Ein weiteres Totengespräch

Satire zum Thema Tod

von  Graeculus

CARACALLA (1): Alexander, du hier! Gerade bin ich von meiner Ermordung hier angekommen, da treffe ich als erstes auf dich, mein großes Vorbild!

ALEXANDER: So, dein Vorbild bin ich? Die zahlreichen von dir hier eingelieferten Toten haben schon viel von dir berichtet. Sogar in meiner Stadt hast du ein Massaker angerichtet. Und da soll ich dein Vorbild sein?

CARACALLA: Gewiß doch! Und diese unbedeutende Szene in Alexandria, da haben sich Spötter über mich lustig gemacht, das konnte ich doch nicht durchgehen lassen. Aber nie habe ich aufgehört, den Kopf so zu halten, wie du es getan hast: leicht schräg nach rechts.

ALEXANDER: Habe ich das getan? Bin ich deshalb berühmt? Aber schau nur, hier sind unsere Schädel senkrecht wie eine Kerze.

CARACALLA: Und noch eines haben wir gemeinsam: Wir haben für viel Nachschub hier im Hades gesorgt. Wir beide, das kannst du nicht bestreiten.

ALEXANDER: Aber ich habe ein Reich dabei gegründet und meinen Namen in die Welt getragen. Was aber hast du geleistet außer Menschen zu töten, beginnend mit deinem eigenen Bruder?

CARACALLA: Thermen habe ich errichten lassen, größer als alle anderen, und sämtlichen Bewohnern des Reiches das römische Bürgerrecht verliehen. Nach dir mag eine große Stadt heißen, nach mir heißt eine große Vergnügungsstätte.

ALEXANDER: Das bleibt doch im Niveau etwas zurück, meinst du nicht? Aber lassen wir doch den über uns urteilen, der mein Vorbild war und damit indirekt auch deines: den unübertrefflichen Achill.

CARACALLA: Oh, den möchte auch ich kennenlernen! Wie finden wir ihn denn hier?

ALEXANDER: Ich weiß, wo er sich gewöhnlich aufhält: Aber seit ihm ein Neuankömmling einen sprechenden Knochen hereingeschmuggelt hat, ist er kaum noch für etwas anderes zu erreichen. Gehen wir einfach einmal zu ihm. – Da ist er ja! Schnellfüßiger Pelide, wir ...

ACHILL: Moment, ich bin gerade beschäftigt! (Spricht in ein Handy.) Hallo! Hallo, ist dort das Jobcenter in Monachia? –
München sagt man jetzt? Gut. Ich möchte gerne eine Stelle als Tagelöhner in Ihrer Stadt annehmen. (2) –
Ich bin Grieche, momentan tot. Ich erstrebe dringend eine Veränderung. –
In Griechenland bleiben? Dort ist das Stellenangebot nicht so gut. Außerdem kennen mich da zu viele. –
Keine Aufenthaltserlaubnis? Migrationsproblem? Bayerische Staatsregierung sagt ... Meinen Sie, wir leben hier im Hades hinter dem Mond? Griechenland gehört zur EU! Es gilt Freizügigkeit im gesamten EU-Gebiet! –
Was soll das heißen: Der Hades gehört nicht zur EU, und ich gelte als Asylbewerber? Also sind Sie nicht bereit ... Hallo! Hallo! –
So, was wollt ihr beiden Skelette denn von mir? Ich bin gerade in der Stimmung, jeden mit dem Schwert niederzustoßen, wenn ich eines hätte.

ALEXANDER: Ach, nichts. Das hat Zeit bis ein andermal. Wir sind ja noch lange hier.



Anmerkung von Graeculus:

(1) Caracalla: römischer Kaiser 211-217 u.Z.; unter seiner Regierung wurden die riesigen Caracalla-Thermen in Rom errichtet. Er gilt als brutaler Tyrann (u.a. ein Massaker an der Bevölkerung Alexandrias) und wurde ermordet.

(2) Laut Homer (Odyssee XI 488-491) sagt Achill (Sohn des Peleus, Pelide) zu Odysseus, als dieser ihn in der Unterwelt besucht:
„Sage mir ja kein verschönendes Wort für den Tod, mein Odysseus!
Strahlender! Lieber wäre ich Knecht auf den Feldern und fronte
Dort einem anderen Mann ohne Land und mit wenig Vermögen;
Lieber tät‘ ichs als herrschen bei allen verstorbenen Toten.“

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Kommentare zu diesem Text


 Teichhuepfer (05.09.25, 08:06)
Es war doch in der Geschichte von Griechenland, daß sich die Ägypter, der Orient zeigte.

Teichi

 Graeculus meinte dazu am 05.09.25 um 22:16:
Ja, Ägypten und der Orient spielten in der Geschichte des antiken Griechenland eine wichtige Rolle.
Zum Beispiel hat Alexander der Große dort viele Städte mit Namen Alexandria gegründet. Die berühmteste ist das Alexandria in Ägypten, das bis heute noch so heißt.

 Augustus (05.09.25, 11:28)
Amüsant. Achill könnte dennoch Asyl beantragen und erhalten, wenn er folgende Argumentation wählt. Es stellt sich im Anschluss eine weitere Frage, die unlösbar bleibt.  
Insofern Hades ausschließlich Tote aufnimmt und sie ewig bei sich behält, so ist dies des Hades politische Richtung. Er verhindert das Weiterleben und zwingt die Toten auf ewig tot zu sein. 
Diese Kriterien können bereits die Asylanforderungen erfüllen. Bayern könnte dagegen so argumentieren; Tote, die bereits tot sind, können nicht mehr um das Leben bedroht werden. Hades behandele darüber hinaus alle gleich gerecht. 

Die Frage, die sich dann stellt, ist, falls ihm das Asylrecht gewährt wird, wie gelangt er aus dem Totenreich nach Bayern? Folgt hier das nächste Fiasko: er soll mit der deutschen Bahn fahren

Wäre sicherlich eine amüsante Fortsetzung. Wobei Odysseus besser ins Bild als Achill gepasst hätte. 

PS: Du erwähnst Hades als das Reich der Toten. Meinst Du damit auch gleichzeitig den Herrscher selbst, den Hades, oder ist der Name des Totenreichs unabhängig vom Herrscher gewählt. 

 Graeculus antwortete darauf am 05.09.25 um 22:24:
In gewissem Sinne ist der Hades (gemeint als Unterwelt) eine Zwangsanstalt. Das könnte man als Asylgrund geltend machen.
Kann man da durch Flucht wieder rauskommen? Einzelne Fälle sind überliefert, in denen jemand den Hades wieder verlassen hat.

Selbst wenn Achill dies gelingt und er mit der Bahn (die Deutsche Bahn dürfte an seinem Startort Hades Hauptbahnhof nicht fahren) nach Deutschland kommt, würde man ihm aktuell wohl zweierlei entgegenhalten:
1. Er hätte im ersten sicheren Land Asyl beantragen müssen (Dublin-Abkommen).
2. Als Asylbewerber dürfte er in Deutschland nicht arbeiten.

Achill hat da einiges nicht bedacht. Die Leute im Hades sind halt nicht immer auf dem Laufenden.

Es gibt sicher Variationsmöglichkeiten für diese Geschichte.
Besser: Fortsetzungsmöglichkeiten, denn dies hier läuft ja in der Reihe Totengespräche, die Saudade, J.B.W. und ich uns ausgedacht haben ... in der Tradition Lukians, der sich das Genre ausgedacht hat.

 Saira (05.09.25, 11:49)
Moin Wolfgang,
 
herrlich, wie Alexander der Große und Caracalla im Totenreich darum streiten, wer von ihnen berühmter ist, als ob es wirklich wichtig wäre, wie viele Menschen sie besiegt oder wie viele Denkmäler sie hinterlassen haben. Im Reich der Toten sind sie alle gleich, und ihr Streit wirkt plötzlich sinnlos.
 
Dann kommt Achill hinzu: Früher war er ein großer Held, jetzt sucht er im Jenseits einen Job und muss sich mit Bürokratie und Problemen wie ein ganz normaler Mensch herumschlagen. Und nicht nur das, du greifst mit Achill im Münchner Jobcenter aktuelle Themen wie Migration und Arbeitslosigkeit auf.
 
Köstlich!
 
Liebe Grüße
Saira

 Graeculus schrieb daraufhin am 05.09.25 um 22:30:
Es ist ein im Grunde alberner Streit, vor allem wenn er darum geht, wer als Menschenmörder erfolgreicher war.

Was ist sonst von ihnen geblieben?
Von Alexanders Alexandria ist kaum etwas erhalten in der modernen Stadt.
Caracallas Thermen sind eine Ruine, wenn auch eine beeindruckende. Hast Du sie einmal gesehen in Rom?
Achill ist als Held in Erinnerung geblieben ... und in Form der Achillesferse, was dann zur Achillessehne geführt hat. Hier in der Unterwelt ist er ein armer Teufel, wie er es auch gemäß Homer eingesteht.

Und die armen Teufel, die kommen bei uns an die Grenze.

Ich danke Dir herzlich,
Wolfgang

 Saira äußerte darauf am 06.09.25 um 09:58:
Lieber Wolfgang,
 
nein, leider war ich noch nie in Rom. Die Caracalla-Thermen kenne ich bisher nur von Bildern und aus Berichten. Aber schon allein die Vorstellung, durch diese Ruinen zu gehen und die Geschichte zu spüren, fasziniert mich sehr. Vielleicht ergibt sich ja irgendwann die Gelegenheit, das einmal nachzuholen.
 
Herzliche Grüße
Saira

 Graeculus ergänzte dazu am 06.09.25 um 18:11:
Rom ist eine Reise wert. Ich war immer wieder tief beeindruckt, an Plätzen zu stehen, auf denen es schon vor 2000 Jahren Kultur gab.
Ich kann es jedenfalls empfehlen, auch wenn ich Deinen Geschmack in Sachen Reisen nicht kenne.
Allerdings rate ich zu einer Jahreszeit, in der nicht auf einen Römer zwei Touristen kommen. (Selbst dann kann man relativ unbelästigt über den "Friedhof der Unkatholischen" schlendern und am Grab von John Keats verweilen.)

Gute Wünsche!
Wolfgang

 dubdidu (05.09.25, 15:07)
Ja, gelungen und witzig! Glaubst du wirklich, Alexander hätte das Smart Phone als Knochen gesehen? Oder handelt es sich um einen alten Telefonhörer, die ab Mitte der 90er von schnurlosen Telefonen abgelöst wurden.

Mir würde ja auch ein Gespräch von Sokrates und Merz gefallen..

Textfremde Frage. Hast du das Kriegstagebuch von Peter Hagendorf gelesen? Lohnt sich die Anschaffung zu dem recht hohen Preis?

 Graeculus meinte dazu am 05.09.25 um 17:23:
Ich kenne für Handys die Bezeichnung Laberknochen. Offenbar besteht zumindest heute diese Assoziation. Sie ist die einzige, die mir für den Horizont eines antiken Menschen eingefallen ist. Ein Kästchen ist es nicht, denn das müßte man ja öffnen können.
Fällt Dir etwas Besseres ein?

Das Buch von Peter Hagendorf kenne ich überhaupt nicht. Immer wieder erschreckend, wie viele Bücher man nicht kennt.

 dubdidu meinte dazu am 05.09.25 um 20:52:
Habe schon überlegt, welchen platten, flachen, rechteckigen Gegenstand es damals gegeben haben könnte, bisher ist mir nichs eingefallen...

Ja. Eine Aussage über meine Zukunft kann ich mit Sicherheit treffen: ich werde bis zu meinem Tod nicht nur nicht alle (für mich) interessanten Bücher gelesen haben, ich werde nicht einmal wissen, was mir entgangen ist. Dieses Hagendorf -Tagebuch scheint sehr interessantes Zeitzeugnis zu sein: https://de.wikipedia.org/wiki/Peter_Hagendorf.

 Graeculus meinte dazu am 05.09.25 um 22:36:
Du hast ja einen kritischen Literaturverstand; da freut es mich besonders, daß Dich mein Text erheitert hat.

Ich glaube, das mit dem Knochen können wir stehenlassen. Etwas, das tatsächlich wie ein Handy aussah, gab es zu Achills Zeit wohl nicht.
Wohl aber einen Laptop:



 Graeculus meinte dazu am 05.09.25 um 22:37:
Was das Lesen angeht, so lese ich sehr viel und gegenwärtig etwa zur Hälfte neuere Romane und Bücher zur Antike.

 dubdidu meinte dazu am 06.09.25 um 22:02:
Haha, stimmt, die Laptop-Form gab es. Ich stelle mir auf jeden Fall vor, dass ein durchschnittler Mensch der Antike sehr viel mehr und unterschiedlich aussehende Knochen zu Gesicht bekommen hat als ich. Also mein Vorstellungsvermögen ist diesbezügl. schon sehr begrenzt. Aber könnten sie ein Smart Phone nicht auch als Scherbe wahrnehmen?

Apropos: welche Übersetzung des Lehrgedichts Vom Schein zum Sein des Parmenides empfiehlst du, bzw. gibt es eine Ausgabe, die mehrere Übersetzungen nebeneinander stellt? Ich habe gerade Theunissens Ausführungen dazu gelesen und würde mein Verständnis gerne vertiefen.

 Graeculus meinte dazu am 06.09.25 um 23:51:
An eine Scherbe (Ostrakon) habe auch ich mal gedacht. Die aus der Archäologie bekannten sind allerdings genau das: asymmetrische Scherben.

Ich habe fünf oder sechs Übersetzungen des Parmenides. Welche davon "die beste" ist, könnte ich auf Anhieb nicht sagen. Käme es nicht auf eine kleine, handliche und preisgünstig erhältliche an? Ich meine, Du wirst Dir nicht gleich den kompletten Diels-Kranz (oder eine sonstige Gesamtausgabe der Vorsokratiker) zulegen wollen, oder?

 dubdidu meinte dazu am 07.09.25 um 00:27:
Ja, die Rechtwinkeligkeit ist ein Problem des Scherbenbildes. Nicht ausgeschlossen, dass mal so eine vorkam, aber sehr unwahrscheinlich, dass sie häufig vorkamen..

Mir käme es darauf an, dass die Übersetzung für jemanden erläutert sind, der die Originalsprache nicht beherrscht, aber genug linguistische Vorbildung hat, um sich grundsätzlich in  übersetzungstechnische Abwägungen hineindenken zu können. Am liebsten wäre mir eine Ausgabe, die mind. zwei Übersetzungen erläuternd gegenüberstellt. Gibt es das?

 Graeculus meinte dazu am 07.09.25 um 00:32:
Am liebsten wäre mir eine Ausgabe, die mind. zwei Übersetzungen erläuternd gegenüberstellt. Gibt es das?

Kommentierte Ausgaben gibt es, und selbstverständlich auch zweisprachige (Original + Übersetzung). Daß es eine Ausgabe mit mehreren Übersetzungen gibt, bezweifle ich, kenne jedenfalls keine.

Interessant an sich. Aber ich weiß nur von einem einzigen Fall: Lao Tse. Da steht eine wörtliche Übersetzung (gemäß chinesischer Grammatik) neben einer in normaler deutscher Sprache.

 Graeculus meinte dazu am 07.09.25 um 00:43:
Hier sind mal zwei kommentierte Ausgaben mitsamt Originaltext:

Parmenides. Die Anfänge der Ontologie, Logik und Naturwissenschaft. Die Fragmente herausgegeben, übersetzt und erläutert von Ernst Heitsch. München 1974 (Tusculum-Bücherei)

Parmenides: Vom Wesen des Seienden. Die Fragmente, griechisch und deutsch. Herausgegeben, übersetzt und erläutert von Uvo Hölsch. Frankfurt/Main 1986 (stw 624)

Antwort geändert am 07.09.2025 um 00:43 Uhr

 dubdidu meinte dazu am 07.09.25 um 02:09:
Daß es eine Ausgabe mit mehreren Übersetzungen gibt, bezweifle ich, kenne jedenfalls keine.
Schade. Da die Auseinandersetzung von Theunissen Deutung im direkten Zusammenhang mit Übersetzung behandelt, müsste ich eigentlich mindestens zwei Übersetzungen kontrastiv lesen. Aber dann lese ich die beiden, die du empfiehlst, danke!



Da steht eine wörtliche Übersetzung (gemäß chinesischer Grammatik) neben einer in normaler deutscher Sprache.

Das fände ich perfekt!

 Teichhuepfer meinte dazu am 07.09.25 um 09:02:
Das hört sich aber in Richtung Arabien gut an ...

Teichi
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