Susi Müller und die fliegenden Chefs

Groteske zum Thema Neuanfang/ -orientierung

von  Saira

Seit zwanzig Jahren thronte Fräulein Susi Müller in der obersten Etage der Firma Wechselbäumchen GmbH – die sich, wie es der Zufall des Bauplans wollte, ebenerdig befand.

Sie war eine Erscheinung: groß, mit langen Beinen, rotem Lippenstift und einer Brille mit schwarzem Rand, die sie nicht aus Sehschwäche trug, sondern aus pädagogischen Gründen.

Wer sie unterschätzte, verlor meist schon im ersten Satz.

Fleißig wie eine Biene, pünktlich wie ein Uhrwerk und gefährlich bewaffnet mit einem Lächeln, das jeden Tacker in die Knie zwang. In diesen zwanzig Jahren hatte sie fünf Chefs kommen und gehen sehen – oder, wie sie es nannte, „kontrollierte Führungskräfte-Transformation“.

Herr Mohr, der erste ihrer Herren, war alt, rundlich und hatte sie einst höchstpersönlich eingestellt. Er nannte sie liebevoll Müllerchen, sie ihn Möhrchen – und schon bald waren die beiden ein Herz und eine Seele, getrennt nur durch den Schreibtisch und die Schamgrenze der 1950er-Jahre.

Sexuelle Ambitionen? Keine Spur.

Die beiden waren sich nah, aber nur auf der Ebene gemeinsamer Ablagefächer. Er vertraute ihr mehr als seiner Frau, sie ihm mehr als der Personalabteilung – zwei Menschen, die sich im Büroalltag leise mochten. Als Möhrchen in Rente ging, wirkte das ganze Gebäude verwaist. Selbst der Kopierer druckte nur noch Schwarz. Ein paar Wochen später starb er – vermutlich, weil ihm niemand mehr ein „Guten Morgen, Herr Möhrchen“ schenkte.

Dann kam Ivar Eriksoon – ein Lachen wie Donnerhall, ein Bart wie aus der nordischen Mythologie. Er brachte Sonne in die Abteilung und Chaos in die Herzen. Nicht lange, denn während eines Familienurlaubs ohne Familie – in Dänemark – lernte er die Liebe seines Lebens kennen: einen Mann mit Sommersprossen und Segelohren. Zurück in Deutschland gestand er alles, kündigte und zog nach Aggersborg, wo er fortan glücklich war und regelmäßig Postkarten mit Elchen schickte.

Kurz darauf sprang Monika Splett, Kollegin aus dem Sekretariat, aus Liebeskummer vom Dach. Niemand hatte ihr gesagt, dass der „Wikinger“ längst die Mannschaft gewechselt hatte. Die Abteilung trug Schwarz – die Kaffeemaschine auch.

Nach dem Sturm kam Huber – groß, sonnengebräunt, mit einem Lächeln, das selbst den Kopierer in den Standby-Modus versetzte. Sein Hemd spannte an den Schultern. Frauen kippten in Ohnmacht, Männer begannen spontan Liegestütze zu machen. Doch Huber wusste um seine Wirkung. Und so geschah, was geschehen musste: Er wurde mit Heike Römer aus der Buchhaltung im Druckerraum von Frau Huber persönlich erwischt – mitten im Ausdruck einer Quartalsbilanz.

Daraufhin tobte Frau Huber durch die Gänge, bewaffnet mit einem Feuerlöscher, und jagte ihren untreuen Gatten bis zur Personalabteilung.  Sie löschte alles – außer ihren Zorn. Huber versuchte noch, den Safe mitzunehmen – ein letzter Akt der Geschäftstüchtigkeit. Doch bevor er die Tür erreichte, hatte Frau Huber ihn bereits mit dem Feuerlöscher in die Enge getrieben. Die Polizei traf pünktlich ein und zog beide aus dem Verkehr – ihm wurde der Safe entnommen, ihr der Feuerlöscher.

Dann erschien Hellwig – 161 cm groß, aber mit einem Ego, das die Raumhöhe sprengte. Er bestand darauf, dass Susi sich setzte, sobald er den Raum betrat – um auf Augenhöhe mit ihm zu sein. Er erklärte ihr, sie sei nicht sein Typ, was sie als Erleichterung empfand. Doch dann begann die systematische Schikane: Arbeit geben, Arbeit nehmen, Arbeit woanders hin verteilen – eine moderne Form der Sinnkrise mit ergonomischem Unterton.

Susi reagierte, wie sie immer reagierte und machte aus der Not eine Tugend: Sie lernte Französisch. „Man weiß ja nie, wo man noch gebraucht wird“, dachte sie, während sie halblaut murmelte: „*Je t’emmerde, Monsieur Hellwig.“

Eines Morgens kam Hellwig blass, schweißnass und begleitet vom Direktor. Er öffnete das Fenster – vielleicht, um Frischluft zu schnappen, vielleicht, um Karriere zu machen. Dann folgte er, leicht beschleunigt, seiner Aktentasche, die vorausflog hinterher. Die Polizei war, wie immer, pünktlich zur Stelle.

Hellwig, so stellte sich später heraus, litt nicht nur an Charakterdefiziten, sondern auch an einer ausgeprägten Vorliebe für Auslandskonten auf den Cayman Islands.

Nach diesem letzten Kapitel in der Chronik der Chef-Evolution beschloss Fräulein Müller, dass sie nun genug gesehen hatte.

Sie kündigte und gründete ihr eigenes Unternehmen:
„Wechselbäumchen Consulting – Wir coachen Führungskräfte beim Absprung.“

Im Eingangsbereich steht eine glänzende Kaffeemaschine,
darüber ein Schild mit der Aufschrift:
„Wer zuerst springt, bekommt den besseren Abgang.“

Und Fräulein Müller?
Sie gießt die Büropflanzen, sortiert ihre Honorare und lächelt, als der Anrufbeantworter blinkt:
„Guten Tag, hier spricht Hellwig …“ Sie verschluckt sich am Kaffee, hustet kurz, blickt zur Decke und murmelt:

„Hellwig? Der lebt noch?“

 

 

©Sigrun Al-Badri/ 2025




Anmerkung von Saira:

*Verpiss dich, Herr Hellwig.

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Kommentare zu diesem Text


 Didi.Costaire (07.11.25, 20:46)
Tja Sigi,

Bosse fallen halt meistens nach oben...

Liebe Grüße, 
Dirk

 Regina (07.11.25, 22:48)
Und welcher war jetzt der beste Chef?
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