Genie und Wahnsinn XIV: Michelangelo (1475-1564)

Essay zum Thema Wahnsinn

von  JoBo72

Er ist einer der bedeutendsten Künstler der Menschheitsgeschichte, eines der ganz großen Genies der Renaissance: Michelagniolo Buonarroti, kurz: Michelangelo, italienischer Bildhauer, Maler, Baumeister und Dichter. Wie kaum ein anderer prägte er das Bild der Stadt Rom, in der er von 1496 an arbeitete. Sein Stil lässt sich nicht eindeutig bezeichnen, so dass er gleichsam als Vollender der Hochrenaissance und Wegbereiter des Barock, in seinem Individualismus vor allem aber als Prototyp des modernen Künstlers gilt.

Dieser Individualismus war Zeitgenossen suspekt. So galt er als schwieriger Eigenbrötler, als unnahbar und nicht besonders kommunikativ. Längere Gespräche waren ihm zuwider und bisweilen ließ er seine Gesprächspartner mitten in der Unterhaltung stehen und ging seines Weges. Und dies in einer Zeit, in der die gesellschaftliche Stellung des Künstlers hoch war: Die Renaissance-Artisten Roms (neben Michelangelo v.a. Raffael) waren die Superstars der Stadt, Kontakte zu den Honoratioren inbegriffen, besonders zu den Päpsten, ihren Hauptauftraggebern.

Die britischen Forscher Muhammad Arshad und Michael Fitzgerald glauben, den Grund für dieses absonderliche Verhalten Michelangelos gefunden zu haben: Autismus. In einem Artikel der Fachzeitschrift „Journal of Medical Biography“ führen sie die mangelnden sozialen Kompetenzen bei gleichzeitiger Hyperbegabung im künstlerischen Bereich auf das Asperger-Syndrom zurück, eine schwächere Form des Autismus’. In dieses Bild passe, so die Autismus-Experten, dass Michelangelo häufig jähzornig war, als gefühllos galt und außerhalb seiner Kunst keine Interessen gehabt habe. Bereits Vater und Großvater Michelangelos hätten autistische Züge aufgewiesen, was auf eine Vererbung der Krankheit hindeute.

Darüber hinaus fällt in der Biographie Michelangelos auf, dass er zwanghaft gewissen Ritualen folgte und um Kontrolle in allen Lebensbereichen bemüht war. Gelang ihm dies nicht, wurde er unsicher und zog sich frustriert zurück. Seine seit 1534 entstehenden Gedichte sind von einer tiefen Schwermut getragen, vielleicht Zeichen einer depressiven Verstimmung, vielleicht auch nur eine „natürliche“ Reaktion auf das Nachlassen der Schaffenskraft im Alter, die jedoch bei Michelangelo erstaunlich hoch war: Bis zu seinem Tod wirkte der über 80jährige Greis als Bauleiter am Megaprojekt seiner Zeit mit, an der Errichtung des Petersdoms, der nach fast 120jähriger Bauzeit erst 1623 eingeweiht wurde.

Ob nun Autismus oder einfach nur ein frei gewähltes Einzelgängerdasein, wer wie Michelangelo ein solch grandioses Kunstwerk wie das gewaltige Deckenfresko der sixtinischen Kapelle im Vatikan schaffen will, kann nicht gleichzeitig im Mittelpunkt des gesellschaftlichen Lebens stehen, auch wenn er dazu die Gelegenheit hat. Er muss sich schon von der Welt des Banalen bis Dekadenten entfernt haben, um in vier Jahren dauernder, tagtäglicher Arbeit solch überirdische Schönheit entstehen zu lassen. Vielleicht ein entscheidender Unterschied zu den „Superstars“ unserer Zeit.

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Kommentare zu diesem Text


 Terminator (19.12.23, 02:04)
Das ist kein Essay zum Thema Wahnsinn, das ist ein Essay zum Thema Genie. Die unprätentiöse und leidenschaftliche Direktheit von Michelangelos Liebeslyrik ist ein weiterer Hinweis auf möglichen Autismus.
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