Machtstrategie: Sprachkaperung - heute: objektiv

Betrachtung zum Thema Achtung/Missachtung

von  dubdidu

"Sprache, ach! Fantastisch! Was mit ihr nicht alles möglich ist: Witz, Vielschichtigkeit, Genauigkeit!"; denken alle Literaturbegeisterten. Scheinbar nicht. Meine liebe Freundin Sprache wird täglich mehrmals vergewaltigt, Bedeutungen von Wörtern werden vertauscht, verzerrt, wie es Ideologie und Ego gerade passt. Dabei kommen abenteuerliche Aussagen heraus; ganz ohne spannend oder anregend zu sein. Leider.


Sprache spiegelt die Machtverhältnisse wieder, ist selbst Macht. In der (noch) postreligiösen, Wirtschaftsleistungsgesellschaft, in der die Regierung mehrheitlich von bildungsfernen Lobbyisten gestellt wird, haben solche Begriffe einen hohen Stellenwert, die aus dem Bereich der Wirtschaft entlehnt wurden. Auch Begriffe, die sich auf naturwissenschaftliche Ideale beziehen, haben rein formal einen einigermaßen hohen Stellenwert; obwohl sie inhaltlich seit ein paar Jahren in Zusammenhängen verwendet werden, die ihre Bedeutung ignoriert und konterkariert; man denke an die zahlreichen haltlosen, irrwitzigen Behauptungen, die manchen als alternative Fakten gelten.


Jene gesellschaftlichen Kräfte, welche die Postfaktizität und damit Sprachvergewaltigung voll Aggressionslust und Zerstörungswut vorantreiben, sind leider vollkommen fantasielos. Nicht in der Lage, eine neue Sprache zu ersinnen, das lässt sich schließlich nicht von Trieben erledigen, nutzen sie dafür die bisherige Sprache und zwar vor allem solche Begriffe und Tropen mit hohem Stellenwert, die also allein durch die Verwendung geneigt sind, kollektive und individuelle Machtpositionen zu stärken. Man wirft also seine Meinung in Schale. Mehr ist nicht dahinter.


Jetzt hat es also auch objektiv erwischt. Objektiv bedeutete vormals


a) unabhängig vom Subjekt und seinem Bewusstsein

b) sachlich


Umso erstaunter ist ein Sprachliebhaber, entdeckt er Äußerungen in denen ein Urteil, das aus wertenden Adjektiven wie düster und schwülstig besteht, von der urteilenden Person selbst als objektiv bezeichnet wird; selbstverständlich ohne jeden Textbeleg. Der Text allerdings wäre das Objekt gewesen.


Mit Hilfe der Macht, die mit dem Begriff objektiv assoziiert wird, wird so dem subjektiven Urteil der Person und damit ihrem Ego mehr Macht zuteil. Ziemlich billige Strategie, funktioniert aber.


PS: Allein die Tatsache, dass es Machtstrukturen gibt, ist kein Grund, sie unkritisch zu reproduzieren.


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Kommentare zu diesem Text


 niemand (25.07.25, 15:46)
Mir fällt zum "Sprachverhunzen" eigentlich nur diese irrsinige Genderei ein.
Ich habe diesbezüglich schon Dinge gelesen [vor allem seitens einer Behörde]
bei denen sich mir die Fußnägel krümmten. Ansonsten stehe ich einer
dichterischen Freiheit positiv gegenüber, besonders in humorvollen/satirsichen
Elaboraten. Mir gefallen gute Neulogismen, allerdings möchte ich diese nicht  unbedingt in öffentlichen Briefen und Dokumenten sehen.  
Dem Dichter hingegen, oder dem welcher sich für einen solchen hält,
" erlaube " ich persönlich [welch Großzügigkeit meinerseits]    :D 
so ziemlich alles, auch wenn ich vieles nicht verstehe.
LG niemand

 dubdidu meinte dazu am 26.07.25 um 10:20:
niemand, natürlich spreche ich mich grundsätzlich nicht gegen Wortneuschöpfungen aus, entscheidend sind die Bezüge, auf denen sie aufbauen. Metaphorisch gesagt: in einen Kuchen gehören ein paar Standardzutaten, auch wenn man die eine oder andere ersetzen oder weglassen kann, wenn ein Kind Sand in ein Förmchen füllt, mag es der Form nach aussehen wie ein Kuchen, aber es wird nie einer werden.

 niemand antwortete darauf am 26.07.25 um 15:42:
Du hast hier ein gurtes Beispiel dafür geliefert, dass die Form alleine
nichts ist, außer eine Äußerlichkeit. Man mag beides "Sandkuchen"
nennen  ;)  aber nur einen davon wird man essen können.
Nichts gegen eine Form prinzipiell. Sie kann den Inhalt noch durch ihre Ästhetik aufwerten, aber keinesfalls ersetzen. Das denke ich mir immer wieder besonders bei gereimten Gedichten. Ist man zu stark auf die Form konzentriert [nach allen Regeln der Kunst] kann sein man vergißt, dass der Inhalt einen höheren Stellenwert haben sollte.
Wenn beides stimmt, was nicht immer der Fall sein mag, dann ist das Ganze etwas Besonderes. LG niemand
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