Schattenmorellenbriefe

Text zum Thema Abschied

von  Iv0ry

Mensch in der Ferne,

Danke für Deine Worte voller Mitleid. Ich hatte fast vergessen, dass Du so leiden kannst, dass Du solche Worte kennst, dass Du des Morgens am Ufer stehst und der Nacht hinterhertrauerst.

Dein Brief erreichte mich kurz nach der Ankunft  in Hamburg, mein Flieger geht erst in ein paar Stunden. Ich wollte mich in unser altes Café setzen, jenes mit den Worten an der  Wäscheleine und den kleinen selbstgebackenen Mandelzitronenplätzchen. Es hatte geschlossen. Wegen Umbau.
Mein ganzes Leben scheint eine Baustelle, während Du auf dem Globus ein Gitternetz zu spinnen versuchst, ich stolpere zwischen Grabsteinen, zerbrochenen Milchkaffeetassen und Pariser Statuen herum.

Ich habe mir auf dem Markt eine große Tüte Schattenmorellen gekauft. Ich mag den Klang des Wortes Schatten, er klingt wie ein schweigender Kuss. Einer der Küsse, die wir nicht mehr tauschen - nichteinmal auf Papier. Hörst Du nachts manchmal das Atmen, jenes leise, neben deinem Herzen?
Oder trommelt die Sehnsucht nach jener anderen laut gegen die Wände Deines Raumes? Jener anderen, die dich hinforttreibt? Jener großen Liebe, die sich Sehnsucht schimpft und Fernweh.

Die Ferne schmerzt. In der Nähe zu verweilen jedoch ist schmerzlicher. Wenn die Füsse jeden Schritt kennen, jeder Pflasterstein ein Gesicht trägt, wenn die Augen sich nicht mehr verankern, sondern man blind wird. Blind für die Farben des Mondes über der Birke vor dem Haus.

Die Trauer gibt mir einen guten Grund zu reisen.
Ich werde auf die Inseln fahren. Die Schattenmorellenernte beobachten, daran teilnehmen. In einem weißen Kleid, das hinterher mit Staub und Kirschenblut bedeckt sein wird, einem bunten Tuch im Haar und einer Distelblüte hinter dem Ohr.
Ich werde herausfinden wie sie den Schatten weben, obwohl ich es nicht wissen will, und wie sie ihn um die Kirschen winden.
Ich werde dem Wind lauschen und an den Klippen dem Horizont folgen.
Ich werde meine Hand ausstrecken und auf einem kleinen Marktplatz zwei Augen finden, große, wissende, die mich neun Leben lang begleiten werden. Und eins mehr.
Ein neuer Mollakkord. Ein lauter Trost.

Vielleicht wird die Erinnerung dann nur ein Schatten, den das Morgenlicht vertreiben kann. Bis zur Abreise sitze ich am Hafen und schaue den Möwen zu, die nichts wissen von der Dreistheit der Tauben und nichts hören von der Sorge der See. Sie sind gefangen in geschwungenden Strichen auf einem Blatt Papier in jeder Erinnerung. W gewordener Flügelschwung.
Auch ich erkenne mich so in Deinen Bildern. Wie ein festgepinter Schmetterling. Die Nadel mitten ins Bild. Vielleicht habe auch ich Dich so gebannt, ich weiß es nicht mehr. Wir mussten das Netz lösen um den Anker nicht zu verlieren.
Nun lausche ich ihnen. Den Möwen, sie schimpfen, sie kreischen, sie riechen nach Fisch und nach Ferne.


Ich freue mich auf die Reise und doch vermisse ich den Anfang der Nacht.

Ich teile Dein Schweigen und die Erinnerung an die Zeit der Erdbeerunschuld, an die Kletten im Haar und an die zärtlichen Bleistiftstriche.

Ich verbleibe Dir in Erinnerung als die Muse des Moments

Deine K.

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Kommentare zu diesem Text

Peewee (43)
(05.06.08)
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 Iv0ry meinte dazu am 05.06.08:
Na groß nicht- und auch nicht wirklich begnadet.
1.72 und immer müde...
Aber freut mich dass Dir der Text gefällt.
Ich geb auch zu dass mir meine "Briefe" zur Zeit am besten gefallen, die Lyrikmuse schweigt..;)

 Maya_Gähler (05.06.08)
Schöner Schreibstil, gefällt mir gut.
LG, Maya

 Iv0ry antwortete darauf am 05.06.08:
Danke - ich geb mir Mühe:)
Data-LAB (37)
(09.06.08)
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