Genie und Wahnsinn V: Paul Celan (1920-1970)

Essay zum Thema Wahnsinn

von  JoBo72

Paul Celan? Kenne ich nicht! Das mag sein, doch eines seiner Gedichte kennen wohl alle aus dem Deutsch-Unterricht: Die Todesfuge.

„Schwarze Milch der Frühe wir trinken sie abends
wir trinken sie mittags und morgens wir trinken sie nachts
[...] Ein Mann wohnt im Haus und spielt mit den Schlangen der schreibt
der schreibt wenn es dunkelt nach Deutschland dein goldenes Haar Margarete
Dein aschenes Haar Sulamith wir schaufeln ein Grab in den Lüften da liegt man nicht eng
[...] der Tod ist ein Meister aus Deutschland.“

Im April 2004 erschien bei Suhrkamp der Briefwechsel des Dichters Paul Celan und seiner Jugendfreundin und Geliebten des letzten Lebensjahres, Ilana Shmueli, ein gutes Stück Zeitgeschichte aktuellster Bedeutung – immer wieder wird die Sorge um den jungen Staat Israel angesichts der militärischen Bedrohung thematisiert. Gleichsam stellt es ein beeindruckendes Zeugnis seines Seelenzustands dar, in den letzten Atemzügen vor seinem Suizid im April 1970.

Die Briefe, die Celan Ilana Shmueli im Winter 1969/70 schreibt, zeugen einerseits von der ungebrochenen Kraft des begnadeten Poeten, der Gefühle zu Sprache verdichten konnte wie kaum ein anderer Literat unserer Zeit. Anderseits offenbaren die Briefe seine Schwäche: Die Unerreichbarkeit eines Genies, das an sich selbst zu leiden beginnt und das mit sich und dem Tode ringt, ehe dieser obsiegt. Christoph König resümiert in der FAZ vom 17.04.2004: „In der Korrespondenz wird erneut deutlich, woran er starb: an Erschöpfung.“.

Paul Celan (eigentlich: Paul Antschel oder Ancel, von daher als Anagramm „Celan“) hatte als deutschsprachiger Rumäne jüdischen Glaubens kein leichtes Leben. Als junger Mann erlebt er, wie seine Heimatstadt Czernowitz zunächst von den Sowjets (1940), dann von den Deutschen (1941) und schließlich wieder von den Sowjets (1943) besetzt wird. Seine Eltern wurden in Arbeitslager verschleppt und starben dort; Celan selbst überlebte die dreijährige Zwangsarbeit unter faschistischer und kommunistischer Diktatur. Er verlässt nach dem Krieg Rumänien und flieht 1947 nach Wien, um sich im Jahr darauf endgültig in Paris niederzulassen. Ilana Shmueli, ebenfalls Jüdin, siedelt in den neu gegründeten Staat Israel um.

Celan schreibt auch in Frankreich nach wie vor auf Deutsch. Sein Werk ist, wie das vieler Dichter und Denker der Nachkriegszeit, geprägt von der Verarbeitung des eigenen Schicksals und der Shoah (man denke an Adorno, Jonas u. a.). Das Erfassen des Unfassbaren – ein unmögliches Unterfangen. Ihm, der als deutscher Jude zweifach Opfer wurde, gelingt es nicht, mit alttestamentlichen Bezügen und erotischen Anspielungen in seinen Gedichten sowie in der Einsamkeit seines Daseins in der französischen Metropole zur Ruhe zu kommen. Im Gegenteil: Gerade an dieser Einsamkeit in Paris, die Celan im Sinne des in alle Welt verstreuten jüdischen Volkes bewusst kultiviert, sollte er zerbrechen.

Dennoch: Die metaphysisch-transzendentalen Geborgenheitsvorstellungen vieler Juden vom himmlischen Jerusalem teilt er ebenso wenig, wie die realpolitische Option des Zionismus: ein irdischen Jerusalem als Zentrum einer neuen Heimat des jüdischen Volkes im neuen Staat Israel auf dem Boden des alten Bundes. „Hoffe, hoffe ein stilles Hoffen, kein zu großes“, schreibt er in einem Brief an Ilana, die er 1965 in Paris wiedersah, jedoch erst 1969 in Israel besuchte. Doch selbst der kleinste Funke Hoffnung ist ihm nicht vergönnt. An den Toren Jerusalems stehend, steht er gleichsam „an den Toren der Vergeblichkeit“, wie Christoph König seinen Essay in der FAZ überschreibt. Den Vorschlag Ilanas, doch zu ihr nach Israel zu ziehen, lehnt er ab: „Israel – das Land, das sein Volk auffrißt, [...] ein heilloses Durcheinander [...] – Ich will nicht!“

Zeichen einer totalen Erschöpfung, einer psychischen Überlastung als Konsequenz des biographischen Unheils  häufen sich in den 1960er Jahren. So reißt er einmal einem Passanten einen leuchtend gelben Schal vom Hals, weil dieser ihn an den gelben Judenstern erinnert, den er einst tragen musste. Eine kulminierende Melancholie – Celan klagt Anfang 1970 über „ein totales Down“ – tun ihr übriges.

Die Krankenakte Celans ist trotzdem dünn: Erst 1966 wird er zwangsweise in eine Heilanstalt eingewiesen, bleibt dort jedoch nur kurz. Ansonsten leidet er still vor sich hin und lässt nur Ilana postalisch an seinem Leben und Leiden teilhaben. Man ist geneigt, Parallelen zu sehen zum Burn out-Syndrom, jenem komplexen Erschöpfungszustand, dem heute viele Stars im Stress der Mediengesellschaft anheimfallen, doch ist Celans Leiden, seine Leidenschaft damit nur unzureichend beschrieben. Er hatte sich in den bitteren Gründen des Herzens verloren, ein Schicksal, das, so paradox es klingt, nach Voraussetzungen verlagt, die heute viele Medien-Menschen gar nicht aufzubringen in der Lage sind. Nur wer die Tiefen kennt, kann wirklich tief stürzen. Kein Fahren ohne Führerschein, kein Drogenexzess, kein Sex-Affärchen – Celan scheitert mit Niveau, er scheitert ganz und gar.

Das makabere Abschiedgedicht, das Celan der schockierten Ilana im April 1970 schickt, soll mein kurzes Portrait schließen. Es gibt Zeugnis von einer für den Autor lächerlich gewordenen Welt, in der er keinen Sinn zu erkennen vermag. Auch eine selbstbewusste Verachtung des Absurden im Sinne Albert Camus’ zur Rückeroberung von Authentizität und damit von Würde will Paul Celan nicht gelingen – er nimmt sich wenig später mit einem Sprung in die Seine das Leben und verlässt eine Welt, von der er nur noch spottet: „Die Welt, Welt / in allen Fürzen gerecht, / ich, ich / bei dir, dir, Kahl- / geschorne.“


Anmerkung von JoBo72:

Der Text entstand 2004. Er wurde jetzt für die Reihe „Genie und Wahnsinn“ bearbeitet.

Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Kommentare zu diesem Text

Juline (11)
(11.02.08)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 JoBo72 meinte dazu am 11.02.08:
Liebe Juline!
Liebe Mama von Juline!

Zunächst mal vielen Dank für Dein/Ihr Interesse, verbunden mit der Empfehlung an die Frau Mama, sich doch einfach hier anzumelden. Ich glaube nämlich, dass Sie eine große Bereicherung für die Gemeinschaft der hier aktiven Autorinnen und Autoren wären.

Zu Camus:
Deine Mama hat freilich Recht, Juline: Der Begriff „Verachten“ soll hier als kühne Auflehnung gegen das absurde Schicksal verstanden werden. In diesem Sinne ist dann auch der Sisyphos ein Held. Ob dieses Heldentum lebbar ist, darf zumindest bezweifelt werden, das ist richtig.

Zur Erschöpfung:
Mir ging es nicht darum, Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen krank sind, zu klassifizieren, nur erscheint mir manchmal die Drei-Tages-Depression bei einigen Stars unserer Tage zum Vermarktungsritual zu gehören. Es mag unfair sein, aber wer zwischen Bühne und Klinik hin und her tingelt, regt diesen Verdacht an. Aber noch mal: Wer ernsthaft psychisch krank ist, dem gebührt unser Mitgefühl und unsere Hilfe, egal ob Bauarbeiter oder Dichterin.

Zu Jean Améry:
Kann ich nichts zu sagen – hier haben Sie eine Bildungslücke erwischt!

Zur Form:
Na ja, die meisten Menschen, „über“ die ich schreibe, sind tot, so dass ich leider nicht mehr „mit“ ihnen sprechen kann. Ich bin bei der Darstellung auf das angewiesen, was sie selber gesagt und/oder geschrieben haben (Quellen) und darauf, was andere vor mir über sie gesagt und/oder geschrieben haben (Sekundärliteratur). An diesem Umstand, der bedauerlich ist, wäre, so glaube ich zumindest, auch nichts geändert, wenn ich die Darstellungsform „persönlicher“ gestalte (als Brief oder Interview). Damit würde ich Nähe vortäuschen, die nicht da ist. Wäre das besser? Sei Du/seien Sie mir also bitte nicht böse, wenn es so „distanziert“ weitergeht – zumal die Texte i.W. schon fertig sind (es wird 24 Folgen geben). Ich verstehe diese Artikel auch mehr als ergebnisoffene Anregung denn als empathische Apologie der Personen.

Für weitere Korrespondenz kannst Du/können Sie auch gerne meine E-Mail nutzen: josef_bordat[at]hotmail.com.

Es grüßt ganz herzlich die gesamte Familie: Josef
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram