ZOO

Text

von  atala

Wenn ich das Wort ZOO höre, denke ich an Zebraschenkel, in die meine Grossmutter hineinbeisst. Im Hintergrund raucht es aus den zerbombten Gehegen.
Es war 1944 und meine Grossmutter war noch nicht meine Grossmutter. Sie war ein Kind und lebte in Budapest. Sie war ein jüdisches Kind, das sich, während die Pfeilkreuzer Menschen verfolgten, in einem Kloster versteckte. Als die Rote Armee die Stadt angriff, um die sowjetische Vormachtstellung zu sichern, sagten die Nonnen aus dem Kloster ihr und einem anderen versteckten Kind, sie könnten nichts mehr für sie tun, sie müssten jetzt gehen. Dann haben sie den Eingang zubetoniert.
Wenn andere ZOO hören, denken sie an das Brüllen des Löwen. Sie denken, wie sie über den Stachelschweinzaun gehoben werden, damit sie die lange Borste, das vom Tier gefallen ist, greifen und nach Hause nehmen können. Ich wünschte, ich würde an Zuckerwatte denken, wenn ich ZOO höre.
Das Kind, das noch nicht meine Grossmutter war, wollte sich auf die Suche nach ihrer Mutter machen und ist mit dem anderen Kind durch das kriegsversehrte Budapest gezogen. Es wusste, dass sich die Mutter auf der anderen Seite der Stadt bei Bekannten versteckte. Sie hörten die Bomben detonieren, das Artilleriefeuer, rochen die verbrannten Körper und sahen die Liegengebliebenen.
Das Kind, das meine Grossmutter werden würde und das andere Kind, dessen Name ich nicht weiss, brachen in leere Wohnungen ein (die, die noch da waren, sassen in den Kellern) und suchten nach Nahrung, fanden aber keine. Die Lebensmittel waren schon im Kloster knapp gewesen, und während der Belagerung nicht mehr vorhanden. Ihr Magen hat sich inwendig gedreht, sagte sie, weil sie so Hunger hatte.
Die beiden Kinder gelangten zum Stadtpark. Die Mutter war nicht mehr weit. In diesem Park hatte das Kind Schlittschuh fahren gelernt, auf dem vereisten See. Die Schlittschuhe hatte sie vom Vater geschenkt bekommen, der von der ungarischen Armee abgeführt und in Stalingrad den Kanonen verfüttert wurde, wie sie später im Gefallenenbericht erfahren haben.
In diesem Stadtpark, in dem sie früher Schlittschuhfahren ging, stapelten sich jetzt die Menschen. Das andere Kind, dessen Name ich nicht weiss, hat, weil es ein Jahr älter war als meine Grossmutter, sie an der Hand genommen und gesagt, schliess die Augen. Ich führe dich. Sie ist ihr blind gefolgt.
Selbst die Eiseskälte konnte den Geruch der liegenden Körper nicht nehmen.
Auf der anderen Parkseite sahen sie eine Menschenansammlung. Bomben hätten die Gehege der grösstenteils bereits verendeten Tiere gesprengt. Die Kadaver, bereits zerschnitten, werden jetzt verteilt. Ein Stück wurde ihnen in die Hand gedrückt. Es war nicht mehr zu erkennen, was es gewesen ist. Der Oberschenkelknochens liess aber auf ein grosses Tier schliessen. Sie haben das Fleisch auf offenem Feuer neben anderen gegrillt. 
Ich sage niemanden, dass ich meine Grossmutter eine Zebrakeule essen sehe, wenn ich ZOO höre.
Wenn andere ZOO hören, denken sie an kreischende Kinder. An den Pinguinspaziergang. Sie denken an die schwüle Luft der Masoala-Halle.
Es sei pferdeähnlich gewesen, aber habe nicht danach geschmeckt, sagt sie. Vielleicht war es auch eine Giraffe. Oder ein Löwe.


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