„Ich habe Angst. Ich hab sie verbrannt, damals. Die Kiste. Ich hab Angst, dass ich eine neue brauche.“
Mit Musik in meinen Ohren und Tränen in meinen Augen presse ich ein allerletztes Mal sein Shirt an mich, sauge seinen Duft ein, und den Tag, diesen wundervollen Tag der dieses T-shirt mit sich brachte.
”I’m so glad I found you, I love being around you. You make it easy. One, two, three, four. “
Leise summe ich das Lied mit, während sich das Geräusch dröhnender Gleise um mich herum schmiegt. Außer dem lachenden, kleinen Jungen hinter mir und der schnarchenden, erschöpften und verlebt aussehenden Mutter neben ihm, ist alles leer. „Ausstieg in Fahrtrichtung, links.“ Mutter und Sohn stürmen eilig aus dem Wagon und gehen hastig über die Straße zu ihrem wartenden Bus. Immer noch schweift mein Blick, durch das zerkratze Bahnfenster, über die Häuser Düsseldorfs, die Altbauten mit ihren Schnörkeln und Balkonen und ihren bunten Fassaden. „Man kann nicht ewig eine Maske tragen.“ Ich verliere mich in Tagträumereien, falle rückwärts durch meine letzte Begegnung mit ihm, wir zwei am Rhein. Bitterkalter Wind umweht uns, Schafe in unserem Rücken. Das Rauschen des Wassers zu unseren Füßen, und wir sind verliebt. Noch fröstelnd stolperten wir zu Starbucks, genossen die letzten gemeinsamen Minuten im warmen, und vergaßen, dass der Abschied näher kam, mit jedem Schluck der heißen Schokolade die unsere Kehlen hinabfloss.
„Luegplatz“. Die eiserne Stimme schreit es mir entgegen, ich steige unbeholfen aus und schaue mich um, Niemand zu sehen. Doch die Angst ist verflogen, die Angst die mich sonst kalt erwischt und doch nur an den wehenden Haaren herbeigezogen ist, dass er nicht kommt. Er würde kommen, ganz sicher.
Knirschend beugt sich der Schotter meinen entschlossenen Schritten, verzweifelt halte ich Ausschau nach dem wehenden, tanzenden, schwarzem Haar durch das meine Finger streichen wollen.
Ich atme die klare Rheinluft ein und drehe die Musik lauter, lasse sie alle letzten Zweifel wegschwemmen wie die Flut nur wenige Meter von mir entfernt.
Aufatmen, endlich. Stürmisch rennt er auf mich zu, wirft mich fast um in seiner Liebe und seiner Sehnsucht, die ich so sehr mit ihm teile.
Wie selbstverständlich verschmelzen unsere Hände miteinander, glücklich schweigend bahnen wir uns unseren Weg zwischen Hund und Herrchen, Schaf und Schafhirten und Pärchen aus denen niemals etwas wird. Wir lachen.
An einer wunderschönen Eiche angekommen breiten wir unsere Decke aus und verschmelzen in Umarmungen und Küssen.
„Ich hab etwas für dich.“ Sein sonniges Lachen erfüllt mich mit Sommerfreude, solchen Sommerabenden wo es reichte als kleines Mädchen das Gras unter den nackten Füßen zu spüren, den Wind zu zusehen wie er das Kleidchen umwehte, ein Wassereis in der Hand, Abenteuer in den Augen.
Schüchtern hält er mir ein strahlendweißes Trikot entgegen von seiner Lieblingsmannschaft, und sofort hör ich innerlich seine Stimme: „Es ist so niedlich wenn du so tust als hättest du eine Ahnung von Fußball.“ Froh etwas greifbares von ihm mitnehmen zu können ziehe ich ihn an mich und küsse ihn, alles dreht sich, alles verschwimmt zum bunten Frühlingsgrün um uns herum.
Wir schwören uns unsere Liebe, verlieren uns in Versprechen und Träumen und malen uns die Welt, und unser späteres Leben als Märchen aus. Geschichten aus Marzipan und Kirschsaft.
„Willst du es lesen?“ Flüsternd streicht er mir das verwehte Haar hinter die Ohren. Ich nicke heftig und lege das glänzende, flache Macbook mit der liebevollen Aufschrift: Emilia Galotti II vorsichtig auf meinen Schoß.
Gefangen von seiner Trauer und gehalten von seiner Liebe fliege ich durch seine Vergangenheit und nehme jede Erinnerung in mich auf. Keuchend schaue ich auf, in große, schokoladenbraune, liebevolle Augen und vergesse mich und meine Erinnerungen.
Stunden sind an uns vorbeigezogen, die letzten, warmen Sonnenstrahlen kitzeln unsere Gesichter die sich kaum noch von einander lösen.
Heute sind sie egal, sind sie vergessen. Sie können uns nichts mehr anhaben, sie sind vergessen.
„Vergessen ist nicht die Kunst zu verdrängen, sondern aus einem ‚es tut mir weh’ ein ‚es ist mir egal’ zu machen.“
Der Wattebauschhimmel reißt über uns auf, verfärbt sich in beißendes Schwarz und lässt Hagel und Regen auf uns strömen.
Blitze krachen auf die Erde hinab und mit ihnen flammen für Sekunden Erinnerungen auf.
„Shh, ich bin da. Ich bin da Sunny.“ Schützend zieht er mich an sich heran und legt sein Kinn auf meine Haare, streicht meine zitternden Arme entlang und hält inne beim linken Unterarm. Ich schaue auf. „Es tut mir leid.“ Tränen brechen aus mir heraus, tropfen auf seinen Pulli und versiegen in seinen Liebesschwüren. „Wir sind nur Statisten, Sunny. Aber wir können unsere Hintergrundmusik, unsere Drehbücher, selbst schreiben. Die Show muss weiter gehen. Mit deinem Herz als Souffleur.“
Vorsichtig öffne ich die Conversekiste, was denn sonst? So rannten doch immer Chucks auf mich zu,
lege das Trikot vorsichtig gefaltet hinein, dazu die marzipanfarbene Rose, die Zoomünze, das Parfum von Esteban und hauche ein „Ich liebe dich“ hinein.
Schreibe seine Adresse in geschwungenen Lettern auf den schwarzen Karton und gebe als Absender an: Emilia Galotti, Marzipanstr. 4, Bremen.
„Inside my heart is breaking, my makeup may be flaking. But my smile still stays on. The Show must go on.”