Bayern - seine Schriftsteller III

Essay zum Thema Gesellschaftskritik

von  pentz

Lena Christ zählt zu den großen bayerischen Literaten, ein bayerisches Findelkind mit suizidalem Ende, die noch ihre Romane im Orginal bayerischen und bäuerlichen Dialekt geschrieben hat. 
Am Anfang der bayerischen Literaturgeschichte steht also ein Mysterium und ein Märtyrium: wie konnte jemand Schriftsteller werden, zumal eine Frau, der in einem Milieu aufwuchs und in einem gesellschaftlichen Stand befangen war, der für solche Marotten kaum Verständnis aufbrachte? Und welcher Schriftsteller hatte nicht eine behütete oder zumindest privilegierte Kindheit genossen (Rainer Maria Rilke: Einzel-Mutter-Kind; jüdische oder hugenottische Provinienz, Mitglieder von Minoritäten also; oder Industriellenabkömmlinge)?
Und das in einem Milieu wie das bayerische -  ist es nicht geistesfeindlich?
Und zum Stift zu greifen, welch ein unnützes Tun in einem hermetisch von pragmatischem Denken durchwachsenen bäuerlichen Umfeld? Noch am ehesten ein Frauenzimmer!
Bei ihr bewahrheitet sich die Theorie aufs deutlichste, dass ein Schriftsteller nur populär wird, wenn ihn seine Gesellschaft braucht. Kaum einer kannte die Autorin zu Lebzeiten.
Widerspiegelung ihrer Umgebung ist ihre Schreibe fast dokumentarisch. Sie gaukelt einem nicht seitenlange Begegnungen mit einem Waldschrat vor oder schildert einen spannende Förster-jagt-Wilderer-Verfolgungsjagd. Dichtgedrängt wird Information nach Information über, Detail auf Detail von ihrem Drumherum gereiht gleich einem Protokoll.
Wenn der Begriff „authentisch“ Sinn macht, so bei dieser bayerischen „Schriftstellerin“.

Ludwig Thoma hat einige sehr gute Romane geschrieben, die „Wittiber“ und ich glaube über Heirats-Kuppler-Wesen der „Ruepp“, aber das bemerkenswerteste seinen Landsleuten aus dem Gesicht geschriebenes Werk ist zweifelsohne „Moral“. Darin schildert er eine Wucherin, die illegal Geld verwahrt und vermehrt. Die Bevölkerung nach Offenlegung deren Machenschaften lässt die moralingesättigte Wut hochkochen und Untersuchungsbeamten auf den Plan treten. Die Betrügerin wird entlarvt, verurteilt und die Strafe wird auf Bewährung ausgesetzt. In der Schlussszene sieht man einen hohen Untersuchungsbeamten, der sein Geld bei dieser zweifelhaft in geldlichen Dingen Unterwegs-Seiende anlegt. – Doppelmoral! Was nutzt, ist gut, auch wenn Gesetz dagegensteht.

Luise Rinser, Vorzeige-Gutmensch, Freundin von Gudrun Ensslin von der linksterroristischen sogenannter Rote Armee Fraktion, bekennende Katholikin, aufgestellt von den Grünen zur Kandidatur zur Bundespräsidentin, hat im Jahre 1933 einen vorgesetzten, „jüdischen“ Direktor denunziert und zu ihren Lebzeiten wurde darüber kein Wort laut -
Doppelmoral – aber wo gibt es die nicht, wird man sagen? Und wieder einmal die Bestätigung der These: diejenigen Schriftsteller werden bekannt, die die Gesellschaft für ihre Identität braucht.

Oskar Maria Graf hat in einer seiner Bücher, ich glaube in seinem bemerkenswertesten „Meine Mutter“ daraufhin gewiesen, dass es einen extrem hohen Prozentsatz von gewalttätiger Kriminalität in diesem Land gegeben hat, seit er dies verfolgen konnte, beginnend mit dem Ende des 19, Jhd bis hineinreichend ins zwanzigste. Die Gewalttätigkeit im zwischenmenschlichen Umgang hat er ein Denkmal gesetzt, in dem er dieselbige anhand seines Bruders Verhalten dargestellt hat, der, ich glaube, nachdem er aus dem 1. Weltkrieg zurückkam, zu derartig brachialem Verhalten neigte – ein Umstand, der nicht entschuldigend oder erklärend daherkommen mag. Wie brutal man überhaupt miteinander umgegangen ist hierzulande – braucht es der Erwähnung? Na gut – im Vielvölkerstaat der Sowjetunion waren die Deutschen dafür bekannt und berüchtigt, dass deren Söhne von ihren Vätern körperlich gemaßregelt wurden.

Graf, Oskar Maria, ein bayerische Antipode und ziemlich antinomisch, konträr, widerständlerisch und renitent, aber durchaus gezielt darin, weil mit Kommunismus und Anarchismus sympathisierend, ja sogar bei einer Einladung in der stalinistischen Sowjetunion dabei und derartig pazifistisch, dass er eine Geisteskrankheit simuliert hat, die darin bestand, nicht mehr mit dem Lachen aufzuhören, woraufhin er in die Psychiatrie eingesperrt worden ist und somit dem Wehrdienst des 1. Weltkrieges entgehen konnte. In den Wirren der Revolution in München konnte er entfliehen oder wurde als entlassen betrachtet.
Als die Nazis anfingen, bestimmte Autoren auf den Index zu setzen, rief er erbost dazu auf, bitte sehr auch seine Werke nicht zu vergessen und zu verschmähen. Er hielt wohl die Maßnahme, Bücher zu verbieten für derartig hirnverbrannt, dass er sich hätte beleidigt gefühlt, wenn seine Werke von diesen Schwachköpfen ignoriert worden wären. Er erkannte sofort die Dummheit des Nationalismus als Farce, die sich blutig ausbreitete und ausbreiten musste.
Folglich musste auch er vor den Nazis emigrieren, obwohl er es nicht „notwendig“ gehabt hätte, floss doch kein Tropfen jüdischen Blutes in seinen Adern oder der seiner Anverwandten. Er tat dies, indem er New York auswählte, wo er auch gestorben ist, nicht ohne vorher liebevoll seine dahinsiechende Ehefrau gepflegt zu haben. Wundert es: eine offizielle Rückkehr in den bayerischen Staat kam also nicht zustande? Nicht bei einem Stalinisten, der jedenfalls zu Stalins Zeiten in die Sowjetunion eingeladen worden war und an die internationale Arbeiterbewegung glaubte.

In diesen Tagen ist der Kaberettist ... Georg Kreisler gestorben, ein Österreicher, der sich jegliche Fraternisierung mit dem österreichischen Staat verbeten hat. Österreich und Bayern – worin liegt da der Unterschied? Nur in Wien! München und Wien will ich jetzt nicht vergleichen, da würde ersteres als kulturell-geistiger Zwerg erscheinen.
Aber die Österreicher haben einen Thomas Bernhard gehabt, der seine Landsleute öffentlichen bespeien durfte.
Mit sich selbst zu hadern, da hört der Spaß auf hierzulande.

Meine kleine Zeitschrift für Literatur, Kunst und Gesellschaft „Innerlichkeit“ wurde einige Jahre lang vom Bezirk Mittelfranken unterstützt, welche Unterstützung sofort gekappt worden war, als in der letzten Ausgabe unter der Rubrik „Fränkische Wetterlage“ von einer Autorin geschrieben stand: ja, ich wohne auf dem Land. In die nahe Stadt gehe ich lieber nicht, da kommst du schlechter drauf, wenn du ausgehst, als wie du ohnehin schon bist!
Diejenigen, die mich unterstützt haben, war  übrigens ein kleiner Kulturausschuss des Bezirks, also gerade einmal  5-10 politische Vertreter. Aber selbst die Herren Abgeordneten verstanden keine Selbstkritik – und –ironie.

München. Da gab es auch einmal sogar eine literarische Szene, die ziemliches Furore gemacht hat: Frank Wedekind usw. Der wirkliche epochale Autor stammte aber aus Lübeck: Thomas Mann.
Aber immerhin gab es Carl Valentin und die Liesel Karstadt.
Allerdings kamen die Vorfahren von Carl Valentin aus dem Rheinischen, dessen Menschenschlag mit Attribut lustig, lebensbejahend, wenn nicht frivol bezeichnet wird. Also ist der bayerische Urkomiker kein Einheimischer, was im Grunde keineswegs verwundert. Wenngleich schon einige derbe Spaßvögel bayerischen Ursprungs da sind, wie der Hirsel, der Polt, nichtsdestotrotz ein Komiker großen Kalibers widerspricht dem tiefernsten bayerischen Bier-Charakter. Und Liesl Karstadt hatte ihr Satirikertum wohl nicht umsonst mit Einweisungen in psychatrischen Anstalten bezahlen müssen.
Carl Valentin hat ehrlicherweise geschrieben, er hatte furchtbare Angst, dass die Nazis eines Tages vor seiner Tür stehen würden und ihn gefragt hätten: Nun, Herr Valentin, wie steht’s? Wollen’s nicht endlich auch in die Partei eintreten? Er hätte nicht gewusst, was er dann getan hätte. So erstaunlich ehrlich war Carl Valentin.
Aber renitente Menschen hat Bayern dennoch hervorgebracht. Ein Heringsverkäufer in München preist einen Fisch an: "Hering, so fett wie der Göring!", wird verhaftet, am nächsten Tag entlassen, und preist erneut einen an: "Hering, so fett wie Gestern!"

Es gibt das recht zweifelhafte Bonmot: denken sei vergleichen. Jeder Philosoph wird darüber an die Decke gehen, aber als kultur-wissenschaftlichen Parameter ist das ein praktischer Maßstab dafür, wie man Menschen und seine Hintergründe und Umgegend beleuchten kann.
Was den Lokalpatriotismus angeht, kann ich nur insofern etwas über die Pfälzer sagen, das angrenzende dritte südwestdeutsche Land neben den Bayern und Baden-Würtenbergern (sprich Schwaben und Badenser): Dieselbigen sind durchaus nett, aufgeschlossen und empfangsbereit anderen, Fremden gegenüber, aber,  wenn es um’s Eingemachte geht, dann verteidigen sie ihr Territorium wie Raubtiere ihr Revier. Ob bei den Bayern auch ein derartig engstirniger Patriotismus herrscht, kann ich meiner Erfahrung nach nicht beurteilen, aber befürchte entschieden doch. Ausgrenzungen habe ich schon erlebt. Der merkwürdigste war der, als ich nach Niederbayern ins Referendariat ging, hieß es vom Ober-Christlich-Sozialen-Partei-Gänger und vorgesetztem Studienrat: was sie haben Sozialpädagogik studiert, dann müssen sie ein Linksradikaler sein - ein Satz, den ich heute noch nicht geschluckt, geschweige denn verstanden habe.
So kann ich als unliebsame Zeit- und Landesgenosse, dem eine gesellschaftliche Karriere verweigert wurde, nur auf meine Essay-Geschichte, im Jahre 1994 verfasst, verweisen, in denen noch schlimmere, kuriosere und bizarrere Dinge geschildert sind: "1. April auf Bayerisch, meine Erfahrungen als Referendar im bayerischen Schuldienst."

In diesem Zusammenhang sei noch der feige Berthold Brecht erwähnt, der vor dem Untersuchungsausschuss Unamerikanischer Umtriebe seine Kommunistische Sympathie glattweg geleugnet hat. Jedoch seine Bedeutung ist unbestritten, episches Theater.
Leben ist Theater, Theater ist Leben.

Zu guter Letzt müsste man noch einen Zeitgenossen nennen, Konstantin Wecker, der in seiner musikalischen Umsetzung bedeutender Lyrik Unschätzbares geschaffen hat, wenngleich er gelogen, sich selbst und sein Publikum betrogen hat, da er in einem Lied singt, daß dies die Wahrheit wäre und alles sich so zugetragen habe, was nicht der Fall und nunmehr offenbar geworden ist und in einem anderen verkündet, daß Lügen schon Betrug sei. Er hat uns also betrogen und belogen.




Exkurs zu Ludwig Thomasschen Lausbubengeschichten


Die bayerischen Lausbubengeschichten von Ludwig Thoma, dieses höchst unsympathischen Knickerbocker tragenden und gekrümmten Pfeifen mit Deckel schmauchenden Fremdenhassers, war für mich bayerischer Bub stil- und phantasiegebend, wie bereits erwähnt insbesondere die Verfilmung derselben mit der Strengen Tante aus dem Hohen Norden, großgewachsen, mit rauchiger Stimme und starken weißen Zähnen. Ironischerweise war daher  nicht das Bild der kruden Kirchen- oder Schuldiener Projektionsfläche meiner Phantasie, sondern eine temporär Zugereiste, ein weibliches Nordlicht höchstselbst: hager, schlaksig, aber mir ansprechendem Gesicht und natürlich auch mit ihren strohblonden langen Haaren, weniger strohig als die der bayerischen Dirn.
Dann die rauchige Stimme, einer Stimme des Todes, irgendwo unlokalisierbar aus den hintersten Lappen ihrer Lungenflügel aspirierend, dass mich der depperte Tod aus verschlossenem Sarg heraus vermeinte entgegen zu raunen, woraufhin ich mich am liebsten unter dem Kinostuhl versteckt hätte. Elisabeth Flickenschildt hieß diese Dame, Vertreterin und Pendant zum bösen Onkel, aber nicht wie der mit der Rute fuchtelnd und mit Schlägen drohend, sondern noncholant den Neffen mit samtenen Engelszungen, wenn auch bizarr artikuliert, zu gemeingefährlichen und gemeinschaftsfördernden heimlichen Nacht- und Nebelaktionen verführend. Ihr voluminöses blendendes Pferdegebiss, frech und dreist grinsend, das einem die Haare im Nacken zu Berge standen, ihre breiten Wangenknochen mit hochaufgeschossener alles andere als gertenschlanke Gestalt sowie die rauheisenhafte Männerstimme ließ einem hinter dem Sitz verbarrikadieren.
Der neue wichtige Kulturaspekt, den die Menschen aus der ehemaligen DDR herübergerettet oder –gebracht haben, war ja der Typ des böses Onkels, wie gerade eine Zeile vorher beschrieben. Wie gesagt, kannte ich diesen Typen so nicht. Die Onkels bei uns waren immer gut Freund mit uns Jungen.
Aber eine „böse“ Tante hatte ich trotzdem. Sie war in der Tat die Schwester meines Bruders. Nur kam sie nicht aus dem eisigen Norden, sondern aus dem mehr südlicheren Osten. Groß war sie gleichfalls wie Liselotte Flickenschild, im Gegensatz zu meinem Vater, der der Laune der mendelschen Vererbungsgesetze mit einer kleinen Statur unterworfen war, insbesondere verdrießlich im Vergleich zu seinen großgewachsenen Söhnen.
Die große, nicht hagere Tante säuselte gleichfalls, aber nicht im reibeeisernen Diskant, sondern in einem „schwäbischen“ Dialekt, den ich sehr sympathisch und anziehend fand, weil anders klang. Und die Tante schwang auch nicht drohend die Reitgerte, sondern überzeugte mit ihrem süßen Ton einer weisen Hetzerin, von der ich mich gerne verführen und aufstacheln ließ.
Soviel zu bösen Onkels und noch böseren Tanten!
Buch erhältlich unter:

pentzw.homepage.t-online.de/literatur.html


© werner pentz

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Kommentare zu diesem Text

Graeculus (69)
(17.12.15)
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Dr.Frosch. (63)
(17.12.15)
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