Nein...

Text

von  Saudade

... ich weiß nicht, was passiert ist, jedoch das Ende sah ich, es kam um 22:22 die Bestattung und das ist wahr. Eine Engelszahl, sie bedeutet "Balance und Harmonie", wahrlich, mir ist übel.

Zwei Rettungen, Feuerwehr und Polizei vor dem Haus. Es dauerte 60 Minuten, danach kamen viele SanitäterInnen langsam hinaus, sichtlich mitgenommen, ich hörte ihnen zu, sie sprachen von "Sauerei" und "Hast du eh nicht angegriffen?" und "Wir müssen das Putzteam verständigen". 

Ein zwölfköpfiges Team, inklusive zwei Polizisten, standen noch lange vor dem Haus und redeten miteinander. Die Feuerwehr sperrte die Straße.

Als sie ohne PatientIn rauskamen, wusste ich, es ist vorbei. Ich zünde jetzt eine Kerze für unbekannt an und muss weinen. In meinem Haus ist keiner über 60. Es ist totenstill.


"Sterben tun wir alle," sagte die Nachbarin, die mich während des Einsatzes anrief, sie wollte wissen, ob es mir gut geht. Ich fand das lieb, das System funktioniert. Dann schrieb mir eine andere Nachbarin, ob es mir gut geht, da schrieb ich ihr, dass ich froh bin, dass sie mir schreibt, sie hat Leukämie gehabt und ist seitdem sehr krank, ich hatte panische Angst um sie, ich mag sie gerne. 

Ich sagte:"Ja, das stimmt, aber so elendig mit ganzen nötigen Tross, das ist elendig."

Ich sagte ihr nichts von der "Sauerei" und "dem Putztrupp", sie und ihr Mann sind alt. 

Ich sagte: "Ich bin aber als Alleinstehende froh, dass das Nachbarschaftsalarmsystem gut funktioniert."

Natürlich, die Sensationsgier, klar, aber gepaart mit Sorge. Sie sagte:"Bitte ruf mich ab jetzt einmal in der Woche an, ich mache mir Sorgen um dich."

Ich bin auch nicht ganz gesund, das weiß sie. 

"Das ist lieb!" sagte ich.

Ich zittere. Keiner über 60. Hauptsächlich junge Familien. 

Minus 1.

Die Kerze brennt. Ich muss weinen. 

Ich denke über den Tod nach. Einschlafen und nicht mehr aufwachen, ganz ohne Leid, das ist ein großer Wunsch. Das spielt es bei den Wenigsten. Genau das macht es so schlimm.

Die Burschen und Mädls, sie waren sehr jung, die Polizei und der Notarzt waren dann sehr pietätvoll. Sprachen ruhig miteinander. Der Tod geht an niemanden vorbei.

Nur ein Bestattergehilfe ließ auf meine Thujen Wasser ab, nachdem sie zu Dritt den Sarg eingeladen hatten. Da schüttelte ich den Kopf. So ist das Leben. Blechpyjama, sagt man in Wien, und volle Blase. Nun leer. 



Anmerkung von Saudade:

P.S. Die Nachbarin 1, die sich Sorgen machte, wohnt in Stiege 3, ich in 4.

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Kommentare zu diesem Text


 Graeculus (18.09.25, 23:35)
Da hast Du alles, was das Leben ausmacht, in einer Szene verdichtet: Not, Sterben, Nachbarschaftshilfe, Pietät und einen auf die Blumen pinkelnden Stoiker.

 Saudade meinte dazu am 18.09.25 um 23:40:
Letzteres ist bereits alles gewöhnt. Schlimm war das. Ich denke aber jetzt über den Schluss nach. Irgendwie nimmt so viel ein tragisches Ende. Und heute reden wir noch über Traumen. Der Tod ist das größte Trauma... für Angehörige.

 Saudade antwortete darauf am 18.09.25 um 23:43:
Im Übrigen, Hüther meinte, wir streben immer nach Kohärenz, daher saufen viele, um diese zu erreichen, aber die gibt es gehirntechnisch erst nach dem Sterben. Vor dem kohärenten Zustand hab ich keine Angst, nur Panik vor so einem Drama mit Publikum.

 Graeculus schrieb daraufhin am 18.09.25 um 23:51:
Soll man hoffen, daß dieser Mensch wenigstens Angehörige hatte, die um seinen Tod trauern? Schlimm, wenn man nichtmal das hat.

Daß erst im Tod keine Spannungen und Widersprüche mehr existieren, daß dann alles kohärent ist, habe ich noch nicht bedacht. Stimmt wohl.

Wenn sie meine Leiche aus dem Haus tragen, mag sich das Publikum die Augen ausgucken, das stört mich dann nicht mehr. Aber vielleicht tagelang hilflos und schmerzerfüllt in der Wohnung sterben, ohne daß die Nachbarn das auch nur mitbekommen, das ist für mich arg.
Muß aber nicht so sein, vielleicht haben wir einen gnädigen Tod.

 Graeculus äußerte darauf am 18.09.25 um 23:56:
Das denke ich mir manchmal: Irgendwann sagt man sich am Abend noch etwas Nettes oder etwas nicht so Nettes, und am nächsten Morgen ist man nicht mehr da.

 Saudade ergänzte dazu am 18.09.25 um 23:57:
Weißt du, die Kleine ist heute 13 geworden. Sie sagte zum Spaß zu mir:"Tante, du bist schon alt!" Jetzt denke ich:"Ja, und es ist schier unerträglich, ihr ganzes Leben nicht ansehen zu können." Fast 50 stört mich nicht, aber das ist schlimm. 
Ja, Hüthers Vortrag war toll. 

 Saudade meinte dazu am 18.09.25 um 23:58:
@Graeculus: Ja, schlimm.
Daher plädiere ich immer darauf, "in Frieden" zu sterben. Das meine ich weltlich, nicht christlich.

Antwort geändert am 18.09.2025 um 23:59 Uhr

 Graeculus meinte dazu am 18.09.25 um 23:59:
Deshalb wäre es wohl gut, am Abend freundlich voneinander zu scheiden - es könnte der letzte Abschied sein.

(Falls Dir meine Gedanken zu düster sind, ignoriere sie. Ich möchte Dich nicht belasten.)

 Graeculus meinte dazu am 19.09.25 um 00:01:
Das ist dann wohl unvermeidlich: Unsere Nachkommen werden uns überleben, und wir werden an ihrem weiteren Leben nicht mehr teilnehmen. 
Besser als umgekehrt ist das aber!

 Saudade meinte dazu am 19.09.25 um 00:01:
Jetzt haben wir fast dasselbe geschrieben. Nein, es geht schon besser, bissi. 
Morgen in der Früh fährt ein Polizeibote mit einem Protokoll zum Notar und die Bürokratie kommt ins Rollen. Das, mit Abstand widerlichste.

 Saudade meinte dazu am 19.09.25 um 00:03:
Besser als umgekehrt ist das aber!
Das stimmt. Ich war bei ihrer Geburt dabei und seitdem hab ich keine ruhige Minute. Du verstehst, was ich meine.

 Graeculus meinte dazu am 19.09.25 um 00:03:
Im Frieden mit den Menschen, die einem wichtig sind, sterben - das ist etwas Wünschenswertes! Und zum Glück können wir dazu etwas beitragen. Durch Vermeidung von Streit. Jedenfalls bei den wichtigen Menschen.

 Saudade meinte dazu am 19.09.25 um 00:06:
Stimmt. Danke, du hast mich vom Gefühl wieder halbwegs in den Kopf gebracht. Das Nachdenken tut gut.

 Graeculus meinte dazu am 19.09.25 um 00:07:
Du wirst einen Menschen, also Deine Nichte, hinterlassen, der seinen Weg geht. Wohin genau er führt, das weißt Du nicht - aber es ist ein guter Weg!

 Saudade meinte dazu am 19.09.25 um 00:09:
❤️
...und an sie denken, das beruhigt mich enorm.

 Saudade meinte dazu am 19.09.25 um 00:09:
Konzentrieren wir uns auf das Leben. Es ist da.

 Graeculus meinte dazu am 19.09.25 um 00:11:
Es gibt noch etwas, was ich Dir (und mir) wünsche: daß es Menschen gibt, die einen vermissen. Die sagen: Es war gut, sehr gut, Corina gekannt zu haben!
Wenn man das weiß oder zumindest ahnt, dann hat man nicht vergeblich gelebt.

Antwort geändert am 19.09.2025 um 00:12 Uhr
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