2 Liliput

Text

von  Isensee

Hast du dich mal gefragt, warum es so ein gutes Gefühl ist, die Spinne vor das Fenster zu setzen, anstatt sie zu töten? Ich mich zum ersten Mal, als ich mit Randolf schrieb. Einem Internetfreund, der eigentlich keiner ist, sondern mehr so… eine Idee. Ein Gedanke mit WLAN. Jemand, der irgendwie in die Maschine gefallen ist und jetzt dort mitdreht, ein Zahnrad, das klackert und springt, aber irgendwie doch funktioniert. Als wäre es für etwas da.

Randolf ist wie mein erstes Liliput. L.I.L.P.U.T. Lass dir den Namen mal auf der Zunge zergehen, wie Honig aus dem Plastikbären. Liliput, oder Liliputt – aber nicht wie der Audi, das ist hässlich, das hat keine Seele. Meins war was anderes. Eine späte Geburtstagsüberraschung, mein Opa hatte es aufgetrieben, und ich war acht.

Es war keine Maschine, es war eine perfekte Brust, diese Form, diese Rundung – ja, ich hatte Lust, das Ding zu lutschen, so schön war es. Aber was wirklich hängenblieb, war das Gelb. Das schönste Gelb, das ich je gesehen habe. Nie wieder hat irgendetwas so gelb ausgesehen wie dieses Liliput.

Ich fuhr damit, gummibereift, über Hetstedt. Schlacke unter den Rädern, Urin in den Bordsteinrinnen – ein Sommer voller Gerüche. Das war Freiheit. Es war ein Dreirad, klar, aber kein Boomer-Ding, keine Rentnerkarre, es war einfach nur cool. Wie ein Flugzeug mit Bodenhaftung.

In diesem Sommer war alles auf eine seltsame Art intensiv. Evelyn schob sich Laub in die Möse für Matchbox-Autos. Wir lachten und schrien. Mit den Lebendorfern war Krieg, Kinderkrieg – Zweige als Schwerter, Worte als Wunden.

Und dann dieser Hund. Tot, aufgeknüpft an einen Baum wie ein makabres Weihnachtsornament. Ich erinnere mich, dass ich ihn ansah, und dass direkt daneben ein Zaun war. So ein schöner Zaun, weiß gestrichen, vollkommen symmetrisch. Ich mochte den Zaun.

Irgendwie hat das alles zusammengehört: das Liliput, das Gelb, der Hund, Evelyns Laub, der Krieg. Randolf hat sowas nicht. Der hat nur Worte, ein Zahnrad, das klappert. Aber ich setze ihn vors Fenster, immer wieder. Vielleicht, weil ich die Spinne nicht töten will.



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