das letzte wort war noch nicht gesprochen. aber sie wollte venedig wiedersehen. bei tag diesmal. nüchtern und ungeschminkt, so wie es wirklich war. eine alte, heruntergekommene stadt voller touristen mit einem stinkenden kanal. ohne die illusion, mit ihm hiersein zu können. ohne das verlogene mondlicht und die nacht, die unschönes einfach verschluckte. dinge vorgaukelte, die nicht im geringsten der wahrheit entsprachen. geschichten erzählte von der fahrt in der gondel mit den zugezogenen schwarzen vorhängen. ihn heraufbeschworen und ihr wieder so nahe brachten. seine küsse auf ihrem hals und weiter, nein sie wollte venedig und diese alte geschichte endlich sterbenlassen. ein für alle mal und besonders für sich.
nur dazu war sie hierher gefahren, zum abschied nehmen von seiner angemalten fassade mit marodem inneren. von menschen, die sich hinter schönen masken versteckten, sich kostümiert für andere zum narren machten. dort in der gasse traf sie diesen mann, der aussah wie er. die gleiche mundpartie. das nahm sie der göttin aber übel. ihr ausgerechnet dieses gesicht vorzuhalten, wie einen spiegel, um sie noch mehr zu quälen mit erinnerungen. sie lief davon, vor diesen augen, vor dem lächeln. sie lief weg, in eine kleine seitengasse hinein.
venedig empfing sie mit strahlend blauem himmel und sonnenschein. man sah jeden riss in den alten palazzos ,es stank nach fisch. sie stellte sich ihn vor, wie er die nase rümpfte, hörte sein spöttisches lachen an ihrem ohr. dann ging sie tief luft holend weiter. er würde nie ihr venedig sehen schmecken und riechen können. nie gemeinsam mit ihr. das war ihr nun klargeworden, endlich klargeworden. er, der nicht einmal einen einzigen tag für sie zeit hatte, für ihn würde diese stadt keine bedeutung haben. venedig würde langsam sterben ohne ihn. das wasser des canale grande stieß glucksend an die häuser und zog sich wieder zurück. sie würde sich auch zurückziehen, wollte die seufzerbrücke nicht sehen. sie hörte venedig auch so aufseufzen. diese stadt starb nicht gerne, hatte soviel zu erzählen aus vergangenen zeiten. sie lehnte sich an das geländer der kleinen brücke, sah ins wasser und versuchte, venedig zuzuhören. der wind blies ihr die langen haare nach hinten und legte die stelle an ihrem hals frei, die er mit seiner zunge vom ohrläppchen an bis zu der kleinen mulde immer abschleckte, bevor er sie dort küsste. der wind fuhr ihr unter ihr langes leinenkleid mit dem geschnürten mieder und tat so, als hätte er tausend hände, wie er. sie trug unter ihrem kleid das einzige, das sie von ihm hatte. sie spürte es bei jedem schritt aber keiner konnte etwas davon sehen. behalte es, hatte er damals gesagt, denk beim tragen an mich, es ist schliesslich etwas von mir. sie zwang sich, an anderes zu denken. sie wollte das einzige, was sie besaß von ihm heute hier zurücklassen. dem kanal übergeben oder auch dem meer, je nach dem. es war vormittag, noch zu früh für die touristen. sie ging zu dem gondelstand und verhandelte mit dem gondoliere. keine dieser gondeln hatte eine kabine, wie früher.
aber sie würde trotzdem mit einem dieser schwarzen särge fahren. es war teuer, aber das war ihr egal, es hatte stil.
sie wollte venedig stilvoll beim sterben begleiten. nochmal an den alten palloazzos vorbeifahren, sich vorstellen, wie sie wohl innen aussahen.
ob es diese alten hohen spiegel noch gab.
nicht singen, sie verbat ihm das singen und es dauerte, bis er verstand.
sie hielt das sonst nicht aus. die geräusche um sie herum genügten ihr auch so. die gondel hing leicht nach rechts
der gondoliere konzentrierte sich auf das fahren. es war nicht einfach, diese langen schiffe zu steuern.
venedig starb langsam einen kleinen tod jeden tag. sie starb ihn heute mit.
sie holte heraus, was sie von ihm besaß und ließ es aus ihrer hand ins wasser fallen. es versank sofort.
die taucher würden sich wundern darüber, was touristen hier so alles verloren.
man tauchte nach wertgegenständen im kanal. dieser gegenstand war ihr einmal viel wert gewesen.
venedig starb langsam am hellichten tag, versank millimeter um millimeter im meer.
sie hatten beide viel gemeinsam.
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