„Wenn du uns in den Club lässt, darfst du meinen Muttermund küssen.“
Amüsiert wandert mein Blick von der Kleinen zu Dirty, der sie um mehrere Köpfe überragt. Ich bin froh, dass sie ihm und nicht mir das Angebot gemacht hat – vermutlich hätte ich meine Verlegenheit nicht verbergen können. Dirty hat damit kein Problem, der ist eine coole Sau.
Leider vermiest sich die Lady die eigene Lässigkeit, indem sie unnötigerweise nachschiebt: „Mit deinem Schwanz.“ Dirty nickt unwirsch – hat er begriffen, danke. Er mustert sie und ihre Freundin ohne Sympathie. Ich schätze die beiden auf siebzehn, vielleicht achtzehn oder neunzehn – völlig egal. Der Club hat eine knallharte Tür, die erst ab einundzwanzig einlässt.
„Ohne Ausweis bekommst du von mir nicht mal einen Drink, geschweige denn einen Fick“, lässt er sie abblitzen. Ihre Freundin zieht sie am Ärmel, will gehen. Dirty ist geduldig – hinter den Mädels steht eine Schlange, noch mehr Leute, von denen sich die Hälfte an uns vorbeidiskutieren will.
Bevor sie endgültig aufgibt und sich wegschleppen lässt, küsst Dirty sich auf die Fingerspitzen, berührt die Kleine mit der Hand leicht an der Wange. Ihre Miene verändert sich kein Stück, aber ich sehe es an ihren Augen – ab jetzt liegt sie ihm zu Füßen. Die kommt unter Garantie nächsten Samstag wieder – so lange, bis sie alt genug ist oder Dirty sich erbarmt und sie nach der Schicht mit nach Hause nimmt.
Hinter mir höre ich Jasmin schnauben. Egal, wie sehr wir anderen die Augen wegen seiner Spielchen und seiner überzogenen Art rollen – Tatsache bleibt, dass keiner von uns mehr Punany bekommt, wie Dirty gerne selbstgefällig feststellt.
In unserem Rücken lässt sich Enzo von den wuchtigen Beats aus dem Tunnel schieben, der in den Club führt, und setzt eine Runde Soft-Drinks auf dem kleinen Tresen ab. Wasser für Jasmin und mich, Apfelsaft-Schorle für Dirty. Ketty, das magere Mädchen, das direkt hinter uns die Kasse macht, bekommt von ihm einen Bananensaft, er dafür ein Lächeln.
Es ist kurz vor drei, und noch immer brummt die Tür. Und es wird auch erst gegen halb fünf, fünf ruhiger werden. Danach will kaum noch jemand rein – bloß den Ausgang finden die wenigsten dann noch von selbst.
Drei Jungs kommen die Treppe hoch, sind die nächsten. Zwei mit Basecaps, der letzte mit modischem Halb-Iro. Ich nehme an, seine Kumpels sehen unter den Mützen genauso aus. Anfang Zwanzig, zumindest der vorderste schon leicht angetrunken. Man sieht den glasigen Blick, riecht die Ausläufer einer Fahne.
„Sorry Jungs.“ Dirty sieht so aus, als tut es ihm tatsächlich leid. Er schüttelt den Kopf, presst die Lippen aufeinander. Keiner von uns bringt die Verschränkte-Arme-Harter-Mann-Tour. Das wird dir in der ersten Nacht im Job abgewöhnt. Druck erzeugt Gegendruck, vor allem an der Tür. Die Bouncer, die einen auf Dirty Harry machen, sind die, die alle naselang Ärger haben. Irgendwelche gepumpten Hengste, Besoffene oder Testosteron geschwängerte Machos, die sehen wollen, ob sie härter als die Jungs am Eingang sind, gibt es immer.
„Oh Mann“, stöhnt der Glasige, der ohne Kappe. Hält inne, schwankt bedenklich. Er scheint enttäuscht, weil er sich drinnen nicht an der Bar festhalten kann, um weiterzusaufen.
„Was denn?“, bellt sein Kumpel von schräg hinter ihm. Dessen Augen glitzern, der will Ärger. Sobald du diesen Job hier ein, zwei Monate gemacht hast, kannst du die Jungs, die bloß auf Stress aus sind, schon von Weitem riechen. Und du wirst ziemlich gut darin, zu erkennen, wie weit die gehen wollen.
Bei den türkischen Kids sind viele Hähne dabei – die plustern sich auf, machen einen auf dicke Hose und tun so, als würden sie dir gleich die Eier abschneiden wollen. Aber wenn du denen klarmachen kannst, dass du keinen Ärger suchst, dass das hier nur dein Job ist und alles anders wäre, wenn du nicht an und sie nicht vor der Tür ständen, ist ganz schnell alles in Butter. Die Kumpel-Masche. Jeder hat gerne den Bouncer als Kumpel.
Bis auf die Cowboys, die lieber Stress wollen.
Der mit dem Glitzern in den Augen schiebt sich an seinem besoffenen Freund vorbei und stößt diesen dabei fast um. Dirtys Hand schießt vor, stabilisiert den Betrunkenen. Merkt der nicht mal.
„Was denn? Was wird das?“, zischt der Aggressive Dirty an, den Mund dabei wütend verzogen. Er zeigt uns die Lefzen.
Dirty bleibt entspannt. „Tut mir leid, wir können euch nicht reinlassen. Nicht in seinem Zustand“, erklärt er und zeigt auf den Schwankenden.
„Das ist doch Hundepisse. Habt ihr den Arsch offen? Wir gehen da jetzt rein“, entscheidet der Harte bestimmt. Der letzte im Bunde zögert, hat Angst. Der ist kein Cowboy und will keinen Ärger mit uns. Der Betrunkene schwankt erneut, stützt sich mit der Hand am rauen Putz des Eingangs ab. Ich hoffe, er kotzt uns nicht auf die Stufen. Der Cowboy ist alleine.
Hinter uns tritt Enzo näher, addiert seine massige Figur zu meiner und Dirtys beeindruckender Erscheinung. Ich verdrehe die Augen - hätte es lieber mit Deeskalation als mit Drohgebärde versucht. Der Typ vor uns ist schon so weit durch, dass er sich auch mit uns dreien anlegt. Tatsächlich fühlt er sich offenbar durch Enzo provoziert. „Ihr Drecks-Türken – was denn? Weil wir nicht Mustafa und Achmed heißen? Deswegen? Wollt die deutschen Schlampen für eure Kanaken-Kumpels, oder was?“ Während er brüllt, sprüht er uns immer wieder Spucke entgegen, und ich würde mir so sehr wünschen, ich könnte ihn einfach mit einem Tritt vor die Brust von der Treppe fegen. Problem erledigt. Stattdessen müssen wir uns wie Sozialarbeiter bei der Mediation benehmen.
„Hör zu, es tut mir leid, aber wir haben …“, will Dirty weitermachen, aber der Typ lässt ihn nicht.
„Ihr Schweine! Dumme Fotzen! Ich mach euch fertig, alle!“ Er will einen Schritt die Treppe hoch machen, aber die Hand des Türstehers auf seiner Brust stoppt ihn. Der Kerl will sie zur Seite schlagen, aber Dirty ist zu schnell, zieht sie weg.
„Fass mich nicht an! Pack mich noch mal an, und ich mach dich fertig!“, brüllt sein Gegenüber.
Eine Gruppe Mädchen, die hinter den dreien steht, ist längst auf Abstand gegangen. Sie sehen mit großen Augen zu uns herüber. Der Cowboy fängt an, ihnen Angst zu machen. Es wird Zeit, das kleine Drama zu beenden.
„Okay“, sagt Dirty und macht den Schritt runter, neben die drei. „Zeit für euch zu gehen!“
Der Kerl weicht zurück, stößt gegen seinen Kumpel, der gerade versucht, ihn wegzuziehen. Und dann rastet der Typ aus. Will Dirty mit der Faust ins Gesicht schlagen, aber der nimmt lässig den Kopf zurück und weicht aus.
Mit einem Grinsen mache ich einen Satz nach vorne, schnappe mir den rechten Unterarm des Kerls, nachdem er Dirty verfehlt hat. Während ich dem Idioten den Arm auf den Rücken drehe, hämmert Dirty ihm, ohne das Gesicht zu verziehen, einen Haken auf die Rippen. Der Kerl klappt zusammen, röchelt, wird aber von mir an seinem schmerzenden Arm daran gehindert, zu Boden zu gehen. Sobald jemand uns körperlich angreift, sind wir befugt, ebenfalls physische Gewalt anzuwenden, um die Sache zu beenden. Unter Wahrung der Verhältnismäßigkeit der Mittel, wie uns Murat immer wieder einschärft.
Ich schiebe den Stöhnenden, immer noch im Polizeigriff, an seinem verdutzten Kumpel vorbei, Dirty hat ihn locker am anderen Arm. Wir begleiten ihn auf die Straße, gehen ein paar Meter Richtung Heinrichplatz. Ich stoße den Typ auf einen Waschbeton-Poller zu, lasse ihn los. Zusammengekrümmt stützt er sich auf, ringt noch immer nach Atem. Dirty tritt neben ihn, legt ihm die Hand in den Nacken. Liebkosung und Drohgebärde zugleich. Er beugt sich vor und flüstert dem Typen etwas zu. Ich nehme an, er macht ihm Angst. Verspricht ihm, dass wir ihm den Arsch richtig aufreißen, wenn er sich hier noch einmal blicken lässt. Uns noch mal ans Bein pinkelt.
Er fragt ihn etwas, aber der andere reagiert nicht. Dirty fragt noch einmal, eindringlicher, der Kerl nickt schwach. Mit einem Grinsen verstärkt der Franzose das Nicken durch die Hand in seinem Nacken, boxt ihm dann kurz freundschaftlich auf den Oberarm.
„Komm“, sagt er zu mir und bewegt sich zurück Richtung Club.
Ein paar Meter hinter uns steht der andere mit Basecap, betrachtet die Szene beunruhigt. Er will wissen, ob mit seinem Kumpel alles okay ist. Ohne ein Wort gehen wir an ihm vorbei zum Eingang.
Die Mädels sind bereits an Enzo vorbei, die Schlange bewegt sich wieder gleichmäßig vorwärts. Auf der Straße steht verwirrt und immer noch mit glasigem Blick der Betrunkene und vermisst seine Kumpels.
Dirty klopft ihm im Vorbeigehen auf die Schulter, deutet mit dem Daumen hinter sich. „Die anderen zwei Arschlöcher sind dahinten.“
Der Kerl scheint zu verstehen, nickt und macht sich konzentriert daran, auf seine Freunde zuzusteuern.
Enzo grinst uns an. „Alles gut?“, will er wissen.
„Alles gut“, sagt Dirty und nimmt seinen Platz neben dem Polen ein.