Genie und Wahnsinn VIII: Johann Christian Friedrich Hölderlin (1770-1843)

Essay zum Thema Wahnsinn

von  JoBo72

Hölderlin studierte von 1788-93 im Tübinger Stift Philosophie und Theologie und bildete mit den Philosophen Schelling und Hegel die wohl berühmteste Studenten-WG der Geistesgeschichte. Hier waren die drei Freunde verbunden in ihrer Begeisterung für die Französische Revolution (1789), hier entstand die geistige Richtung, die als Deutscher Idealismus für die Geschichte der Philosophie epochale Bedeutung hatte. Auch mit Fichte und Schiller war Hölderlin bekannt.

1796 trat er eine Stelle als Hauslehrer bei der Bankiersfamilie Gontard in Frankfurt a.M. an und verliebt sich in die Dame des Hauses, Susette, die er in seinen Werken „Diotima“ nennt. Die unglückliche, weil nicht erwiderte Liebe verarbeitet er in seinem einzigen Roman Hyperion oder der Eremit in Griechenland (1799) und in der 1800 entstandenen Elegie Menons Klagen um Diotima.  Das Dramenfragment Der Tod des Empedokles (1797 f.) und die kommentierte Übertragung sophokleischer Trauerspiele komplettieren sein Werk.

Hölderlin, der seinen Stoff vor allem aus der griechischen Mythologie nimmt und gepaart mit christlichen Motiven zu synkretistischen Monumentalbilder deutscher Sprache ausmalt, geht 1801 ins Ausland, zuerst in die Schweiz, dann nach Frankreich, von Deutschlands mangelndem Freiheitsdrang und den „barbarischen“ Umständen bitter enttäuscht. Hyperion endet mit einer unzweideutigen Charakterisierung der Deutschen: „Barbaren von alters her, durch Fleiß und Wissenschaft und selbst durch Religion barbarischer geworden“.

Nach dem Tod Susettes (1802) reist er zurück nach Deutschland. Es folgt wenig später der Zusammenbruch und die Einweisung ins Tübinger Klinikum, als ein in Umnachtung gefallener Geisteskranker. Dort wird er behandelt, jedoch nach Angaben der Therapeuten erfolglos. 1807 wird Hölderlin entlassen, gilt als unheilbar krank, als hoffnungsloser Fall. Bis zu seinem Tod lebt er unter der Obhut der Familie Zimmer im so genannten Hölderlinturm in Tübingen.

Im Dunkeln bleibt unterdessen, inwieweit der Tod seiner Geliebten ein Auslöser war für die plötzliche Erkrankung, dem Wesen nach wohl eine schizophrene Störung – so auch Leo Navratil in seinem 1996 erschienen Buch Schizophrenie und Kunst. Plausibel erscheint mir jedoch, dass die starke Identifikation der fiktiven Person Diotima mit der realen Persönlichkeit Susette und umgekehrt, einen Beitrag zur geistigen Verwirrtheit geleistet haben könnte, zumal mit dem Tod Susettes dem Ideal Diotima der Boden entzogen war und seine eigentümliche Liebesbeziehung zu dem selbst geschaffenen Ideal gleichsam mit der realen Person zu Grabe getragen wurde.

Seine Wirkung auf die deutsche Geistesgeschichte – nicht nur auf die Literatur – ist kaum zu überschätzen. Philosophen wie Dilthey und Heidegger sahen in „ihrem“ Hölderlin den großen Denker, der neben Schiller am lautesten den kühnen Hymnus auf die Ideale der Französischen Revolution angestimmt hat. Literaten wie Bobrowski und Celan betrachteten Hölderlin als Kontrast- und Identifikationsfigur. Gedichte Hölderlins findet man in jedem Deutschbuch der weiterführenden Schule und Hölderlin-Seminare an den Universitäten erfreuen sich bei Germanisten, Historikern und Philosophen gleichermaßen großer Beliebtheit.

Leider erlebte Hölderlin, der Freiheitsliebende, im nationalsozialistischen Deutschland einen ähnlichen Missbrauch wie Nietzsche, sahen die Nationalsozialisten in Hölderlin doch den deutschen Paradejüngling, der es offenbar verstand, griechische Heldenmythen und Deutschtum zu einer naturreligiösen Metaphysik zu verbinden – ganz im Sinne der braunen Ideologen. So gaben sie den Wehrmachtssoldaten Hölderlins Heimatlyrik mit an die Front, damit sie tief in Russland den Oden an Heidelberg und den Neckar frönen konnten. Schließlich sei an das Drama Hölderlin (1971) erinnert, in dem Peter Weiss den Dichter zum Revolutionär macht.

Hölderlin war jedoch in erster Linie ein sensibel-kritischer Geist, empfindsamer gegen äußere und innere Einflüsse als der Durchschnittsmensch. Mit dieser Empfindsamkeit nahm Hölderlin vieles wahr, was sonst verborgen bleibt und ist vielleicht auch an der Einsicht in das schwere Los des Menschen zugrunde gegangen. In Hyperions Schicksalslied fasst er die Verlorenheit des Menschen in der Welt dramatischen zusammen: „Doch uns ist gegeben, / Auf keiner Stätte zu ruhn, / Es schwinden, es fallen / Die leidenden Menschen / Blindlings von einer / Stunde zur andern, / Wie Wasser von Klippe / Zu Klippe geworfen, / Jahr lang ins Ungewisse hinab.“

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Kommentare zu diesem Text

Graeculus (69)
(15.08.15)
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 Dieter Wal (15.08.15)
"Die unglückliche, weil nicht erwiderte Liebe"

Die Briefe beider sind lesenwert. Über "Glück" ließe sich hier streiten. Es sieht danach aus, als wäre die Liebe beidseitig gewesen, was auch die Entlassung Hölderlins und den darauf folgenden Zusammenbruch Hölderlins erklärt.
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