Das Urteil des Wortes

Text

von  Drita



Ich bin Hera Zalli.
Ich bin mein Wort.

Nacht.
Mein Mund verschlossen.
Alte Worte winden sich.
Wie Schlangen.
Sie sterben nie.

Einige sprach ich.
Sie töteten mich.
Andere schwieg ich.
Sie vergifteten mich.

Was schwerer wiegt?
Blut der Worte, die sprachen?
Oder Blut der Worte, die starben?

Heute Abend.
Ich wurde gerufen.
Wer? Ich weiß nicht.

Mein Zimmer?
Kein Zimmer mehr.
Schwarzer Saal.
Grelles Licht.
Am Ende: das Wort.
Nicht gewöhnlich.
Lebendig.
Buchstaben glühen.
Buchstaben verglühen.

„Du hast mich benutzt.“
Stimme. Metallisch.
Ich zittere.

„Du hast mich geworfen.
Wie eine Kugel.
Du zerkratztest.
Du schwiegst.
Du missachtetest.
Und nun?
Denkst du, du bist Opfer?
Nein.
Schuldige.“

Zeugen.
Lange nicht gesehen.
Ein Freund.
Herz gebrochen.
Ein Mensch.
„Entschuldigung“ wartend.
Nie gekommen.

Ein Kind.
Hand gereicht.
Ich schweige.

Schweigen.
Worte tropfen.
Unsichtbar.
Tränen.

Richter schweigt.
Nicht nötig.
Das Wort richtet.
Ich: Angeklagte.

---

„Ich erinnere mich.“
Buchstaben. Steine.
Glühend.
Fallen.
Boden öffnet sich.
Bühne.

Ich sehe.
Jahre zuvor.
Zimmer klein.
Freund.
Alles gab er:
Vertrauen. Herz. Zeit.

Er spricht.
Zitternd.
Er erzählt Schmerz.
Ich?
Lache kalt.
„Genug Drama.“

Er senkt Augen.
Mauern füllen Stille.
Wort wendet.

„Siehst du? Ein Satz.
Herz gebrochen.
Körper nicht.
Vertrauen zerstört.
Was wiegt mehr?“

Gesicht brennt.
Ich will sagen.
Ich war müde.
Ich verstand nicht.

Wort unterbricht:
„Keine Rechtfertigung.
Nur Anerkennung.“

---

Tag.
Mensch wartet.
Ein Wort.
„Entschuldigung“.
Zwei Silben.
Ich halte.
Schwere Steine.
Hals.

Ich schweige.
Er geht.
Für immer verloren.

Wort erscheint.
Neben ihm.
Glühend.

„Sprichst du mich nicht,
bin ich Verbrechen.
Du ließest mich ungeboren.
Durch Nichtgeborensein getötet.“

Ich sinke.
Tränen über Hände.

Wort berührt.
Heiße Buchstaben:

„Nicht Mörderin.
Unachtsam gehalten.
Messer ohne Griff.
Du dachtest leicht.
Ich bin Gewicht.“

---

Spiegelbild.
Jahrelang.
Immer gleiche Worte:

„Nicht genug.
Nichts wert.
Nie sein.“

Ich spreche sie.
Täglich.
Ohne Gnade.

Wort legt Hand auf Schulter:
„Du Peitsche gegen dich selbst.
Wunden spürst du?
Du lebtest Folter mit mir.
Du hieltest mich am Leben. Mit Blut.“

Augen verdunkeln.
Ich erkenne:
Nicht nur Opfer fremder Worte.
Eigene verletzten mich.

---

Maul schweigt.
Zeugen verschwinden.
Nur das Wort.
Schwer. Lebendig.
Wie Stein.

„Siehst du?
Nicht nur Werkzeug.
Ich bin du.
Wenn ich verletze, verletzt du.
Wenn ich heile, heilst du.
Frage:
Waffe oder Brücke?“

Ich hebe Kopf.
Stimme zitternd.
Endlich:

„Ich bin es.
Machte dich Waffe.
Aber ich bin es.
Bring dich ins Licht.“

Wort lächelt nicht.
Buchstaben flackern.
Wie Flammen.
Nicht vergehen.
Kleines Licht bleibt.
In meiner Hand.

---

Richter, gesichtslos.
Hand hebt.

„Prozess endet nicht.
Wort endet nie.
Es entsteht täglich.
Aus deinem Mund.“

Lichter aus.
Zimmer zurück.
Wort bleibt.
Kleines Feuer in Hand.

Heute kein Urteil.
Ein Zeichen:
Zukünftige Worte richten mich.
Eins nach dem anderen.
Vielleicht rettet eines.

2025


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Kommentare zu diesem Text


 EkkehartMittelberg (11.10.25, 06:17)
Hallo Drita,

in einer Welt voller Phrasen bleiben Worte, die schwer wiegen, die Urteile fällen.

Liebe Grüße
Ekki

 Drita meinte dazu am 11.10.25 um 06:22:
Hallo Ekki

Herzlichen Dank und mach bitte keine lange Pause hier auf KV. 😀

Liebe Grüsse
Drita
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