankkonto bei irgendeiner anständigen Bezugsperson und nimmt Abschied von der kranken Romantik und Leidenschaft, die sie auf Abwege geführt hat. Selbstverständlich war sie von Anfang an gewarnt worden und hatte nicht hören wollen. Was aber taten meine Freundinnen? Sie freuten sich für mich. Tatsächlich. „Genieß es“, sagten sie. Unisono.

 

Ich konnte es selbst nicht richtig fassen. Die Freude war ehrlich. Fast schon wollte ich ihnen die ausbleibende Warnung in den Mund legen: „und zu den Drogen hast du nichts zu sagen?“. „Die Drogen sind natürlich ein Problem, mit dem du es zu tun bekommen kannst oder wirst, aber-“ „Ja?“ „Ich freue mich einfach so für dich, dass du endlich jemanden getroffen hast, mit dem der Sex so gut ist!“. Schlechter Sex wird in Fernsehserien selten thematisiert. Wenn der brave Mann verantwortungsvoll und arbeitsam ist, sich für Haus, Ehe und Familie eignet, also den wahren amerikanischen Liebes-, ach, Lebenszielen entgegenstrebt, Vermehrung und Reichtum, worin eine stille, aber mächtige Tiefe liegen soll, die Routinen und Buchhaltung trotzt, braucht von Leidenschaft gar nicht die Rede zu sein. Jedes Begehren, das von Heim-Hof-Kinderlein abweicht, ist ein düsteres. Die Popkultur hat die Bibel noch nicht überwinden können. Aber meine Freundinnen! Gönnten mir einfach den Sex! 


Es würde nicht möglich sein, die Jahre auszugleichen, in denen sich schlechter Sex mit Enthaltsamkeit abgewechselt hatten. Die verschwendeten Jahre. Mein verschwendeter Körper. Jeder Tag Lebensfreude zählte. Jetzt.


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Kommentare zu diesem Text

Hakuna (43)
(12.11.23, 16:09)
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