Am Sonntag fuhren sie manchmal vormittags mit dem Fahrrad zum Storchennest am Rande des Dorfes, dort wo sich hinter dem Deich ein uriges Schilfgebiet, durchzogen von kleinen Gräben, mit alten Weiden am Fluss befand. Die kleine Anni besaß noch kein eigenes Fahrrad. Ihr Vater hatte einen einfachen Fahrradsattel an die Lenkstange montiert, für die Füße gab es Halterungen an der Lenksäule oberhalb des Vorderrades. So saß ein Kind bequem, bis es drei, vier Jahre alt war.
Anni hatte sich schon lange einen Bruder gewünscht, am liebsten einen großen, der sie manchmal verteidigen konnte. Aber dass das nicht mehr möglich war, verstand sie sehr früh. Blieb also nur ein kleiner, zum Spielen vielleicht auch ganz gut zu gebrauchen. Und so rief sie sonntags immer wieder begeistert unter dem Storchennest, was man ihr vorgesagt hatte:
„Klapperstorch, du Luder, bring mir einen Bruder!“
und mit etwas weniger Begeisterung:
„Klapperstorch, du Bester, bring mir eine Schwester!“
Warum der Vater dabei immer sehr lachte, verstand das Mädchen noch nicht. Der Storch zeigte sich unbeeindruckt.
Irgendwann in einem dieser Sommer wurde der Vater schwer krank, und er blieb es auch für lange Zeit. Die Ausflüge zum Storchennest endeten. Anni ahnte allmählich, dass ihr Rufen vergebens gewesen war.
Ein Geschwisterchen bekam sie tatsächlich nicht mehr. Später dachte sie: Und das ist auch gut so.