Die Beschwerde der Frau Immergrün – Teil II

Groteske zum Thema Recht und Gesetz

von  Saira

Am nächsten Morgen lag über Krähwinkel-Unterbühl eine unspezifische Unruhe. Noch bevor Dorfpolizist Gustav Schnurrbein seinen Schlüssel im Dienstzimmer umdrehen konnte, hörte er es: ein kollektives Schmatzen, Murmeln, Glucksen.

Vor der Amtsstube wogte eine Ansammlung von Schnecken. Nicht eine Handvoll, nein, ein ganzer Teppich aus glänzenden, langsam empörten Körpern, die aus allen Richtungen des Umlands herangekrochen waren. Einige trugen winzige Schilder aus zernagtem Blattwerk:

 

„Gleiches Recht für jede Schleimspur!“
„Nie wieder Salz!“

 

In der ersten Reihe stand die Rechtsbeistandsschnecke im roten Hütchen, nun mit einer kleinen Umhängetasche aus Rindenleder. Sie räusperte sich – ein Geräusch wie ein höfliches Blubbern – und rief:

„Wir verlangen die unbedingte Etablierung einer transspezifischen Würde-und-Wohlstands-Schutzzone, behördlich gestützt und schleimdiplomatisch abgesegnet, in der jedes molluskoide Lebewesen das unveräußerliche Recht erhält, ohne Salz, Schreck oder gastronomische Begehrlichkeiten seiner natürlichen Fortbewegung zu frönen.“

 

Der Chor antwortete mit entschlossenem:
„Schleim! Schleim!“

 

Schnurrbein blieb stehen. Er kannte diesen Blick der Masse. Das war nicht einfach ein Schneckenhaufen. Das war eine Bewegung.

 

Doch es sollte schlimmer kommen. Vom Dorfteich her ertönte plötzlich ein drängendes Quaken. Eine Delegation von Fröschen – grün, rundlich, entschlossen – marschierte heran. Angeführt vom berüchtigten Fröschlein Eduard „Quakbert“ Ömmel, Träger der goldenen Libellenflügel für Zivilcourage.

 

Sie trugen Schilder aus Schilf:

„Keine Froschschenkel mehr im ‚Tanzenden Brummer‘!“
„Wir sind Gäste, kein Menü!“

 

Hinter ihnen hüpfte ein besonders kleiner, aber höchst überzeugter Frosch, der unablässig rief:
„Ich bin nicht zum Dippen da!“

 

Die Schnecken blickten verunsichert, doch dann nickte eine altgediente Weinbergschnecke weise.

„Solidarität unter Weichtieren und Amphibien“, murmelte sie.

 

Und als ob das nicht genügt hätte, mischten sich nun auch einige der exzentrischeren Dorfbewohner ein:

Luitpold Knolle

das selbsternannte Kartoffelorakel, das behauptete, die politische Lage anhand von Keimaugen deuten zu können. Er schwenkte eine riesige Knolle und rief:
„Die Wurzeln fordern Mitspracherecht!“

Gertrud Stibitz

eine notorische Kräutersammlerin, die streng roch wie ihre selbstgemachte Beinwell-Emulsion. Sie hob ein Bündel Pfefferminze:
„Pflanzenrechte! Wir haben auch Gefühle! Wir sind nur leisere Leute!“

Meta Schlümpfchen

die Dorfpoetin, die grundsätzlich in Reimen sprach und nie verstand, warum das alle irritierte. Sie säuselte:
„Der Frosch, die Schneck’, das Pflänzlein klein – sie rufen laut: Wir wollen sein!“

 

Die Menge wuchs. Schnecken und Frösche bildeten eine bizarre Front, dahinter die Menschen, davor wackelige Schilder, dazwischen eine ständig wachsende Duftwolke aus feuchter Erde, Angstschweiß und Gertruds Kräutersalbe.

 

Schnurrbein fasste sich an die Stirn. Das war kein gewöhnlicher Morgen. Das war ein interspeziespolitischer Ausnahmezustand. Oder wie er es in seinem Kopf formulierte:
„Ein Alptraum!“

 

Die Rechtsbeistandsschnecke schob sich würdevoll nach vorn. „Herr Schnurrbein“, sagte sie mit bedächtiger Klarheit, „wir sind hier, um unser Anliegen in aller Deutlichkeit vorzutragen.“

 

Er schluckte.

 

„Die Schneckenversammlung fordert: 

- Eine gesetzliche Salzverbotszone im gesamten Dorf und Umland.

- Offizielle Anerkennung der Schleimspur als Wegerecht.

- Und die sofortige Prüfung, warum im Speiselokal ‚Zum taumelnden Brummer‘ immer noch ‚Froschschenkel‘ auf der Karte stehen.“

 

Ein empörtes Quakkonzert bestätigte den letzten Punkt eindrucksvoll. Schnurrbein blätterte verzweifelt in seinem Moralhandbuch. Es gab keinen Paragraphen für interspezielle Großdemonstrationen. Nicht einen.

 

„Meine Güte“, murmelte er. „Ich wollte doch nur meine Ruhe.“

 

„Nix mit Ruhe“, sagte Quakbert Ömmel mit erhabener Froschgravität.
„Hier geht es um das Tierwohl!“

 

Schnurrbein seufzte. Er wusste: Heute würde nichts, wirklich gar nichts, geregelt werden.

 

 

 

 

 

 

©Sigrun Al-Badri/ 2025



Hinweis: Der Verfasser wünscht generell keine Kommentare von niemand und Teo.

Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Kommentare zu diesem Text


 Didi.Costaire (19.11.25, 16:17)
Schön, Sigi!

🐌🐸🐌🐌🥔🐸🐢🐛🐜🪲🐌🐸🐌
Solidarische Grüße, 
Dirk
Zur Zeit online: