Neues von den Kneipenterroristen

Kurzgeschichte zum Thema Außenseiter

von  Koreapeitsche

Als ich das nächste Mal in die Bergstraße fuhr, war in meiner Stammdisco Subway noch Eintritt. Also klapperte ich die anderen Läden in der Zappelgasse ab, stellte mich zumindest ins Foyer, um abzuchecken, was läuft und ob noch Eintritt genommen wurde.

      Auf dem Weg zum Bölleingang, wenn du aus Richtung Disco Flohmarkt durch die Zwischentür kamst und weiter geradeaus gingst, befand sich zur Linken ein Durchgang, der in die Tiefgarage des Parkhauses führte. Auf halber Strecke des vielleicht acht Meter langen Gangs stand links ein kleiner Tresen. Dieser Tresen war von einem unternehmerischen Standpunk her überflüssig wie ein Kropf. Hier saßen, wenn überhaupt, ein bis zwei Tresengäste. Doch meistens saß die Kellnerin hier allein und befand sich im Stand-by-Modus.

      Wenn du jedoch den Hauptgang ein Stück weiter geradeaus auf das Böll zugingst, verlief der Weg direkt am Alkoholtester vorbei, der linkerhand nur wenige Meter vor dem Haupteingang der Disco H. Böll an die Betonwand geschraubt war.

      Sie bauten die Kasse jedes Mal blitzschnell ab, indem sie die Schatulle einfach nur zuklappten und in einen Hinterraum brachten. Jedenfalls war im Böll jetzt kein Eintritt mehr, sodass ich einen kurzen Rundgang wagen konnte. Ich ging meistens entgegen dem Uhrzeigersinn um die Tanzfläche auf der rechten Seite am DJ-Pult vorbei. Das DJ-Pult war nicht mit dem Tresen verbunden. Es stand abgetrennt ungefähr fünf Meter von der linken Seite des Tresens entfernt, und die Gäste konnten zwischen dem linken Ende des Tresens und der DJ-Zone durchspazieren. Ich passierte die DJ-Loge. Der DJ arbeitete hochkonzentriert und legte ausschließlich Vinyl LPs mit f*cking Headbangermusik auf. Ich nahm den schmalen Gang zwischen Tresen und den Spieltischen für Billard und Schwarzlicht-Hockey, der die gesamte Tresenrückseite bis zu den Herrentoiletten verlief, ging weiter um die Tanzfläche herum zurück Richtung Ausgang. Auf meinem Rundgang wurde ich mehrmals leicht angerempelt – vermutlich unabsichtlich. Ferner wurde ich von der Rockerszene teils scharf angeglotzt und gemustert.

      Wenn ich Bekannte traf, zumeist trinkfesten Metalheads aus Kiel-Nord, oder Vorgänge auf der Tanzfläche meine Aufmerksamkeit erregten, blieb ich durchaus mal stehen, um mich zu unterhalten oder um zu glotzen. Jedoch war die Musik für mich langfristig unerträglich, denn ich hasste alles an Metal und Hardrock und hörte ausschließlich Punk, Wave und ein kleines bissl SKA.

 

 
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Skizze: Disco Böll, Bergstraße 17

 

      Die Tanzfläche war quadratisch und mit ebenso quadratischen silberfarbenen Metallplatten ausgelegt. Hier standen überall Disco-Gänger aus der Metal-Szene, teils ziemliche Proletten. Du sahst viel Leder, lange Haare, Vukohilas, Headbanger-Jeans, Aufnäher und sogar Kutten. Auch die Veranda mit Sitzgelegenheiten zwischen Herren- und Damentoilette war gut besucht, als liefe hier ein Skatturnier. 

      Der Tresen im Böll war mindestens ebenso lang wie der im Hinterhof zwei Etagen höher im selben Gebäudekomplex. Einer der Tresen war mit Sicherheit der längste Tresen Kiels. Es muss so gegen zwei Uhr gewesen sein. Besonders im beleuchteten Tresenbereich standen die Rauschschwaden wie Gardinen in der Luft. Es wurde mit Getränken rumgeaast, sodass die Tresenkräfte mit dem Wischen nicht hinterherkamen. Auf der Theke standen teils Pfützen, sodass du einen Bierdeckel als Abzieher verwenden konntest. Vereinzelt lagen eingesiffte Getränkekarten aus. Wenn mal frisch gewischt war – als sei es ein Naturgesetz – wurde jetzt erst so richtig rumgespritzt und Asche geschnippt. Die unzähligen Aschenbecher auf dem Tresen, an den Stehtischen und auf den Ablagen an der Tanzfläche quollen ohnehin nach kurzer Zeit über. Sie waren randvoll mit ausgedrückten Kippen von Filterzigaretten und rochen unsportlich. Filterkippen waren Trumpf. Keine Kippen, keine Frau. Wer wollte schon in der Disco im Suff lange an Selbstgedrehten sitzen? Wer Tabak drehte, galt als „Hippieschwein“ oder Kiffer.

      An diesem Abend herrschte durchweg gute Laune. Die Meute am Tresen stand dichtgedrängt, ein Ansturm, als gäbe es etwas umsonst. Es muss das erste Wochenende im neuen Monat gewesen sein, als das „Soz“ schon auf dem Konto war. Von den meisten Leuten sahst du nur den Rücken. Die Rocker saßen entweder auf Barhockern oder lehnten am Tresen, die Unterarme im Siff aufgestützt, bis die Toleranzschwelle erreicht war. Ich entschied mich, eine ganze Runde um den Tresen zu gehen. Plötzlich fielen mir ein paar Kuttenträger auf. Auf den Banderolen auf dem Rücken dieser Prolls stand in großen Lettern der Clubname „K-N-E-I-P-E-N-T-E-R-R-O-R-I-S-T-E-N“. Mir war sofort klar, dass es sich hierbei um eine versoffene Rockergang oder gar einen neuen Kieler Straßenclub handeln musste. Letzteres wäre der worst case für die Cops, die seit Anfang der 80er schon mehrere krasse Kieler Straßenclubs live auf der Straße erleben mussten. Doch diese Prollköppe schienen die Krönung der Geschmacklosigkeit zu sein.

      Es waren circa zehn bis 15 Kneipenterroristen anwesend, die einen Kieler Slang sprachen, der old-school und makaber wirkte. Nur echte Kieler oder Werftarbeiter konnten erkennen, ob das Gelaber gutartig oder bösartig klang.

      Es waren Low-Lifes und Schul-Dropouts mit rudimentärer Schulbildung.  Ausbildungsplätze Fehlanzeige, Job-Support durchs Sozialamt Fehlanzeige. Sie hatten sich nach dem gleichnamigen Song der Ex-Fascho-Band Böhse Onkels benannt.

      Wer die erste große Welle der Straßenclubs in Kiel live miterlebt hat (Black Tigers, Tigers, Mad Boys, Mad Fighters, Living Deads, Bloody Eagles, Mad Butchers, die Donalds, Bombers), dem mag der Name des Straßenclubs Kneipenterroristen anfangs etwas lächerlich vorgekommen sein. Doch selbst die Hartgesottenen entwickelten bald Unbehagen – aus Angst, teils aus Respekt. Augenscheinlich brauchten die Straßenrocker der Kneipenterroristen ihren Small-Town-Riot in der Berger. Dieses unterste Trinker- und Rockerproletariat vom Ostufer okkupierte zwar den Tresen, jedoch nicht zusammen als Gruppe, sondern verstreut zwischen den vielen Nicht-Kuttenträgern. Alle Mann schienen sich zu kennen, unterhielten sich intensiv. Rocker-Kiel zog an einem Strang, während die Hauptblickrichtung in Richtung Tresenpersonal ging, das ausschließlich aus Frauen bestand, oder vis-a-vis zur gegenüberliegenden Seite des Tresens – entweder zur Tanzfläche oder in die düstersten Nischen mit Billardtischen und UV-Licht-Hockey.

      Beim Tisch-Hockey wurden laute Klack-Geräusche erzeugt, wenn beim Schlagen mit den weißen Schiebeschlägern der Puk aufprallte oder in den Torschlitzen versenkt wurde. Beim Einlochen wurde das Geräusch zu einem Ritsch-Klack. Bei diesem Ritsch-Klack wusste jeder, dass eingelocht wurde und für kurze Zeit Pause war, bis der neue Puk im Spiel war. 

      Der Aufprall der weißen Scheibe auf die Schläger war fast überall am Tresen zu registrieren, trotz der lauten Metal-Mucke. Manchmal entstand die Illusion, dass der Puk im Rhythmus der Musik aufprallte und die Spieler eins mit dem Heavy-Metal-Musik waren, sie sogar steuerten. Einige spielten dieses UV-Licht-Hockey stundenlang, bis zur Ekstase, gingen nicht auf Sieg, sondern auf maximale Anzahl der Pukwechsel. Die Tresenfrauen schenkten im Eiltempo ein, sowohl Bier, Mischung als auch Kurze. Sie sondierten die Bestellungen, öffneten die Kühlschränke, kassierten ausschließlich bar und sorgten für geordnete Verhältnisse hinterm Tresen. Security brauchte hier niemand. Das regelten die Mitarbeiter und deren Anhang quasi ehrenamtlich – notfalls mit Faust und Kopfnuss.

      Das Böll schien vor guter Laune überzukochen. Hier traf sich das Hafenstadtproletariat der großen Metalgemeinde. Hardrock-Frauen waren hier mit gut 30 Prozent deutlich in der Minderheit. Es war die Uhrzeit, zu der der Alk am besten lief, der Kipppunkt in der Disco, auf dem alle euphorisch waren und frenetisch schrien, bis gegen Ende langsam Erschöpfung, Suff und Müdigkeit die Oberhand gewannen. An diesem Naturgesetz konnten die Unmengen an Rum-Schuss nichts ändern. Aus den Boxen schallten Heavy Metal und Hardrock der übelsten Sorte – Musik, die meinereiner verabscheute, die jedoch die anwesenden Metal-Fans vergötterten. Der engstirnige DJ zog das gewohnte Programm durch. Obwohl die Disco ebenerdig war – ohne Treppen und Absenkungen, jedoch mit vereinzelten Stufen, über die du selbst nüchtern stolpern konntest –, stand der DJ sichtbar erhöht wie ein Imperator auf seinem Podest, sodass er den besten Überblick über das Geschehen auf der Tanzfläche hatte. Der DJ legte das Vinyl der Metal- und Hardrockklassiker der letzten zehn bis fünfzehn Jahre auf, alle Top-Hits von Motörhead, Iron Maiden, AC/DC, Judas Priest, Scorpions und nicht weiter zu identifizierender, trügerischer Asi-Metal, sodass den Rocker sich ergötzten.

Doch die wahren Heavy-Metal-Asis hörten Asi-Heavy-Metal und Heavy-Asi-Metal. Sie konnten die Hardrockklassiker nicht von Asi-Rock unterscheiden. Das war nichts für Gymnasiasten, ganz im Gegenteil. Nur abgeschädelte Acer wurden hier glücklich.

      Hätte in diesem Moment jemand Punk gefordert, aufgelegt oder gar danach getanzt, hätte es eine Katastrophe gegeben und Blut wäre geflossen. Es gab jedoch eine Ausnahme: Der Song “Nellie The Elephant“ von den Toy Dolls. Das identifizierten die Rocker nicht als Punk. Die Rockerdenke war limitiert.

      Ich sah Leute aus dem Jugendtreff Buschblick, allesamt Heavy-Metal-Freaks, teils ehemalige Living Deads, ein Straßenclub aus Kiel-Nord, der sich nach einem Mitt-80er-Horrorfilm benannt hatte, jedoch längst keine Kutten mehr trug. Niemand wusste, ob sie noch existierten. Sofern die Leute aus Kiel-Nord gemäßigt waren und ich sie vom Fußball kannte, wechselte ich ein paar Wörtchen mit ihnen. Doch manchmal ließen Hardrocklärm und Alkoholmissbrauch kein Gespräch zu. Bei einigen rechnete ich mir Chancen aus, sie zum Punkrock zu bekehren. Doch das war Schwachsinn.

      Viele Böll-Gänger wirkten euphorisch, aggressiv und durchgeknallt, bekamen das Grinsen nicht mehr aus dem Gesicht. Diese Rocker-Attitüden standen für die böse Fratze des Heavy Metal. Der Laden explodierte im Hardrocktaumel, als würden sie united den Advent der Kuttenträger Kneipenterroristen abfeiern. Doch all diese verpeilten Asi-Rocker galten als rechtslastig, sowohl die Living Deads als auch die Kneipenterroristen. In den Augen der Schergen waren solch subversive Menschen obendrein eine Perversion.

      Jetzt ging ich weiter um den Tresen. Im Gang zwischen Tresen und Tanzfläche kamen mir zwei Kuttenträger der Kneipenterroristen entgegen mit überschwappenden Bieren in den Händen. Unmittelbar davor ging ein unrasierter Mann in hellbrauner Schimanski-Jacke, der zu den Kuttenträgern gehörte. Das war kein Geringerer als Bernd Knauer, der Präsi der Kneipenterroristen. Sie waren offensichtlich nicht mehr Herr ihrer Sinne. Die drei wirkten rechts-zeckig, übergriffig und extrem jokular. Der „Club vom Ostufer“ war Stolz, dass er sich an diesem Abend so erfolgreich in der Disco Böll präsentieren konnte, ohne auf nennenswerten Widerstand zu stoßen. Dieser Abend war der Durchbruch der Kneipenterroristen in der Bergstraße. Sie waren jetzt Stadtthema Nummer eins. Da deuchte es vielen, dass diese Asi-Rocker der kommende große Straßenclub in Kiel sein würden. Wer sollte sie jetzt noch stoppen? Das Westufer schien geschlagen.

      Doch letztendlich hatten wir es hier erneut mit subversiven Asi-Rockern zu tun, die Inkarnation des Bösen, die nicht nur den Spießern Magenkrämpfe bereitete. Schon ihre Sprache war eine Schande für Kiel. Sie waren so was von asozial, dass du zwangsläufig wieder Sympathien aufbautest, wenn da nicht dieser latente Straßenrassismus gewesen wäre – und darin bestand die Gefahr. Statt sich zu empören, mussten ihre Artgenossen schmunzeln und kuschen. Doch es wäre besser gewesen, sich nicht auf deren Niveau herabzulassen und sich deutlich von dem Abschaum zu distanzieren – besonders in puncto Rassismus.

      Zurückblickend bleibt es ein Rätsel, weshalb so viele junge Menschen sich mit den Kneipenterroristen identifizierten, als hätten diese einen therapeutische Effekt. Selbst heute noch betreiben einige szenenahe Intellektuelle einen Kult um die Kneipenterroristen – mit Aufklebern, T-Shirts, Slogans und Tags. Doch spätestens seitdem ein perfides Video über den Club aufgetaucht war, sollte nachvollziehbar gewesen sein, dass die Äußerungen des SC rechte Tendenzen aufwiesen.  

 

 

 

 

 



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