Mephisto

Erzählung zum Thema Angst

von  Mutter

Corben stellt das Pint vor mir ab und setzt sich dann mit seinem Bier mir gegenüber hin. Er sieht mich aufmerksam an, beobachtet mich.
‚Warum magst du mich nicht? Wovor hast du Angst?’ fragt er, als ich mich weigere, etwas zu sagen.
‚Wieso heißt du Corben?’ erwidere ich im Gegenzug ohne zu antworten. Über die Frage hatte ich schon eine ganze Weile nachgedacht. ‚Du bist zu alt, als dass dich deine Eltern nach dem Fünften Element benannt haben können.’
Er lacht und nimmt einen langen Schluck von dem tief schwarzen Guinness. Den Schaum wischt er sich mit dem Handrücken von den Lippen und antwortet dann: ‚Richtig. Nicht Corben Dallas - Richard Corben, der Maler.’
Sagt mir nix. Ist aber auch egal – Mysterium für mich aufgeklärt. Danke, reicht schon.
Ich trinke ebenfalls von dem Bier. ‚Stout’, hat er es genannt. Es schmeckt bitter und schwer, und ich erinnere mich daran, dass Mick mal erzählt hat, dass zwei Pint Guinness eine ganze Mahlzeit ersetzen. Ich glaube ihm sofort. Normalerweise trinke ich Cider im Pub. Aber Corben hat mich nicht gefragt, was ich trinken will. Macht man vielleicht nicht, da drüben. Ist rüber an die Bar, hat geordert, und das fette Glas vor mir abgestellt.

‚Wovor hast du Angst?’ fragt er mich wieder.
Was für eine Scheiß-Frage. Hat er den ganzen Tag Zeit? Weil, wo soll ich da anfangen? Bei mir, bei der Welt? Vielleicht sollte ich ihm einen kleinen Tipp geben – wenn er mich fragt, wovor ich KEINE Angst habe, dann kommen wir hier vielleicht vor Zapfenstreich noch raus. Scheiß-Welt. Scheiß-Waliser. Mann, hab ich die Schnauze voll.
Ich antworte nicht, aber ich widerspreche auch nicht. Sehe kurz aus dem Fenster. Hätte mich nie darauf einlassen sollen, mit ihm hierher zu gehen.
Er lehnt sich zurück, um an die Zigaretten in seiner Hose zu kommen.
‚Pass auf, so wie ich das sehe, habt ihr doch da ein ganz lockeres Ding am Laufen.’ Klopft eine Kippe aus der zerknitterten Packung. ‚Eine clevere Idee, einen hellen Kopf, der euch das Ganze durchzieht und der Laden läuft.‘
Soso, denke ich. Sage aber nichts. Warte auf weitere erhellende Worte.
Er legt sich die Zigarette auf die Hand, konzentriert sich einen Augenblick. Schlägt mit der Linken auf die Hand, fängt die Kippe mit den Lippen aus der Luft. Was für ein dämlicher Poser! Und ich ärgere mich über mich selbst, weil ich gegen meinen Willen davon beeindruckt bin. Wie viele Zichten muss man in die Luft schmeißen, um das hinzubekommen?
‚Oder nicht?‘, will er um den Filter herum wissen.
Ich nicke widerstrebend. ‚Schon.‘
Und?
Während er die Augen theatralisch zusammen kneift, zündet er sich die Zigarette an, nimmt einen tiefen Zug. Stößt eine dicke Wolke weißen Rauchs aus.
Befriedigt mit seiner Arbeit lehnt er sich zurück, konzentriert sich wieder auf mich. ‚Kein Grund also, sich Sorgen zu machen. Nicht um das Geschäft, nicht um mich. Richtig?‘
Wie ein Verschwörer, gönnerhaft, lehnt er sich auf den runden Tisch, sieht mir in die Augen. Fehlt nur noch, dass er mir sanft die Hand auf den Arm legt.
‚Wir wollen alle ein bisschen Karussell fahren. Was mitnehmen. Und ich stehe dir dabei nicht im Weg, Jakob. Ohnehin ist die ganze Sache doch jetzt schon größer als wir beide. Hat sich multipliziert, ausgedehnt, nimmt unvorstellbare Formen an. ‘
Als ich nicht antworte, sondern wegsehe, wird seine Stimme noch eindringlicher. ‚Gabi ist der Boss. Ihr anderen seid nicht wichtig. Aber ich will keinen Ärger, will, dass alles geschmeidig seinen Gang geht. Deswegen sitzen wir beide hier.‘ Er spricht die Worte mit einer Endgültigkeit aus, als wäre das sein letztes Angebot. Take it or leave it.
‚Wir kommen uns nicht in die Quere, gehen uns nicht gegenseitig auf den Sack. Okay?‘ Bei den Worten streckt er mir seine Hand entgegen und ein Schwindel erfasst mich. Fühle mich wie Faust, der seinem Mephisto gegenüber sitzt. Gleichzeitig versuche ich in Zeitraffer, seine Worte zu decodieren. Als würde hinter dem harmlosen Satz etwas anderes stehen. Als hätte Corben gerade mit tiefer, synthetisch verzerrter Stimme gesagt: ‚Verkauf mir deine Seele, Jakob. Dafür nehme ich dir die Angst.‘
Der Raum dreht sich um mich, immer schneller, Zahlenkolonnen á la Matrix rasen vor meinen Augen durch, aber kein Code kommt. Keine Enigma reicht mir die helfende Hand. Corben sieht mich weiter aufmunternd und offen an. Komm schon, scheint sein Blick zu sagen.
Ich ergreife seine Hand, verziehe das Gesicht, als Schmerz mich durchzuckt. Das Händeschütteln als atavistisches Ritual des Alphamännchens. Ich hätte wissen müssen, dass er mir wehtun wird. Männlicher Händedruck.
Endlich lässt er mich los. Betrachtet mich einen wortlosen Augenblick, trinkt dann mit einem langen, gierigen Zug den Rest seines noch halbvollen Pintglases aus und rülpst. Lacht und steht auf. ‚Du bist in Ordnung, Jakob. Das wird schon.‘
Benommen bleibe ich zurück, betrachte, wie er zahlt und geht.
Abgang Mephisto.


Anmerkung von Mutter:

Ich bitte nochmal um Entschuldigung - einzelne Teile dieses Projektes entstehen, anders als z.B. der Corker, leider nicht komplett chronologisch.

Deswegen tauchen hier auch immer wieder Abschnitte auf, die 'mitten ins Geschehen' platzen.
Aber da es vermutlich ohnehin Monate her ist, dass hier jemand was gelesen hat, macht das vielleicht nichts. ;)

Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Kommentare zu diesem Text

Georg (54)
(05.01.10)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 Mutter meinte dazu am 05.01.10:
:D

Ich freu mich auf Dich ... ;)
Kitten (36)
(05.01.10)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 Mutter antwortete darauf am 05.01.10:
:)

Dank u wel ...
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram