Hairball

Erzählung zum Thema Aggression

von  Mutter

Am nächsten Morgen bin ich früh auf den Beinen. Fahre noch mal ins Dorf, einkaufen.
Bin noch vor acht zurück. Ich mache die beiden jeweils los – befreie sie von den Stühlen, lasse sie für ein halbe Stunde langsam im Zimmer herumlaufen. Ich bin an ihrer Seite, berühre ihre Ellenbogen. Durch das Tape auf den Augen sehen sie ohnehin nichts. Gebe ihnen zu trinken.
Nach diesem Programm klebe ich sie mit mehr Gaffer erneut an den Stühlen fest.
Zeit für die Show, Gentleman.
Gestern Nacht, als ich mehrere Stunden wach lag, hatte ich mich endlich entschieden. Die Informationen waren mir nicht wichtig genug. Ich würde alles tun, damit die Brüder redeten – aber dabei ein Mensch bleiben. Die alten Zeiten waren vorbei.
Schweren Herzens hatte ich über eine Reihe von Tricks nachgedacht, wie ich die Jungs reinlegen konnte. Ihre Angst um einander ausnutzen könnte. Zeit, diesen Plan umzusetzen.

Bevor ich dazu komme, klingelt mein Handy. Entnervt gehe ich raus vor die Tür, nehme das Gespräch an. Es ist der Graubart.
‚Was wollen Sie?’
‚Corker? Ich habe Neuigkeiten für Sie.’
‚Will ich die hören?’ Meine Vermutung ist: Nein.
‚Sie bekommen Besuch.’
Fuck. Schlagartig stehe ich unter Strom.
‚Wovon zum Teufel reden Sie?’
‚Keine Sorge – es sind unsere Jungs. Mister Metriç hielt es für angebracht, ein paar unserer Männer vorbei zu schicken, um zu sehen, wie Sie voran kommen. Mit Ihren Ermittlungen.’
‚Das ist nicht Ihr Ernst?! Hören Sie zu …’
Er unterbricht mich.
‚Corker, entspannen Sie sich. Die kommen vorbei, checken die Lage. Lassen Sie ihre Arbeit machen. Werden Sie nicht stören.’
‚Was zum … Wie haben Sie mich überhaupt gefunden?’
‚Wir haben Ihr Handy angepeilt. Sie sollten darüber nachdenken, das Ding auszuschalten, so lange Sie nicht gefunden werden wollen.’
Shit. Ich dämlicher Pisser.
‚Hören Sie, es handelt sich um die Neffen von Mister Metriç. Ich würde es begrüßen, wenn Sie die ganze Angelegenheit mit dem nötigen Respekt angehen würden. Ist das klar?’
Ich bin sprachlos. Nicht nur, dass die mir ein paar Läuse in den Pelz setzen – sie schicken mir zusätzlich die Verwandtschaft des Albaners. Wofür, zum Teufel?
Grußlos beende ich das Gespräch und versuche, mich abzureagieren, indem ich rumbrülle und Steine schmeiße. Die Brandung zeigt sich unbeeindruckt.

Nach ein paar Minuten habe ich mich soweit abreagiert, dass ich zurück ins Haus gehen kann. Eine Lösung für mein Problem ist mir nicht eingefallen. Ich will die Penner nicht hier haben. Glaube nicht daran, dass ich die Bento-Brüder geknackt bekomme, solange ich nicht alleine bin.
Meine einzige Möglichkeit wäre, die Jungs ins Auto zu packen und abzuhauen. Muss an Collies Worte denken: ‚Bau keinen Scheiß mit dem Albaner. Der ist irre.’
Collie hat Recht. Ich kann nicht abhauen – nicht, wenn ich noch mal von dieser Insel runter will. Molly auf den Fersen zu haben, ist hart genug. Mit dem Albaner dazu sind meine Chancen gleich Null.
Als die beiden Fahrzeuge eine dreiviertel Stunde später auf den Hof rollen, bin ich gedanklich kein Stück weiter. Habe keine Ahnung, wie ich aus dieser verschissenen Situation rauskommen soll.
Der erste von ihnen, der aussteigt, lässt mein Herz vor Freude singen. Es ist der Wichser aus dem Bookie – mein Stück Seife.
Shit. Ich schicke eine stille Verwünschung an den Kosmos.
Der Fahrer des Wagens ist ein bulliger Typ mit rundlichem Gesicht, der sein Hemd zu weit offen trägt. Kneift dauernd die Augen zusammen, als könne er nicht richtig gucken.
Aus dem zweiten Auto steigt ein Typ, der aussieht wie der Bruder von der Seife. Dazu mein Agent Smith.
Party, yeah. Wo sind die Luftschlangen?
Die beiden jungen Männer stellen sich als Arber und Kushtim Metriç vor. Ich beschließe, sie sie Barber und Tim nennen. Barber sieht mich mit vorgeschobener Unterlippe an - erinnert sich so gut wie ich an die Begegnung im Buchmacher. Tim schüttelt mir die Hand, stellt Agent Smith als Thomas und den Dicken als Muzafer vor.
Ich bitte die Truppe ins Haus und schmeiße eine Runde Tee. Der perfekte Gastgeber.
Die Jungs werfen neugierige Blicke durch die offenen Türen auf die Brüder in ihren jeweiligen Zimmern.
Barber dreht sich um und grinst. Ich kann spüren, dass es ihn juckt. Der würde sich gerne einen von denen schnappen und ihn richtig fertigmachen. Jede Wette, die Sau ist ein Sadist.
Sein Bruder Tim scheint gemäßigter. Für harmlos würde ich den allerdings nicht halten. Wäre unwahrscheinlich - als Mitglied der Metriç-Family.
Barber hält sich zurück – weiß, dass er keine Scheiße bauen darf. Wenn der vor irgendwas Angst in seinem Leben hat, dann vor seinem Onkel.
Sie wollen wissen, was ich herausbekommen habe. Das ist schnell erzählt: Nichts.
Von Barber bekomme ich für dieses Eingeständnis bloße Verachtung, von Tim ein Schulterzucken. Was haben sie erwartet?

Den Nachmittag über versuche ich mehrmals, meine Arbeit wieder aufzunehmen, mich zu konzentrieren. Fällt mir schwer.
Während ich neben Benny hocke und versuche, ihm mehr Angst zu machen als er in seinem gesamten Leben bisher gehabt hat, isst der dämliche Muzafer neben mir einen Apfel. Meinen Apfel. Hockt auf dem Bett und glotzt uns an. Stoiker. Muss mich zusammen reißen, um nicht aufzustehen und ihm statt Bento die Fresse zu polieren.
Nach einer halben Stunde kommt Barber ins Zimmer und fragt mit barscher Stimme: ‚Und?’
Ich schieße aus der Hocke hoch, drehe mich und lege mit wütender Miene den Finger auf den Mund. Gehe auf ihn zu, packe ihn an der Jacke und schiebe ihn aus dem Zimmer.
Die Tür trete ich mit dem Absatz zu.
Zische: ‚Hör zu, Arschloch! Bisher habe ich eure schmierigen Visagen klaglos ertragen. Nicht mehr lange. Wenn du mir die Show weiter versaust, lege ich euch um. Alle! Ist das klar? Ich versenke euch im beschissenen Atlantik, und keine Sau wird jemals wieder von euch hören, okay?’
Das ist die Provokation, auf die er gewartet hat. Verzieht das Gesicht, als würde er gleich ein halbes Dutzend Schafe schlachten wollen und ist kurz davor, mich anzuspringen.
Tim reißt ihn zurück. Hält ihn an der Jacke fest. Im Hintergrund betrachtet Agent Smith das Geschehen ausdruckslos.
‚Fuck!’ rufe ich.
Tim tritt zwischen uns, eine Hand noch auf der Brust seines Bruders. Die andere hält er mir offen entgegen - ich soll mich beruhigen. Ich bin ruhig.
‚Fuck!’, brülle ich noch mal, lauter. ‚Was wollt ihr Arschwichser? Warum seid ihr hier?’
‚Um auf dich aufzupassen, du Arschgeige’, drückt mir Barber entgegen.
Tim schüttelt den Kopf. ‚Onkelchen hat uns geschickt. Er will wissen, was abgeht. Ob alles in Ordnung ist.’
‚Er traut dir nicht, Fotzenknecht’, übersetzt Barber. Bin froh, dass ich ihn habe – als Dolmetscher. ‚Hat Angst, dass du die Scheiße in den Sand setzt. Die Penner umlegst.’
Ich nicke. Sicher. Schüttele den Kopf.
‚Bullshit. Ich bekomme nichts aus ihnen raus, während ihr hier seid. Solange Idioten wie die beiden mir auf den Sack gehen, machen die Jungs zu wie eine Auster.’ Ich deute eine Bewegung mit dem Daumen hinter mich an, Richtung Schlafzimmer, zeige dann auf Barber -schüttele den Kopf: ‚Macht einen Spaziergang. Holt euch unten am Strand einen runter. Fahrt spazieren – lasst mich in Ruhe. Klar?’
Barber will auf mich zu, wird von Tim abgehalten. Ob die beiden das abends vor dem Schlafengehen üben? Good crook, bad crook?
Ich fühle mich wie ein mies gelaunter Kater. Die vier Penner sind ein Haufen Haare, ein hairball, in meiner Kehle, den ich nicht hoch gewürgt bekomme. Muss sie loswerden, auskotzen, bevor ich wieder auf Mäusejagd gehen kann.

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Kommentare zu diesem Text

Kitten (36)
(07.07.09)
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 Mutter meinte dazu am 07.07.09:
Danke schön ... :)
Cooler Kommentar, den mag ich.
mannemvorne (51)
(07.07.09)
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 Mutter antwortete darauf am 07.07.09:
Okay, ich bin das Ganze mal wissenschaftlich angegangen:  F oder V? Click me for the answer ...

:D

Danke.
mannemvorne (51) schrieb daraufhin am 07.07.09:
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kontext (32)
(08.07.09)
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 Mutter äußerte darauf am 08.07.09:
Cool.

Ein echter 'kontext'. Danke schön. :)
Alegra (41)
(11.11.09)
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