Wahn

Text

von  Mondscheinsonate

Wir hatten einmal in der Klasse einen Streitschlichter, einen Jungen, der absolut neutral war, sich aus allen Themen heraushielt, bis es Streit gab, dann agierte er extrem besonnen und brachte gute Argumente ins Spiel, so dass sich die Lage wieder beruhigte. Wir schätzten ihn sehr, besonders sein angelesenes Wissen. 

Irgendwann aber geschah eine persönliche Kränkung im privaten Umfeld und die ging ihm zu tief, ab da wurde er hochgradig aggressiv und provozierte ständig Streit, stellte sich über andere und war recht unangenehm. Anfangs waren wir so baff, dass wir verstummten, gingen nicht auf ihn los, der alte Respekt war noch da, aber nach und nach wurde er nur noch persönlich und das ließ uns erschaudern, da begann einer:"Haben's dir eigentlich ins Hirn g'schiss'n, Depperter?" Das war der Anfang von seinem Ende. Die Burschen begannen ihn zu prügeln, wenn er nur schief schaute. 

Irgendwann kam er nicht mehr in die Schule, das war uns allen egal, es kehrte Ruhe ein. Nach zwei Wochen fragte doch einer den Lehrer, was mit dem Kerl los sei, da schwieg er. 

Es stellte sich heraus, eine Mutter eines Schülers war mit den Eltern des Verwandelten befreundet, die tratschte, dass der in die Psychiatrie gekommen ist. Die Abweisung eines Mädchens hatte in ihm einen Schub ausgelöst, die Kränkung in den Wahn getrieben. Wahn ist nicht heilbar, das Mädchen war nur der Auslöser, er wäre sowieso krank geworden. Er glaubte, dass alle gegen ihn seien und ihn umbringen wollen, bis heute, deshalb wehrte er sich ständig oder griff von selbst an, bis heute. 



Hinweis: Der Verfasser wünscht generell keine Kommentare von Verlo.

Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Kommentare zu diesem Text


 LotharAtzert (16.06.24, 10:29)
Wenn ich  Begriffe, wie "Wahn" lese, übersetze ich ihn augeblicklich, in dem Fall mit "Vorstellungszwang", (Pluto-Merkur, klar!)weil das Wortbild schon benennt, was geschieht und ich das für wichtig halte, darüber Bescheid zu wissen. Man kann das dem Betroffenen zumindest im Anfangsstadium versuchen zu erklären. Später die auswuchernde Zwangsneurose natürlich nicht mehr. Aber zu spät, um es zu versuchen, ist es nie.
Oder?

 Mondscheinsonate meinte dazu am 16.06.24 um 12:11:
Der Mann ist seit 30 Jahren schwerkrank. Schade um ihn.

 Beislschmidt antwortete darauf am 16.06.24 um 12:35:
Verhaltensauffälligkeiten werden in der schulischen Hackordnung sofort bestraft. Die Psychopharmahersteller freuen sich. Die Angebotspalette, wie auch die Einnahme haben sich in den letzten Jahren vervielfacht. 

Gleiches gilt für die niedergelassenen Neurologen. Bei denen ist auf Monate hinaus kein Termin zu bekommen.

Wer ist schuld, frage ich mich.

 Mondscheinsonate schrieb daraufhin am 16.06.24 um 12:37:
Ich habe die Antwort bereits bei Lothar hinterlassen. Ich glaube, Corona-Lockdowns haben viel angestellt, das betrifft auch Junge. Damals gab es das noch nicht, er war ein mir bekannter Einzelfall. Aber, auch ein Zweiter blieb auf einem Trip hängen, das war schlimm, der hat das erste Mal Drogen genommen.

Antwort geändert am 16.06.2024 um 12:38 Uhr

 niemand äußerte darauf am 16.06.24 um 16:53:
Ich würde jetzt gerne ein wenig spekulieren, bezüglich dieses Jungen.
Es ist in der Tat sehr ungewöhnlich, dass ein so junger Mensch [wie ich es dem Begriff Schüler entnehmen kann, war er doch sicher in der Pubertät] wie ein so junger Mensch dermaßen neutral/diplomatisch sein kann, ist mir ein Rätsel. In diesem Alter ist der Mensch doch eher auf Kampf/Widersprüchlichkeiten/Krawall ausgelegt, weil er, wie man so allgemein sagt, weder Fisch noch Fleisch sein kann und eher wie ein Joghurt ;) so vor sich hin gärt. Deswegen spekuliere ich, dass er entweder seinen Eltern, ode der Umwelt auf Biegen und Brechen gefällig sein wollte=der Gute, der Reife, der allseits Beliebte. Doch so etwas hält keiner auf Dauer aus, und schon garnicht ein Heranwachsender. Ergo musste er sich dazu schon gewissermaßen durchgequält haben, sprich genauer: Alle negativen Dinge in sich geleugnet, oder krampfhaft weggeschoben. Das machte ihn dann quasi beliebt, weil leicht zu handhaben/bequem sein für andere. Nur wer so etwas praktiziert, der will auch gewissermaßen "belohnt" werden. Vielleicht bekam er aber von dieser Belohnung zu wenig von anderen und letztlich rein garnichts von diesem "begehrten Mädchen".
Ich spekuliere mal, dass dieses "kein Lohn erhalten zu haben" für die viele Mühe eine Art Schock war und vielleicht hat dieser Schock dann
die latent vorhandene Neigund zu einer psychischen Erkrankung den Schub ausgelöst hat. Es kann natürlich Quatsch sein, was ich hier zusammenfantasiere, aber irgendwie versuche ich mir halt das "unnatürliche" Verhalten eines Pubertären zu erklären. Es war im Grunde ein Verhalten eines eher abgeklärten Menschen. Und auch solche verhalten sich nicht immer so "reif und perfekt".
LG Irene

 Mondscheinsonate ergänzte dazu am 16.06.24 um 18:19:
Irene, so habe ich noch nie nachgedacht, das könnte durchaus so sein. Ich weiß auch nicht wie er privat agierte, in der Schule war er immer sehr besonnen. Ich glaube, dass die Pubertät mit allen etwas macht(e), bei manchen nichts Gutes. Ich habe aber die Erfahrung gemacht, dass gerade "die Stillen", enorm litten, auch als Erwachsene.
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram