11. Kapitel . Zwischen Rio und Shanghai, zwischen Hong Kong und Hawaii
Erzählung zum Thema Heimat
von kirchheimrunner
Und er Lorenz, was war aus ihm geworden?
Er war ein Fremder unter Fremden.
Schon im Sommer 1960 hatte er beim Ankerbräu in Delmenhorst seine Lehrzeit beendet. Gerne hätte er als Braugeselle bleiben können. Die Tochter seines Braumeisters, die Anna-Lena Kurbjuhn, mit Haaren, so blond wie Weizen und Augen so blau wie das Himmel, - sie hätte ihn liebend gerne bei sich in Friesland gehalten.
Aber dort oben im Norden, roch der Wind nach Meer, nach der Freiheit und nach fernen Ländern. Fernweh ist die beste Medizin für seinen nicht heilenden Liebesschmerz. Fen Lenz konnte also nichts und niemand auf dem Festland halten; auch die himmelblauen Versprechungen der Anna-Lena.
Er heuerte im August auf der Aristide an, einem Frachtschiff mit 250.000 Bruttoregistertonnen, das unter griechischer Flagge die Häfen der Weltmeere anlief.
Die nächsten Jahre kam er viel herum: Er blieb wortkarg und er blieb stolz. Aber die Marie konnte er auch auf hoher See nicht vergessen. Oft war sie ihm unter den Sternen der Weltmeere näher als zu Hause. Manchmal war es ihm, als könnte er ihre Stimme hören, wenn sie ihm ins Ohr flüsterte:
Seemann, lass das träumen;
Seemann denk an zu Haus....
...zwischen Rio und Hawaii,
...zwischen Hong Kong und Shanghai
Oder aber war es nur der Wind, der mit seiner Geisterstimme während der nächtlichen Deckwache sein böses Spiel mit ihm trieb.
Der Lorenz fühlte sich fremd auf dem Schiff. Ein Fremder war er unter Fremden; wie alle, die keine Heimat mehr hatten. Fremd waren die Sterne am Himmel, fremd waren die Menschen, fremd die Lieder in den Kneipen. Fremd blieben ihm auch die Küsse der Mädchen.
Aber das Leben geht trotzdem weiter: die Schiffe fahren weiter über das Meer und in den Hafenkneipen gab es Mädchenm, die für ein paar Augenblicke Vergessen schenken konnten: Mädchen mit Mandelaugen, mit kaffeebrauner Haut; - Mädchen mit einem Lächeln wie aus tausendundeiner Nacht, und Mädchen mit blonden Zöpfen; - schwarzäugige Afrikanerinnen mit krausen Haar und Haut wie Ebenholz.
Doch der Lenz dachte an die vergangene Zeit, an seine Heimat, seine kleine verlorene Welt, an die Zeit, die er nicht zurückdrehen konnte; besonders wenn der Westwind wehte; - die drückende Sonne vor dem Gewitter. Da war er froh, dass er einen kleinen Hund hatte, den er streicheln konnte.
Der Anker seines Herzens konnte nirgends festen Boden finden. Oft trugen die Wellen des weiten chinesischen Meeres seine tausend Tränen weg, sie behielten dann den zarten Liebeszauber für sich, wenn sie seinen Kummer an die Küste von Surabaya schwemmten.
Auf der Fahrt durch die Sunda-Straße zwischen Sumatra und Java, wo Sturm und Flaute genau so schnell wechseln wie die Farbe der Wolken; - ...in einer Nacht mit Kummer bei drückender Hitze, ertrank der Lorenz seinen Kummer mit einer Flasche Rum: " Herr Kapitän, hör mir mal zu: Wenn du ein Narr bist, einen Teil deiner Jugend hinter den Gittern einer Strafanstalt gesessen hast; - weißt du wie es ist , wenn das Glück vorbeizieht; schnell wie der Wind. Durch Gitterstäbe hindurch, kannst du die Liebe nicht ergreifen ...
Dann weist du, dass es nur eine Wahrheit auf der Erde gibt: dass man nicht zu viel Liebe geben darf.
Und Christous Hadji Antonio, der griechische Kapitän, verstand ihn nur zu gut.
Dann eines Tages in Jakarta, war es die anschmiegsame Angel – Lin aus Birma die ihm im auf Englisch ins Ohr geflüstert hat:
„Hör auf zu jammern Lorenz, was denkst du an zu Haus?
Vergiss einfach alles; -vergiss das Mädchen, vergiss es schnell, sonst wirst noch den Verstand verlieren. Für drei mal weniger als ein nichts sind wir doch alle Nutten; du und ich; - und auch deine so liebe Marie.“
Für diese grausame Wahrheit lies er sie dann stehen.
Mit der Aristide waren sie im Februar 1962 in die Cheesapeake Bay von Baltimore eingelaufen. Sie hatten Baumwolle und Zuckerrohr geladen, das halbnackte, schwitzende Mulatten in Tampico geladen hatten.
Lorenz hatte Landgang. Er hatte keine Lust auf immer die gleichen Hafenkneipen, immer die gleichen Mädchen, immer die gleichen schmutzigen Kammern, die verlausten Matratzen; - immer den gleichen Schnaps und immer die gleichen Lügengeschichten ...es war immer das gleiche Elend. Er fuhr in die Stadt hinein. Ganz spontan hatte er eine verrückte Idee:
Seiner Mutter würde er ein Geschenk kaufen, irgendeinen Tand, aus irgendeinem Land, aus irgendeiner Stadt. Vielleicht erinnerte sie sich noch an ihren verlorenen Sohn?
In einem Kaufhaus fand er das Richtige: Einen Teddybären mit Seemanskostüm. Der sieht doch possierlich aus, dachte er sich, legte 3 $ und 50 c auf den Tresen, lies den Bären als Geschenk verpacken, und gab das Paket beim nächsten Post Office per Luftfracht auf:
An Afra Küblböck,
Hopfengartengasse 3
Post Attenkirchen,
Landkreis Freising.
West Germany
... Ein lieber Gruß vom Hein - den Seemannsbär ...
Als Absender hatte er geschrieben:
Lorenz Küblböck,
verlorener Sohn aus Attenkirchen
Aristide; Reederei Theodotoukous, Thessaloniki.
z.Zt. Baltimore /USA
... sonst schrieb er kein Wort.
In New Orleans lernte er dann den Jazz lieben, Trompete spielen und den Whisky hassen. Zwei Monate später luden sie in Montego - Bay Jamaika Rum und schmuggelten Havanna Zigarren nach Tampa Bay, Florida!
In Maracaibo, im Mai 1962 verließ er die Aristide und heuerte als Maschinist auf der Puerto Angelicos an. Ein riesengroßer Öltanker unter der Flagge Panamas. Rohöl für die US - Base in Guam hatten sie geladen. Tausende von Tonnen. Also nocheinmal eine Reise um die halbe Welt: Montevideo, Panama Kanal, dann der endlose Pacific; - Surabaya und die Sunda Inseln. Aber wohin er auch fuhr, seine Träume blieben bei ihm.... und die Marie blieb weiter unerreichbar fern.
Marie, liebe Marie.
Als sie Hong Kong im Oktober 62 anliefen, traf Lenz in einer Bar in Sha - Tin einen alten Bekannten wieder:
Christous Hadji Antonio; -und der übergab ihm einen Brief seiner Mutter. Die Reederei hatte ihn von Griechenland, - postlagend an das Firmenkontor in Macao geschickt. Jetzt genau nach einem halben Jahr hielt ihn der Lorenz in seiner zitternden Hand.
Er war ein Fremder unter Fremden.
Schon im Sommer 1960 hatte er beim Ankerbräu in Delmenhorst seine Lehrzeit beendet. Gerne hätte er als Braugeselle bleiben können. Die Tochter seines Braumeisters, die Anna-Lena Kurbjuhn, mit Haaren, so blond wie Weizen und Augen so blau wie das Himmel, - sie hätte ihn liebend gerne bei sich in Friesland gehalten.
Aber dort oben im Norden, roch der Wind nach Meer, nach der Freiheit und nach fernen Ländern. Fernweh ist die beste Medizin für seinen nicht heilenden Liebesschmerz. Fen Lenz konnte also nichts und niemand auf dem Festland halten; auch die himmelblauen Versprechungen der Anna-Lena.
Er heuerte im August auf der Aristide an, einem Frachtschiff mit 250.000 Bruttoregistertonnen, das unter griechischer Flagge die Häfen der Weltmeere anlief.
Die nächsten Jahre kam er viel herum: Er blieb wortkarg und er blieb stolz. Aber die Marie konnte er auch auf hoher See nicht vergessen. Oft war sie ihm unter den Sternen der Weltmeere näher als zu Hause. Manchmal war es ihm, als könnte er ihre Stimme hören, wenn sie ihm ins Ohr flüsterte:
Seemann, lass das träumen;
Seemann denk an zu Haus....
...zwischen Rio und Hawaii,
...zwischen Hong Kong und Shanghai
Oder aber war es nur der Wind, der mit seiner Geisterstimme während der nächtlichen Deckwache sein böses Spiel mit ihm trieb.
Der Lorenz fühlte sich fremd auf dem Schiff. Ein Fremder war er unter Fremden; wie alle, die keine Heimat mehr hatten. Fremd waren die Sterne am Himmel, fremd waren die Menschen, fremd die Lieder in den Kneipen. Fremd blieben ihm auch die Küsse der Mädchen.
Aber das Leben geht trotzdem weiter: die Schiffe fahren weiter über das Meer und in den Hafenkneipen gab es Mädchenm, die für ein paar Augenblicke Vergessen schenken konnten: Mädchen mit Mandelaugen, mit kaffeebrauner Haut; - Mädchen mit einem Lächeln wie aus tausendundeiner Nacht, und Mädchen mit blonden Zöpfen; - schwarzäugige Afrikanerinnen mit krausen Haar und Haut wie Ebenholz.
Doch der Lenz dachte an die vergangene Zeit, an seine Heimat, seine kleine verlorene Welt, an die Zeit, die er nicht zurückdrehen konnte; besonders wenn der Westwind wehte; - die drückende Sonne vor dem Gewitter. Da war er froh, dass er einen kleinen Hund hatte, den er streicheln konnte.
Der Anker seines Herzens konnte nirgends festen Boden finden. Oft trugen die Wellen des weiten chinesischen Meeres seine tausend Tränen weg, sie behielten dann den zarten Liebeszauber für sich, wenn sie seinen Kummer an die Küste von Surabaya schwemmten.
Auf der Fahrt durch die Sunda-Straße zwischen Sumatra und Java, wo Sturm und Flaute genau so schnell wechseln wie die Farbe der Wolken; - ...in einer Nacht mit Kummer bei drückender Hitze, ertrank der Lorenz seinen Kummer mit einer Flasche Rum: " Herr Kapitän, hör mir mal zu: Wenn du ein Narr bist, einen Teil deiner Jugend hinter den Gittern einer Strafanstalt gesessen hast; - weißt du wie es ist , wenn das Glück vorbeizieht; schnell wie der Wind. Durch Gitterstäbe hindurch, kannst du die Liebe nicht ergreifen ...
Dann weist du, dass es nur eine Wahrheit auf der Erde gibt: dass man nicht zu viel Liebe geben darf.
Und Christous Hadji Antonio, der griechische Kapitän, verstand ihn nur zu gut.
Dann eines Tages in Jakarta, war es die anschmiegsame Angel – Lin aus Birma die ihm im auf Englisch ins Ohr geflüstert hat:
„Hör auf zu jammern Lorenz, was denkst du an zu Haus?
Vergiss einfach alles; -vergiss das Mädchen, vergiss es schnell, sonst wirst noch den Verstand verlieren. Für drei mal weniger als ein nichts sind wir doch alle Nutten; du und ich; - und auch deine so liebe Marie.“
Für diese grausame Wahrheit lies er sie dann stehen.
Mit der Aristide waren sie im Februar 1962 in die Cheesapeake Bay von Baltimore eingelaufen. Sie hatten Baumwolle und Zuckerrohr geladen, das halbnackte, schwitzende Mulatten in Tampico geladen hatten.
Lorenz hatte Landgang. Er hatte keine Lust auf immer die gleichen Hafenkneipen, immer die gleichen Mädchen, immer die gleichen schmutzigen Kammern, die verlausten Matratzen; - immer den gleichen Schnaps und immer die gleichen Lügengeschichten ...es war immer das gleiche Elend. Er fuhr in die Stadt hinein. Ganz spontan hatte er eine verrückte Idee:
Seiner Mutter würde er ein Geschenk kaufen, irgendeinen Tand, aus irgendeinem Land, aus irgendeiner Stadt. Vielleicht erinnerte sie sich noch an ihren verlorenen Sohn?
In einem Kaufhaus fand er das Richtige: Einen Teddybären mit Seemanskostüm. Der sieht doch possierlich aus, dachte er sich, legte 3 $ und 50 c auf den Tresen, lies den Bären als Geschenk verpacken, und gab das Paket beim nächsten Post Office per Luftfracht auf:
An Afra Küblböck,
Hopfengartengasse 3
Post Attenkirchen,
Landkreis Freising.
West Germany
... Ein lieber Gruß vom Hein - den Seemannsbär ...
Als Absender hatte er geschrieben:
Lorenz Küblböck,
verlorener Sohn aus Attenkirchen
Aristide; Reederei Theodotoukous, Thessaloniki.
z.Zt. Baltimore /USA
... sonst schrieb er kein Wort.
In New Orleans lernte er dann den Jazz lieben, Trompete spielen und den Whisky hassen. Zwei Monate später luden sie in Montego - Bay Jamaika Rum und schmuggelten Havanna Zigarren nach Tampa Bay, Florida!
In Maracaibo, im Mai 1962 verließ er die Aristide und heuerte als Maschinist auf der Puerto Angelicos an. Ein riesengroßer Öltanker unter der Flagge Panamas. Rohöl für die US - Base in Guam hatten sie geladen. Tausende von Tonnen. Also nocheinmal eine Reise um die halbe Welt: Montevideo, Panama Kanal, dann der endlose Pacific; - Surabaya und die Sunda Inseln. Aber wohin er auch fuhr, seine Träume blieben bei ihm.... und die Marie blieb weiter unerreichbar fern.
Marie, liebe Marie.
Als sie Hong Kong im Oktober 62 anliefen, traf Lenz in einer Bar in Sha - Tin einen alten Bekannten wieder:
Christous Hadji Antonio; -und der übergab ihm einen Brief seiner Mutter. Die Reederei hatte ihn von Griechenland, - postlagend an das Firmenkontor in Macao geschickt. Jetzt genau nach einem halben Jahr hielt ihn der Lorenz in seiner zitternden Hand.