Krebs

Text

von  Saudade

Mit Emilys Diagnose verlor Richard seine Worte. Er, der stets sprudelte, einen ganzen See Worte aussprach, schöne, zärtliche, erotische, liebevolle Sätze in ihre Richtung formulierte, verstummte ganz. Der Krebs fraß sich durch ihre Verbindung. 

Wenn er etwas sagte, dann fragte er nur, wie es ihr denn gehen würde, was der Arzt gesagt hat. Sie existierte als Mensch gar nicht mehr, sondern nur noch die Krankheit. Die entfraute sie komplett, sie wurde zum Diagnoseblatt. 

Sie sieht ihn traurig an, denkt "Have I told you lately that I love you? Have I told you there's no one else above you?"*,
schweigt aber, jeder Versuch zuvor, ihre Gefühle auszudrücken, prallte ab. 
Seine Angst und Nervosität war spürbar. Nie zuvor fragte er sie etwas, sagte immer nur, was sie in ihm Schönes auslöste. 
"Geduld" oder "Hab keine Angst," auch "Mach dir keine Sorgen!" halfen nichts. Er war nicht mehr fähig, die Krankheit aus seinen Worten zu entfernen. Egal, was sie sagte, es machte ihn nervös. 
Sie überlegte, sollte das nicht gut ausgehen, obwohl sie durchaus tapfer ist, alles über sich ergehen lässt, dann hätte sie nicht einmal schöne Worte gehört, die ihr Trost geben. Das machte sie traurig und sie begann ebenfalls zu schweigen. Es tat ihr nur noch weh, wie er litt. Nein, er gab es nicht zu, sagte: "Alles gut!", aber nichts war gut. Und so wurde das Schweigen zur aggressiven Metastase im Gefühlsleben der Beiden. 
Sie vermisste seine Leichtigkeit, mehr als alles Andere. 




Anmerkung von Saudade:

Rod Steward: "Have I told you lately that I love you?"

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Kommentare zu diesem Text


 tueichler (18.08.25, 23:01)
‘entfraut’ - gelungen!

 Saudade meinte dazu am 19.08.25 um 00:17:
Danke.

 Graeculus (19.08.25, 00:12)
Das ist aber eine schwierige Situation (und gut beschrieben)! Ich kann beide Beteiligten verstehen: Die Frau möchte soviel wie möglich von ihrem normalen Leben und ihrer Liebe bewahren, während der Mann erschüttert und sprachlos ist angesichts des drohenden Verlustes.
(So fasse ich es jedenfalls auf.)
Für mich ist beides jenseits dessen, was man tadeln kann, und zum Glück suggeriert Dein Text auch nicht, es sei etwas falsch daran. Nur traurig ist es. Auch die Liebe hat ihre Klippen, an denen sie Schiffbruch erleiden kann.

 Saudade antwortete darauf am 19.08.25 um 00:16:
Nie hätte es jemand besser analysieren können. Danke.

 Graeculus schrieb daraufhin am 19.08.25 um 00:24:
Das mag daran liegen, daß ich schiffbrucherprobt bin. Es ist manchmal zum Verzweifeln, wie man sich voneinander entfernt und nichts dagegen tun kann.

Vielleicht hier nicht ganz passend, aber doch großartig hat Erich Fried das ausgedrückt:

Durcheinander

Sich lieben
in einer Zeit
in der Menschen einander töten
mit immer besseren Waffen
und einander verhungern lassen
Und wissen
Daß man wenig dagegen tun kann
und versuchen
nicht stumpf zu werden
Und doch
sich lieben

Sich lieben
und einander verhungern lassen
Sich lieben und wissen
daß man wenig dagegen tun kann
Sich lieben
und versuchen nicht stumpf zu werden
Sich lieben
und mit der Zeit
einander töten

 Saudade äußerte darauf am 19.08.25 um 00:36:
Seufz.

 Saudade ergänzte dazu am 19.08.25 um 01:16:
Da habe ich einen Buchtipp...
https://www.perlentaucher.de/buch/julian-barnes/lebensstufen.html
Julian Barnes, den ich sehr verehre, schreibt über den Tod seiner Frau. Aber zuvor erzählt er eine ganz andere Geschichte und es scheint, als ob er erst eine Zeit brauchen müsste, um die Wortlosigkeit betreffend des Todes überwinden zu können. So etwas Berührendes habe ich schon lange nicht gelesen.

Antwort geändert am 19.08.2025 um 01:24 Uhr
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