Was bleibt von einer Tragödie mit bitteren Ende? Ein Handschuh am Boden. Keiner hebt ihn auf und wirft ihn weg. Nein. Ich kann es auch nicht. Dabei bräuchte ich mir nur selbst Handschuhe anziehen, ich habe im Spital gearbeitet, hatte solche Dinge ständig, habe viel Blut gesehen, Tragödien, aber ich mache es nicht, es schaudert mich der Gedanke daran, vermutlich schaudert es uns alle, aber der Anblick schaudert uns auch. Die Tragödien waren fremd, ganz schlimm, das ging nie an mir vorbei, aber das hier ist nah, ein Nachbar, eine Nachbarin, wir, die wir miteinander sprechen, wissen es noch nicht. Vielleicht habe ich schon ein paar Mal geplaudert? Hier wohnen nette Menschen.
Aber, auch, wenn nicht, mit Nachbarn bildet man eine Einheit, ob man will oder nicht. "Eine/r von uns", ja.
In der Nacht wirkte der Handschuh bedrohlicher, alles passierte im Dunklen. Todeszeitpunkt zwischen 19:00 und 20:00. 2:00 machte es nicht besser.
Ich gab mein Rezept dem unsymphatischen Apotheker, der mich wie einen Junkie behandelte und mich ausfragte. Der kalte Schweiß stand mir auf der Stirn, die schwarzen Augenringe machten das Gesamtbild nicht besser. Er drehte und wendete das Rezept. Er fragte, wieso ich niemanden untertags geschickt habe? Ich sagte ihm, dass ich alleine bin und untertags nicht solche Schmerzen hatte und ich sagte auch noch, dass ich dachte, ich hätte noch alles für den Notfall. Da setzte er zu einer Belehrung an, dass man seine Dinge im Auge behalten muss, aber ich sagte schroff: "Bitte nicht!" Da hörte er auf. Er hatte recht.
Er gab mir, was auf dem Rezept stand, ich bezahlte, auch den Nachtzuschlag, der gesalzen war, und ging wieder nachhause.
Im Stiegenhaus blieb ich vor dem blauen Handschuh stehen und sah ihn mir noch lange an. Ich habe furchtbare Schmerzen, dachte ich, der/die Nachbar/in nicht mehr. Ich stand davor, dann setzte ich mich auf die Stufe daneben, krümmte mich vor Schmerz und Leid, weinte leise.
Schmerzen machen sensibler. Ich kann Grausamkeiten momentan nicht aushalten. Ich, die im Gerichtssaal stand und Schläger und Vergewaltiger aushielt (nicht wirklich). Mein Chef verteidigte diese, ich saß daneben, verzog keine Miene. Innerlich waren es Schläge in den Magen.
Ich saß auf der Stufe und sah auf den Handschuh, konnte mich lange nicht weg bewegen.
Was bleibt übrig? Immer Handschuhe aus Latex, die im Müll landen oder auf der Stufe.
