. der Selbstmord eines Spielers und Jakobs Beichte .

Erzählung zum Thema Heimat

von  kirchheimrunner

„Vater, tu uns des nicht an!
Der Dachrinnenaussauffer soll in Kambodcha verrecken, die Würmer sollen ihn meinetwegen fressen, aber - hereinspaziert lieber Lenz - nein Vater, des kannst nicht von uns verlangen“, lallte der Schorsch, der schon seit Tagen mehr oder weniger sturzbetrunken war.

„Wenn der kommt, geh ich; - darauf kannst Gift nehmen; - Vater,“ so schrie er dem Jackl ins Gesicht! „Du kannst es dir aussuchen!
Er oder Ich!“

Nun, der Weinzierl Schorsch machte Ernst, er verließ den elterlichen Hof tatsächlich. Er war noch immer ledig als er ging und gerade einmal 30 Jahre alt.

Er ging, aber er ging auf eine ganz makabere Art und Weise:

Am Abend des 14 Mai 1963 schlich er mit einem Kälberstrick hinaus in die Hopfenhalle, legte sich die Schlinge um den Hals und erhängte sich.

Seine Spielschulden hatten ihm das Genick gebrochen.

Er hatte sich nicht mehr herausgesehen aus seinen Problemen; - mit den Glücksspielen in zwielichtigen Spelunken in München droben. Dort hat er nicht nur sein Erbe, sondern fast schon Haus und Hof verspielt.

Es würde aber noch tragischer kommen: Eines Tages würden die Gangstergauner und ihre liederlichen Bordsteinschwalben Schuldscheine und fragwürdige Alimentenforderungen präsentieren, die jeden Geldbaron in den Bankrott getrieben hätten ...

Sein Vater fand ihn am nächsten Morgen, unter ihm eine hässliche, stinkende Urinpfütze, die der Hofhund aufleckte.

Der Schorsch hatte die Schlinge nicht sorgfältig gelegt; - sein Todeskampf musste lang und grausam gewesen sein.

Als gegen 9 Uhr Vormittags der Herr Pfarrer kam, war der Jackl nochmals um mindestens 10 Jahre gealtert. Grau, ja fast schlohweiß war sein volles Haar geworden. Sein Sohn hatte ihm eine unendlich große Schand gemacht, die sich niemals mehr tilgen ließ!

Wie sagten die alten Halledauer immer so treffend:

Geld verloren; - viel verloren . Haus und Hof verloren; - noch mehr verloren .
Die Ehr verloren; - alles verloren .



Was unter dem Siegel des Beichtgeheimnisses gesagt wird, lässt sich nicht berichten. Wir müssen uns an das halten, was der Jackl später herumerzählt hat.

Aber warum sollte es nicht stimmen.

Am 17. Mai hatte er seinen Sohn beerdigen müssen.
Die Marie war aus München herbeigeeilt um ins Grab ihres Bruders eine weiße Rose zu werfen.
Kathrin war nicht zu trösten. Sie suchte die Hand eines Vaters, um sich festzuhalten;
sie konnte aber keine finden.

Einen Tag später fuhr die Marie wieder zum Münchner Ostbahnhof. Die Theres lag in der Klinik auf Leben und Tod.

Und der geistliche Rat von Spöck fragte den Jackl ob er in einer Beichte sein Gewissen erleichtern wollte.

Der Jackl wollte nicht,
aber er mußte;
sonst würde ihn seine Schuld erdrücken:

„Vater, ich habe gesündigt
in Gedanken, Worten und Werken.
Durch meine Schuld, durch meine Schuld, durch meine  übergroße Schuld;
darum bitte ich die heilige Gottesmutter Maria und alle frommen Christenmenschen,
für mich zu beten, bei Gott unserem Herren!“

Lang war die Litanei die bußfertige Sünder herunterbeten mussten.

Der Jakob kniete als armer Sünder im Beichtstuhl der Pfettracher Pfarrkirche.
Dreimal klopfte er sich bei diesen Worten mit der Faust auf die Brust.
Er hoffte auf ein mildes Urteil.

Erbärmliche Sünder hoffen; - und verständliche Priester sprechen sie los von ihrer Schuld.

Aber so einfach war es in diesem Fall nicht:

Verstockte, hartherzige und eingefleischte Sünder sind bockbeinig; - sie tun sich schwer mit dem Bekenntnis, mit der Reue und mit dem Willen, alles wieder gut zu machen. Ihr Stolz hielt sie gefangen. Man durfte doch sein Gesicht nicht verlieren!

„Komm Jackl, gib deinem Herzen einen Stoß und sprich dich aus.

Der geistliche Herr, redete an den Weinzierl Bauern hin, wie an eine kranke Kuh.

„Die Träume kommen wieder, Herr Pfarrer,
und die Schreie; - dann erstickt das kalte Wasser das Mädchen!“

Welches Mädchen, Jakob; - so red doch!“

Die Küblböck Veronika; Herr Pfarrer.

Es war im Frühsommer 1928; genauer gesagt im Juni; - so um Pfingsten.

Bei der Fahnenweihe in Sillertshausen haben wir Maibowle getrunken.
Der Vroni hat es geschmeckt.
Sie hat gesungen, getanzt und gelacht. Gerade 17 Jahre war sie alt; ein halbes Kind noch.
Aber sie war kokett und anschmiegsam.

„Du heiratest mich doch dann, Jackl“, hatte sie gescherzt, als ich ihr das Mieder aufgeschnürt habe ...

„Ja, ja - freilich, doch ... hab ich geschnauft, -
dann ist es passiert.

Bei uns auf dem Hof, im Heu.“

„Im Oktober kam dann ihr Vater zu uns; - der alte Küblböck. Die Veronika bekommt ein Kind; - dein Jackl ist der Vater. Steht ihr dazu?“

Mein Vater grinste, und rief mich herein.
„Hast was mit der schiechen Dirn gehabt, Jackl?“

Aber ich hab Hände in die Hosentaschen gestemmt; „wie käm’ ich dazu,  - Kübelböck Adolf - , dass du dich da nicht in was verrennst. Ich hab deine Afra, nicht angerührt, da musst du dir schon einen anderen Affen suchen“, - das hab ich gesagt!

Der alte Küblböck hat den Kopf hängen lassen, und ist vom Hof geschlichen, wie ein geprügelter Hund.

Ein paar Tage nach Allerheiligen ist die Vroni dann ins Wasser gegangen. Nur ein Nachthemd soll sie angehabt haben. Im Feuerwehrweiher von Reichertshausen ist sie ertrunken.

Seitdem besucht sie mich im Traum, Herr Pfarrer!
Sie schreit, ruft meinen Namen; - das Kind.
Immer wieder flüstert sie mir zu, jede Nacht fragt sie mich: „Du heiratest mich dann doch, Jackl, oder?“

„Helfen sie mir.
Ihre Stimme; - Ich kann es nicht mehr ertragen.
Sie klagt mich an; - überhaupt alles klagt mich an: die Marie mit ihren stieren Blick, die kleine Kathrin mit ihren Fragen nach ihren Vater, die Afra Küblböck, und das Grab von meinem Schorsch!

Wie kann ich das wieder gut machen?“

In diesen Zeiten war nicht es selten, dass sich Kanonikus von Spöck die meineidigen Lebensgeschichten seiner Hopfenbauern anhören musste. Meist handelte es sich um Viehdiebstahl, Marksteinversetzen oder nicht bezahlte Alimente.
Aber Tote, die im Beichtstuhl lebendig werden und Rechenschaft verlangen, das gab es nur einmal.

„Jackl, du hast große Schuld auf dich geladen!
Aber du kannst deinen Seelenfrieden  wiederfinden.

Reich dem Lorenz deine Hand, Jackl; -
gib der kleinen Kathrin eine Heimat auf deinen Hof, überdenke dein Urteil gegen die Marie; -
einen Sohn hast du verloren, aber einen Sohn könntest du wieder gewinnen.“

Der Jackl schwieg!
Überlegte hin und her.
Dann machte er sich ordentlich Luft:
Ja, was glauben denn Sie, Herr Pfarrer?
So einfach ist die Sach nicht! Sie laden mir aber ganz ordentlich eine Buße auf, - für eine kleine Dummheit vor fast 35 Jahren. Wie stellen Sie sich das vor?

Soll ich mir selber meineidig werden?“
Haben Sie nicht gehört was ich bei meiner Seel’ geschworen habe?

„So; - meinst wirklich, Jackl - dass du nur eine klitzekleine Dummheit gemacht hast? Ich sag dir, du hast so viel verbockt, das passt auf keine Kuhhaut. Und wenn du nicht bereit bist, beim Lenz und der Marie wieder alles gut zu machen, kann ich dich nicht lossprechen von deinen Sünden.


Wer so nachtragend ist wie du,
muss viel Leid mit sich herumtragen,
viel zu viel, für einen allein.

Und jetzt geh heim, mach um das Wirtshaus einen weiten Bogen und auf dem Rückweg betest einen schmerzhaften Rosenkranz zur Gottesmutter.
Überleg’ dir mein Wort.

Sobald du dann mit dem Lorenz im Reinen bist, leg ich dir die Hand auf und sprech’ dich los von deiner Schuld; - dann kommen die Träume nicht mehr; dann hat auch die Vroni ihre Seelenruhe gefunden. Darauf kannst Gift nehmen!“

Der Weinzierl Jackl rauchte vor Wut, als er nach Hause stapfte.

„So redet der nicht mehr mit mir; - so nicht!“
Als er den Pfettracher Berg hinunterlief, konnte ihn der Vinzenz, sein Großknecht - schon von weiten beten hören; - verwundert schüttelte er den Kopf.

Gegrüßet seist du Maria
voll der Gnaden,
der Herr ist mit dir
du bist gebenedeit unter den Weibern
und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes Jesu,
der für uns das schwere Kreuz getragen hat....; -
Heilige Maria Mutter Gottes,
bitte für uns Sünder,
jetzt und in der Stunde unseres Todes,
Amen.

Als er nach Hause kam, wollte er sich gleich aus der Speisekammer ein Bier holen und den ganzen Spuk vergessen; da stand die Marie vor ihm. In der Kuchel brannte Kerzenlicht.

„Vater, die Theres ist gestorben.“

Die Betschwestern von der Blasiusbruderschaft waren auch schon da:
„Der Herr schenke ihr das ewige Leben,
und das ewige Licht leuchte ihr; -
Herr laß sie ruhen in Frieden ....
... heilige Maria , Mutter Gottes
bitte für uns;
Heilige Theresia von Avila
bitte für uns;
Heiliger Johannes der Täufer
bitte für uns;
Heilige Apostel Petrus und Paulus
bittet für uns;
Heiliger Michael,
bitte für uns
alle heiligen Engel
bittet für uns.

... und so ging es den ganzen Abend,
die ganze Nacht; - bis zum nächsten Morgen.

„Am Mittwoch, den 24. Mai, würden sie die Theres begraben; - eine Woche nach dem Schorsch.

Am Donnerstag war Himmelfahrtstag, das schickt sich für das feierliche Requiem mit Orgel und Trompeten. Im Krautkönig würde nach der Kirch’ groß aufgekocht; dann hat der Spuk ein Ende“, dachte sich der Jackl und trank sein Bier.

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