"Ein wenig Leben" - Roman von der amerikanischen Autorin Hanya Yanagihara

Essay zum Thema Buch/ Lesen

von  pentz


Kaum ein Buch ist mir schwieriger und schöner zu lesen begegnet als die deutsche Übersetzung dieses Buches. Kaum ein Buch befasst sich für mich mit unschönerem und widrigerem Inhalt: Das Leben eines homosexuellen Behinderten, der als Findling von einem Mönch auf den Pädophilen-Strich geschickt wird. Zudem gibt es kaum eine bessere Hörauflage eines Buches (empfinde ich so, eine Freundin hingegen, leidenschaftliche Hörbücher-Hörerin gibt sich unbeeindruckt).

Ich musste das Buch jedoch bei der Hälfte weglegen – weil es mir zu schwierig und zu belastend geworden war. Weniger die sexuellen „Vergewaltigungen“ auf dem Jungenstrich stießen mich ab als die brutalen Exzesse des Freundes des Protagonisten, der diesen, behindert, nahezu ermordet. Eigenartig fand ich, dass dieser Freund ein Araber war. Andere Freunde waren nicht so brutal.

Und wie gesagt, es hat mich nicht bis zum Ende durchhalten lassen. Wichtig im Buch ist die Freundschaft von vier Personen. Aber diese Freundschafts-Moritat oder -Mythos zündet bei mir nicht, wahrscheinlich kulturell bedingt, solche Beziehungen kenne ich in meinem Kulturkreis und Lebensumfeld (dörflich-kleinstädtisch) leider nicht. Möglich, dass es das in den Staaten gibt, besonders in New York, wo die Handlung hauptsächlich spielt.

Das Buch jagt mich jedoch - gedanklich. Aber ich habe aufgehört weiterzulesen.

Nach dem ich dies getan hatte, nach einigen Monaten, lag vor meiner Nase auf einem Board eines Offenen Regals die Original-Ausgabe in Englisch. (Zum Verständnis: Offene Regale sind Vitrinen, die in irgendeiner Ecke stehen, vielleicht in einer Einkaufspassage, aus der man nach Belieben Bücher nehmen und hineinstellen kann.) Und das in einem Regal in der tiefsten bayerisch-fränkischen Provinz!

Sagt selbst: Kann das ein Zufall sein?

Jetzt hatte ich die Möglichkeit, es in der englischen Urfassung zu lesen, welche hoffentlich syntaktisch weniger verzweigt, kompliziert und anstrengend sein würde. Freilich würde mir mehr die Semantik einzelner Wörter zu schaffen machen, auch wenig ich ganz gute Englischkenntnisse besitzen dürfte. Semantik ist hier der falsche Terminus, die Semiotik wir es sein, die mich herausfordern würde. Ich rechnete selbst mit polynesischen Bezügen, angesichts der Autorin hawaiischen Ursprungs.

Aber Konjunktiv II!!

Deshalb konnte ich mich wahrscheinlich nicht durchringen, es zu lesen, selbst nicht die englische Urfassung, obwohl ich vor keiner Literatur in dieser Sprache fürchte, wenn sie mir als interessant und herausfordernd erscheint. Nein, ich habe weder das deutsche noch das englische Buch weiterverfolgt.

Doch jagt mich dieses Buch!!!

Denn der nächste „Zufall“ will es, dass ich gestern eine Philosophie-Professorin von der Brooklyn-Universität in New York kennengelernt habe. Mein Bedarf an semiotischen Wissen kann ich damit decken. Ich habe somit keine Ausrede mehr, mich nicht dieser Lektüre im Englischen zu stellen – sage ich mir ...

Scheinbar lässt mich das Buch „Ein wenig Leben“ von Hanya Yanagihara nicht mehr los - gleich einem Dämon oder Dschinn verfolgt es mich. Obwohl ich es so lange nicht mehr angerührt habe, komme ich offenbar nicht umhin, mich dieser Mammutwerk gewichtigsten Kalibers, schriftstellerisch und sprachlich, zu stellen.

Schauen wir mal ...




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