Befürchtungen

Text

von  Saudade

Dass ich, kurz ein Ich-Text, weil es mich entspannt, Bindungsängste habe, das sagte ich, da sagte er: "Ich weiß das."

Überhaupt sagte er viel, ich ebenso. Wir sagen jeden Tag etwas, oft zweimal täglich rufen wir uns an. Dann sagen wir uns zwei Stunden alles, jeden Tag. Wir sagen auch, dass wir in dieser Zeit uns längst gesehen haben könnten, sehen uns oft untertags. Wir sagen, dass wir Freunde sind, sind eigentlich längst ein Paar. Das sagen auch die, die uns sehen, sagen, dass wir ein liebes Paar sind. Die Freundin sagt, es wird Zeit für einen lieben Mann, er ist ein lieber Mann. Das "lieber Mann" hat mich immer abgehalten, ich hatte noch nie einen lieben Mann. Er sagt, dass er mich nicht drängen wird, er drängt mich sanft, bedrängt mich nicht. Verliebt bin ich nicht, das war ich schon, längst vor 25 Jahren. Wenn er motorradfahren war, schreibt er mir nachher eine Nachricht, dass er gut nachhause gekommen ist, dann bin ich beruhigt. Er sagt, ich bin für ihn schön und mit mir kann er über alles reden. Ich sage, dass ich gerne mit ihm über alles rede. Er ist ein Mann, der eine Frau auf Händen trägt und selbst in schwierigen Zeiten für einen da ist, das weiß ich, ich kenne ihn. Für ihn gibt es nur DIE EINE, nicht alle. Er ist ein gutaussehender Mann, steht im Leben und ist älter als ich, genau acht Jahre. Für ihn, das sagt er, bin ich noch ein junges Puppi, dann lache ich. Überhaupt lachen wir viel. Angegriffen haben wir uns nie. Das ist noch nicht in meinem Kopf angekommen, dass ich ihn angreifen kann. Ich habe Angst vor Nähe. Seinem zu nah sein, das habe ich ihm gesagt. Er hat gesagt, er verstehe das. Er sagt, wir sollen morgen, statt telefonieren, spazieren gehen. Er wohnt ein paar Häuser weiter. Ich habe Panik vor dem Spaziergang. Ich hatte noch nie Panik in seiner Nähe, ganz im Gegenteil, wir standen uns immer nahe, aber da hatte er eine Freundin. Jetzt hat er keine mehr. Jetzt habe ich Panik. Meine Freundin sagt, dass es echt Zeit ist, ich sei 11 Jahre alleine, seit 2018 ganz alleine, ohne Nähe. Ich sagte, ich habe Nähe verlernt. Sie sagte, das verlernt man nicht. Ich denke schon. Ich sagte zu ihm, dass ich nicht mal mehr weiß, wie es ist, mit einem Mann intim zu sein, ob das nicht wie Fahrradfahren sei, sowas verlernt man nicht, oder? Da lachte er, sagte, dass er wisse, dass ich fahrradfahren hasse. Das fand ich kurios, das erzählte ich ihm vor Jahren, er merkt sich alles, was ich sage. Er ist ein Widder. Ich sagte, mein Vater sei auch einer, manchmal erinnere er mich an meinen Vater. Da lachte er wieder, sagte, jetzt können wir nicht mehr über das Fahrradfahren sprechen. Ich lachte auch, sagte: "Nein!" 

Aber, eigentlich sprechen wir mehr über Bücher. Er liebt sie. Letztens hat er mir die kommentierte Ausgabe von "Ulysses" geschenkt. Er schenkt mir immer Bücher. Er sagte, ein Ort ist kein guter Ort ohne Buchhandlung. Er hat ein Geschäft, was mir nicht wichtig ist, aber was mir wichtig ist, das ist Stabilität, nicht so ein stabilitätsloser wie B. oder ein übertrieben Stabiler wie P., dem nichts anderes wichtig ist wie Stabilität, die in Gier ausartete, nein, einfach nur Stabilität. In unserem Alter tut das gut. Ich sagte, wir müssen über eine Stiftungsgründung für seine Kinder sprechen, da nickte er. Sein Sohn ist beeinträchtigt, wohnt alle zwei Wochen bei ihm. Es ist wichtig, sagte ich, dass deine Kinder abgesichert sind. Er liebt seine Kinder überalles. Besonders den beeinträchtigten Sohn, liebevoller kann kein Vater sein. 

Wir reden viel. Mehr als viel. Er merkt sich alles und ich merke mir, was er sagt. P. hat sich kein Wort gemerkt, er fragte mich in zwei Jahren dreimal wo ich wohne. Das macht mich traurig. 

Mit P. habe ich mir körperlich alles vorstellen können, mit ihm nicht. Er berührt meinen Kopf auf ganz arge Art und Weise. Meine Freundin sagte, dass vielleicht genau das das Gesunde sei. Das "verliebt sein" ist bei uns immer toxisch. Sie sagte, dass ich liebe, ich weiß das, sagte ich, aber er ist nicht die große Liebe, so wie P. Sie sagte, dass P. immer die große Liebe bleiben wird, weil sie unerfüllt sei, vielleicht sollte ich es mit der Liebe ohne große probieren?

Ich bin unentspannt. Das erste Mal habe ich die Chance auf Liebe ohne große, die greifbar, angreifbar ist, ohne Drama, ohne Narzissmus, auf gleicher Augenhöhe, mit denselben Interessen, die auf Wertschätzung basiert, auf "Ich melde mich am Abend bei dir" und er meldet sich am Abend bei mir und ich habe Panik. 

Ein Mann, der sich entschuldigen kann und mir zum Geburtstag gratuliert, nicht so wie P., der mir nicht gratuliert hat. Ein Mann, der am Boden steht und fliegen gar nicht mag - ein Minuspunkt, aber der Einzige - und nicht nur in den Wolken hängt. "Der schönste Mann weit und breit", sagt man hier. Mein Mann, tatsächlich. Und ich habe Panik. 

Wovor?

Ich habe zum Geburtstag tatsächlich einen Mann bekommen. Das muss ich erst verdauen. 



Anmerkung von Saudade:

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Kommentare zu diesem Text


 Graeculus (11.06.25, 02:22)
Kaum anzunehmen, daß Du von uns einen Rat erwartest. Der versteht sich ja wohl von selber.
Daher stattdessen eine Prognose: Du wirst mit ihm spazierengehen, weil alles andere albern wäre, und danach wirst Du entspannt sein. Gesprungen. Geschafft!

 Saudade meinte dazu am 11.06.25 um 02:26:
Ich schicke dir ein Herz.

 Graeculus antwortete darauf am 11.06.25 um 02:33:
Danke. Ich komme in ein Alter, in dem ich ein Zweitherz gut brauchen kann.

So völlig unbekannt sind mir solche Bedenken - man hat ja schließlich seine Erfahrungen - übrigens nicht; aber ich möchte nicht von Panik, sondern eher von Skepsis sprechen. D.h. ich begegne einer neu kennengelernten Frau sozusagen mit gebremstem Schaum. Gut, daß es dazu passende Frauen gibt, die ebenfalls schon was hinter sich haben.

Übrigens: Ein Mann, der Bücher liebt und Bücher schenkt, der paßt schonmal in einer wichtigen Hinsicht zu Dir. Fliegen ist schöner? Nein, Fliegen ist nicht schöner.

 Saudade schrieb daraufhin am 11.06.25 um 02:42:
Er hat sogar viele viele Bücher :) Ich habe voll Panik, keine Ahnung wieso. Aber das habe ich bei jedem Mann. In den 11 Jahren schon zweimal bemerkt, da laufe ich davon. Er, hingegen, ist einfach perfekt für mich und NICHTS spricht dagegen. Das macht mich nervös. Wir kennen uns seit 25 Jahren. Er weiß, ich bin schwierig...

Antwort geändert am 11.06.2025 um 02:43 Uhr

 Graeculus äußerte darauf am 11.06.25 um 03:01:
Falls es sich um den Mann handelt, den Du gewöhnlich Deinen besten Freund nennst (das ist ja schonmal was!), dann erinnere ich mich allerdings an eine von Dir geschilderte unschöne Szene.
Nun, Du bist nicht nachtragend. Gut so.

Was ich bei Dir als Problem sehe, ist der Umstand, daß Du zum Schwärmen und Phantasieren neigst ... sofern der Mann nur weit genug weg ist. Wie bei P.

So, dieser Mann ist nicht weit weg. Er ist da. Er ist tatsächlich möglich für Dich. Nun kannst Dich durch Deine Panik beherrschen lassen (glaube ich nicht) oder es einfach einmal versuchen (glaube ich); alles andere wäre tatsächlich eine Schande.

 Graeculus ergänzte dazu am 11.06.25 um 03:03:
Und jetzt gehe ich schlafen. Ich möchte mich nicht von der aufgehenden Sonne außerhalb meines Bettes erwischen lassen.
Was wünsche ich Dir? Gute Nacht? Kann man bei Dir wohl vergessen. Also: einen schönen Spaziergang!

 Augustus (12.06.25, 13:20)
Es kommt viel darauf an, dass die Personen miteinander viel unternehmen. Ich sah, wie geschiedene Männer mit mehreren (nun erwachsenen) Kindern, allein stehende begüterte Frauen beeindrucken konnten, in dem sie tüchtig und unternehmungslustig sind. 

Genau diese beiden Eigenschaften führen zu einer gesunden Aktivität einer Beziehung. Der Kerl kremmpelte den ganzen Garten um der Frau, möblierte das Jaus um. Bepflanzte den Vorgarten. Fuhr in die Baumärkte. Wobei gerade auch diese seine Nützlichkeit ihm auch gewisse Daseinsberechtigung gab, als „Macher“ betrachtet werden zu können, und so gleich seine Fähigkeiten als Praktiker präsentieren zu können. Also, Tatkraft war auch in vorliegendem Fall fruchtbar. 

 Saudade meinte dazu am 12.06.25 um 14:11:
Das ist mir wurscht. Gegenseitige Wertschätzung ist wichtig.
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