Ein Totengespräch

Satire zum Thema Literatur

von  Graeculus

Homer: Nenne mir, Fremder, den Namen, den Papa dir einst gegeben.

Lukian: Ich fasse es nicht! Das ist doch ... wahrhaftig, Homer, den sie den Lehrer Griechenlands nennen! Gleich habe ich dich erkannt an deinem wallenden Haar, dem starken Bart und vor allem den blinden Augen. Gerne will ich mit dir sprechen, doch tu mir die Liebe, es nicht in Hexametern zu machen. Ein Lyriker war ich nie. Sprichst du nicht auch Prosa?

Homer: Versuchen will ich es. Obwohl ich nach 48.000 Versen schon so weit war, selbst beim Einkaufen in Hexametern zu sprechen. – Es freut mich, daß du mich erkannt hast, haben doch nicht wenige Menschen, Törichte!, behauptet, daß es mich gar nicht gegeben habe. Blind bin ich übrigens nicht, nur sehr stark kurzsichtig; da hat die Überlieferung, wie sie es meist tut, übertrieben. – Doch sag mir an, immer noch weiß ich deinen Namen nicht.

Lukian: Lukian ist mein Name, gebürtig aus der schönen Stadt Samosata in Asien. Gelebt habe ich Jahrhunderte nach deiner Zeit, auch wenn weder ich noch sonst jemand wissen, wann genau deine Zeit war. Schriftsteller war ich wie du, wenngleich in anderem Stil. Doch die Götter, die du erfunden – ich nehme an, du hast sie erfunden -, über die habe auch ich viel geschrieben. – Was mich aber über die Maßen erstaunt, mein Bester, ist der Umstand, daß ich dich hier als Schatten im finsteren Hades treffe. Sicher war ich mir, daß Radamanthys, der Richter der Toten, wenn überhaupt einen Sterblichen, dich in die elysischen Gefilde versetzt hat.

Homer: Ach, sprich nicht davon! Mein Gerichtsverfahren war ein Desaster. Vorgeworfen wurde mir, ich hätte die Götter herabgesetzt, indem ich sie als Ehebrecher, Knabenschänder und Kriegslüsterne dargestellt hätte. So soll ich dem Glauben der Menschen an sie geschadet haben. Dabei wollte ich doch ...

Lukian: Das ist ja ein hübsches Zusammentreffen! Mich hat man in den Hades geschickt, weil ich die Götter lächerlich gemacht haben soll. Nicht wie böse, aber doch ganz so wie ziemlich alberne Menschen. Ich sehe es noch vor mir, wie Radamanthys mir mit flammenden Augen meine „Göttergespräche“ unter die Nase gehalten und ausgerufen hat, für mich sei der Hades noch zu schade.

Homer: Wir konnten beide nicht daran glauben, daß die Götter einfach nur edel und verehrungswürdig sind. Gehört habe ich jedoch durch Neuankömmlinge, es sei lange nach mir eine Sekte entstanden, welche die Zahl der Götter rigoros auf einen einzigen reduziert und diesen als lauter Liebe gepriesen hat. Dann müssen ja friedliche Zeiten entstanden sein auf der sich weithin erstreckenden Erde.

Lukian: Oh, diese Sekte kenne ich. Auch über die konnte ich nichts als spotten. Aber ich will dir etwas sagen: Siehst du die riesige Masse von Schatten dort unten im Tal?

Homer: Nein.

Lukian: Ach, ich vergaß, du bist ja blind, nein kurzsichtig. So sage ich es dir denn: Das sind die Schatten dieser Sekte, die sich Christen nennen. Das mit Liebe und Frieden haben sie nicht hinbekommen.

Homer: Dank sei den Göttern! Die Welt ist nicht so, wie manche sie gerne hätten. Und wie die Welt, so die Götter. - Wissen möchte ich wohl gerne, wer es denn eigentlich ins Elysium geschafft hat.

Lukian: Diejenigen, so denke ich, die allezeit davonkommen, weil sie genug Geld haben, um den Richter zu bestechen.

Homer: Du bist wahrlich ein Spötter, mein Freund. Aber du befolgst – und sicher auch beim Schreiben – eine Regel, die ich hier kürzlich von jemandem vernommen habe, der sich Billi Weilder oder so ähnlich nannte und als Filmregisseur bezeichnete – was immer das sein mag. Er sagte, die heiligste Regel der Künstler sei: Du sollst nicht langweilen! Und sowas können wir gerade hier im Hades wahrlich brauchen. Magst du mir von deinen Geschichten etwas vortragen?



Anmerkung von Graeculus:

Die Totengespräche gehören zu den literarischen Genres, die Lukian, ein Autor des 2. Jhdts. u.Z., erfunden hat.

Hinweis: Der Verfasser wünscht generell keine Kommentare von Isensee und Anfank.

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Kommentare zu diesem Text


 Anfank (23.08.25, 00:05)
Obwohl Du langweilst, langweilst Du nie, lieber Wolfgang

 Saudade (23.08.25, 00:07)
Hahhaha... meine Lieblingsstelle ist 

48.000 Versen schon so weit war, selbst beim Einkaufen in Hexametern zu sprechen.
Ich hätte "Aldenes" oder sowas erfunden..😂😂😂

 Graeculus meinte dazu am 23.08.25 um 00:21:
Was meinst Du mit "Aldenes"?

 Saudade antwortete darauf am 23.08.25 um 00:51:
Einkaufen bei Aldi auf Griechisch.

 Saudade schrieb daraufhin am 23.08.25 um 01:06:
Spannend wäre auch ein Dialog zwischen Homer und Dantes. Irgendwie schon. Das hast du hier großartig gemacht und ich habe jetzt Lust Lukian zu lesen!

 Graeculus äußerte darauf am 23.08.25 um 17:06:
Homer und Dante, das ist eine überlegenswerte Konstellation. Allerdings ist Vergil - Dante ja schon in der Göttlichen Komödie angelegt. Ist das dort gelungen? 
Ich habe das Gefühl, daß für Homer und Vergil Dantes Welt eine völlig fremde ist, während umgekehrt Dante ja mit der Antike etwas anfangen konnte. Allerdings hat er m.E. keine echte Brücke der Verständigung zu ihr geschlagen.

Allerdings kann man auch aus dem Scheitern von Kommunikation literarisch etwas machen.

Ich warte einmal ab, ob dieses Projekt eine Fortsetzung findet. Interessant war es schon jetzt.

 Saudade ergänzte dazu am 23.08.25 um 17:53:
Du magst die Göttliche Komödie nicht? Das überrascht mich jetzt sehr.

 Graeculus meinte dazu am 24.08.25 um 15:56:
Ich finde die beiden ersten Teile - Inferno und Purgaturio - sehr interessant (lehrreich), während mich der dritte - Paradiso - nach kurzer Zeit gelangweilt hat.
Aber begeistert war und bin ich nicht davon, dazu bin ich zu heidnisch.

Wie Dante umstandslos seine politischen Gegner in die Hölle gesteckt hat ... sehr christlich ist das ja nun nicht. Oder ist gerade das christlich?

Du magst Dante? Was gefällt Dir daran?

 Saudade meinte dazu am 24.08.25 um 18:09:
Nein, ich mag ihn nicht. Habe aber Ehrfurcht vor der großen Leistung und wenn ein Buch Jahrhunderte berühmt bleibt, muss es ja irgendwas haben... mir bleibt das Werk leider verschlossen.

 Graeculus meinte dazu am 24.08.25 um 18:19:
Ah.
Nun, Dante hat die mittelalterliche Theologie sprachgewaltig "verdichtet". Bei aller Anerkennung dafür bleibt es doch mittelalterliche Theologie.
Diese spielt sogar in seine Liebeslyrik ("Vita nova") hinein.

 Saudade meinte dazu am 24.08.25 um 18:21:
Ja, aber das muss man doch im Kontext der Zeit sehen, nicht?

 Graeculus meinte dazu am 24.08.25 um 22:36:
Wenn man ihn verstehen will, klar. Doch wenn es darum geht, ob man ihn - verstanden - liebt oder nicht, muß ich sagen, daß er mein Herz nicht erreicht.
Aber darin unterscheiden wir uns ja anscheinend nicht.

 J.B.W (23.08.25, 08:23)
Ich muss gestehen, auch wenn mir die Ilias und die Odyssee geläufig sind und ich sie gelesen habe, bin ich kein Homer-Kenner und Lukian war mir bisher nur als Name bekannt - im Hinterkopf abgespeichert im Zusammenhang mit den Totengesprächen.

Nachdem ich mich jetzt wieder kurz etwas belesen habe muss ich eine Nachfrage stellen:

Wäre bei einem solchen Gespräch nicht zu erwarten, dass, wenn die beiden auf die Christen und ihren einen Gott zu sprechen kommen, Lukian Homer damit auf spöttisch Weise ärgert? Also in dem Sinn,  dass ein Zimmermannsgott seinen großen Zeus vom Thron gestoßen hat, in den Augen des Volkes? Und Homer würde die Evangelien evtl. als eine Art "neue" Osyssee betrachten: eine lange leid volle Reise und letztendliche Rückkehr zum Göttlichen 🤔...

Naja, ich denke es sollte ja unterhaltsam / satirisch bleiben und weniger ein philosophisch / theologischer Vergleich der Grund positionen werden, von daher ebenfalls schön gemacht.

Ich bin demnächst auch soweit... 😅✌🏻

LG
Janosch

Kommentar geändert am 23.08.2025 um 08:24 Uhr

Kommentar geändert am 23.08.2025 um 08:25 Uhr

 Graeculus meinte dazu am 23.08.25 um 17:08:
Man hätte einen längeren Text daraus machen, mehr Gesprächsthemen darin unterbringen können.
Sowas gerät mir aber leicht zu akademisch, was ich hier auf keinen Fall wollte. Du schreibst das auch selbst.

Dein eigener Versuch: erstklassig.

 Saudade meinte dazu am 23.08.25 um 17:54:
Das Projekt macht richtig Spaß.

 J.B.W meinte dazu am 23.08.25 um 17:59:
Allerdings 🙂

 Graeculus meinte dazu am 24.08.25 um 15:57:
Das freut mich sehr!
Und es ist auch schon Gutes dabei herausgekommen.
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