„Jetzt ist Schluss mit eurer Fascho-Party!“

Kurzgeschichte zum Thema Vergessen

von  Koreapeitsche

Ich erinnere mich ferner an einen Vorfall mit Polizeiobermeister Kloot K., der mich nach einem Verhör auf dem 7. Polizeirevier zum Ausgang begleitete und in ein Gespräch verwickelte. Es ging um die Daten, die über mich im Polizeicomputer gespeichert waren. Das wirkte wie small talk. Er stand zuletzt auf der Türschwelle, sodass die Tür nicht ins Schloss fallen konnte. Ich bin mir nicht sicher, was der Grund für die Vernehmung war. Jedenfalls wurde ich zuletzt in Fr'ort stets von K. verhört, jedoch nach dem Abi von einem anderen Cop. Nach dem Abi war dummerweise der Partner meiner Schwester auf mich abgestellt - oder er riss den Fall an sich, vielleicht sogar auf Wunsch meiner Schwester. Das war ein sportlicher Polizist, circa 1,80 m groß, selbst Abiturient, der damit einen höheren Posten einnahm als K. Bis zu dem Zeitpunkt hatte K. mich und andere Jugendliche bereits mehrmals willkürlich bei unaufgeklärter Straßenkriminalität, die schwer zuzuordnen war, aufgegriffen und ausgefragt, auch wenn es sich um eine zu Bruch gegangene Scheibe in einer Gartenlaube handelte.
      Jedenfalls stürmten wir in jenen Tagen mit Leuten aus der S.H.A.R.P.-Szene mehrmals Partys von Rechtsradikalen und beendeten sie abrupt. Wir hatten unseren Stadtteil ganz gut im Griff, und die Faschos spielten bald keine Rolle mehr. Die Polizei hielt sich für solche Aufgaben nicht zuständig. Ganz im Gegenteil. Ich gehe davon aus, dass es bei dem besagten Verhör um die Party in der Fiete-Reut-Straße gegenüber der Strømeyerallee ging. Ich habe an diesen Vorfall nur schemenhafte Erinnerungen, konnte nur mit Mühe und Not ein paar Details ins Gedächtnis zurückrufen. Die Cops suggerierten mir, wir hätten Hausfriedensbruch und Sachbeschädigung begangen, als wir die Fascho-Party stürmten. Mit der Erinnerung haperte es erneut, als ich später die Vorladung aufs Revier in einem Ordner wiederfand. Die Anzeige war ausgestellt unter der Beschuldigung „Hausfriedensbruch und Sachbeschädigung“. Der Verladungstext begann wie gewohnt mit „Ihnen wird zur Last gelegt“.
      Es kann sein, dass wir den Stecker der Anlage zogen oder ein Tape aus der Anlage nahmen und mit den Boots zertrümmerten, so wie wir es mehrmals bei Fascho-Partys machten. Es gab sicher Wortgefechte, Drohgebärden, Handgemenge und strikte Ansagen wie „Der Schwachsinn hört mir auf!“, „Sofort die Musik aus!“ oder „Jetzt ist Schluss mit eurer Fascho-Party!“
    Die letzten Worte, die der Polizeiobermeister mir von der Türschwelle hinterherrief, waren „Sie können nach zwei Jahren  einen Antrag auf Datentilgung stellen, nur dann werden ihre Daten im Polizeicomputer sicher gelöscht“. Ich war skeptisch, ob das wirklich wahr sein könnte. Obendrein rief er mir den Satz wie einen Fluch hinterher. Das wirkte traumatisierend, denn ich musste später immer wieder an diese Schlüsselsituation denken. Warum legte der Cop so viel Wert darauf, mein Augenmerk auf die Daten im Polizeicomputer zu lenken? War er ein guter oder böser Cop?
      Polizeiobermeister K., der im Sportverien ehrenamtlicher Leiter der Fußballabteilung war, hatte in unserem Stadtteil vermutlich speziell „subversive Jugendliche“ und „suspekte Mitglieder des Fußballvereins“ auf dem Kieker. Da der Polizist mal in der Regionalliga spielte, war er durchaus beliebt und eine Respektsperson. Er wäre jedoch noch beliebter gewesen, wenn bei seiner Aufgabe als Funktionär nicht ein paar komplette Fehltritte dabei gewesen wären. Im Verein kam es seitens der „Schergen“, wie wir sie inzwischen nannten, zu einer Entgleisung nach der anderen, ob rätselhafte Platzsperren, Drohungen an Trainer, Belehrungen, Benachteiligungen, vereinsinterne Sperren und andere Intrigen - die potenziell den ganzen Verein schädigten.
      Schlussendlich kam dieser verheerende Mittwochabend.Nach dem Training führte K. eine Straßenkontrolle durch, bei der mein damaliger Trainer in die Falle tappte. Der Trainer hieß ebenfalls K. Dieser nahm mit dem Auto vom Sportheim aus stets die gleiche Strecke zurück in die Stadt. Der Fußballobmann in Polizeiuniform  lauerte dem Trainer auf und ließ ihn einen Alkoholtest absolvieren. Danach nahm er ihm an Ort und Stelle den Führerschein weg. Unser Trainer musste entgeistert auf den nächsten Bus warten und war unfassbar erzürnt.
      Jezt war offensichtlich ich an der Reihe. Als Polizeiobermeister K. mir nahelegte, den Antrag auf  Datentilgung zu stellen, beschäftigte mich dieser Gedanke mehr als mir lieb war. Auch im Gespräch mit anderen Leuten aus der S.H.A.R.P.-Szene oder delinquenten Jugendlichen konnte ich neuerdings anmerken, dass wir ein Recht auf Datentilgung haben. Wahrscheinlich machte ich mich damit lächerlich.
      Zurück zum Verhör. Auch wenn ich mich nicht an Details des Verhörs erinnern kann, bin ich mir sicher, dass die Vernehmung exzessiv war. Die Polizei schien verhindern zu wollen, dass das „private Unterbinden von Fascho-Partys“ im Stadtteil zum Regelfall würde. Denn mit jeder weiteren gestürmten Fascho-Party würde ein weiterer rechtsextremer Vorfall aktenkundig, und wir lebten immerhin in einer von Fremdenverkehr geprägten Region. Es waren ohnehin immer die gleichen Leute, die diese Fascho-Partys veranstalteten und besuchten.
      Während des Verhörs wurde ich turnusmäßig mit Fragen malträtiert, bis ich nicht mehr wusste, wo oben und unten war. Bald konnte ich mich gar nicht mehr klar an den Vorfall erinnern, auch später, als ich die aufbewahrte Vorladung wiederfand und erneut las.
      An dem Abend, als wir die Fascho-Party zerschlugen, waren wir ganz sicher angetrunken und hatten unsere Adrenalinkicks. Normalerweise erinnerst du dich an solche Ereignisse trotz Alkohol dein Leben lang und bist stolz darauf. Deshalb vermute ich, dass der Polizist Verhörtechniken angewandt hat, die wie Gehirnwäsche funktionieren, die auf Verunsicherung, Einschüchterung und Selbstzweifel abzielten. Es war auch von Rekapitulieren die Rede - also klares Expertendeutsch. Das Wort „Datentilgung“ hörte ich nur von ihm. Es wirkte wie ein Hapax Legomena.
      Als ich mir das betroffene Haus später noch einmal ansah, das auf der Vorladung als Adresse vermerkt war, konnte ich mich weder  an die Außenfassade, noch das Eingangsportal erinnern, als wäre ich an diesem Ort noch nie gewesen. Es war wie ausradiert. Deshalb wirkte der Merksatz des Polizeiobermeisters umso verwunderlicher, dass ich ein Recht auf Datentilgung habe. Ich wusste ar nicht mehr, mit wem wir die Fascho-Party stürmten, wer in dem Haus wohnte, ob die Polizei auftauchte, oder ob die Anzeige sogar nachträglich erfolgte. Das wären Einzelheiten, die du unter normalen Umständen im Kopf behältst. Wie hat der Polizist das geschafft, dass der Vorfall wie ausgelöscht war? Als das Verhör per Gegenlesen und Unterschrift zu einem Ende kam, war übrigens auch meine fußballerischen Karriere im Verein verbaut, zumal mehrere Schlüsselpositionen im Sportverein von Cops und „der alten Exekutive“ besetzt waren. Nach dieser Anzeige wegen Hausfriedensbruch galt ich als Störenfried, obwohl die Anzeige eingestellt wurde.
      Es gibt allerdings weitere Erklärungsmöglichkeiten für die „Gedächtnisprobleme“. Es könnte ein Adressfehler gewesen sein, ob absichtlich oder aus Versehen, weil der Tatort verwechselt oder absichtlich falsch angegeben wurde. Vielleicht stand die Anzeige in Zusammenhang mit einer anderen Fascho-Party, die wir wenige Wochen zuvor plattmachten, und der Anzeigende wohnte gar nicht in der Wohnung, die wir stürmten und gab als Tatort seine eigene Wohnadresse an. Oder die Cops haben einen Fehler begangen und die Adressen verwechselt. Ich weiß es nicht.
Und weshalb hat der Polizist so einprägsam das Recht auf Datentilgung thematisiert? Da muss also gehörig etwas verkehrt gelaufen sein. Da war etwas faul. Habe ich ihn missverstanden und mein Recht auf Vergessen wahrgenommen? 


Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Zur Zeit online: