Wie man die #Existenzgrundlage des *Tötens lernt (Romanauszug)

Cut-Up zum Thema Abschied

von  alter79

Alter und Tod erschrecken den Mann nicht. Nein, er weiß solche Einschüchterung weit hinter sich. Andererseits weiß er von einer restlichen Dummheit in sich, von der immer noch in ihm wohnenden Gewalt, die er unter Verschluss halten muss wie ein Raubtier, wie den Vulkan seines Verlangens, der ihn, wenn er wütend ist zwingt Dinge zu tun die er besser gelassen hätte. Früher, als sein exzessives Wesen ihn zu Handlungen wie Trinken und Raufen nötigte, als er jung und unverbraucht war, konnte er handeln, tun und lassen, um anschließend in sich sensible Befürchtungen auszuleben ob das, was passiert war oder er unterlassen hatte, richtig war oder falsch. Fünf Jahre, zum Beispiel, dachte er in der Fremdenlegion über Handlungen nach, bei der ein Mensch zu Tode gekommen war. Fünf Jahre suchte er selber den Tod. Gefunden hatte er einen neuen Namen, eine andere Identität, bekam eine Rente von der Legion, weil er sich nach den ersten fünf weitere zehn Jahre in der Gemeinschaft der Verlorenen aufbürdete. Danach waren endlich Angst, Schuld und Reue weg, wie der Zwang sich selber zu töten - und er wieder zurück wo er hergekommen. Und einmal im Jahr ging er zum Kirchhof und legte Blumen am Grab des Opfers nieder. Immer zur gleichen Stunde. Immer zehn Minuten Gedenken an alle seine Taten. Das war ihm Therapie. Sonst nichts mehr davon. Die Strafe war erteilt, verbüßt, fini. Und heute, hier, kennt er nur ein Ziel: Millionär werden, um mit dem Geld etwas gut zu machen. Was auch immer. Deswegen.

Er steht nackt vor dem Spiegel im Bad, rasiert sich. Ohne zu wollen liest er den Namen des Hotels auf den Utensilien um sich herum. Desiree. Ein Puffname. Egal, früher hätte er Badematte, Handtücher, den Bademantel vom Haken neben der Tür, oft den Klodeckel sogar, bei der Abreise mitgenommen und später verkauft. Heute tut er das nicht und muss das Hotellogo auch nicht lesen, er weiß, wo er sich befindet, und es wird das letzte Mal sein, dass er in solch einer Klitsche absteigt. Sicher? Ja, sicher!

Die Badtür ist offen, und während der Mann sich rasiert, blickt er mehr zufällig auf seinen dunklen Anzug, der hinter ihm im Flur auf dem Bügel hängt. ’Die Seidenkrawatte ..., hoffentlich habe ich die wirklich im Koffer. Wenn nicht, muss ich ohne Binder gehen, denn Zeit, um eine neue zu kaufen, bleibt nicht ..., ach, beruhige dich ..., falls du die Krawatte nicht findest, kannst du die Schnürsenkel aus den Schuhen ziehen ...; ja, das wäre doch was, ein Gag, - ein zukünftiger Millionär mit Schnürsenkeln als Binder in der berühmten Fernsehshow. Was denn, was denn?, hat es doch alles schon gegeben, ist alles schon da gewesen – von den Amis abgeguckt, den Cowboys. Vom Cowboy zum Millionär, stilgerecht ...’ Darüber grinst er in den Spiegel rein, - weil er heiter ist, fast glücklich, weil er weiß, was ihn in ca. einhundert Minuten erwartet: eine Million!, und das mit oder ohne Krawatte. Nackend könnte er die abholen; ja, abholen, denn mehr als das wird es nicht sein. Der Mann bückt sich zum Wasserhahn im Handwaschbecken, spült den Rasierschaum von Wange und Kinn, schüttet Schaum und Wasser über ein Schamhaar, das im Becken klebt, um es abzuspülen. Nicht von mir, denkt er über das Schamhaar, reibt sich mit dem Handrücken nachdenklich über die Nase, kommt zu keinem Ergebnis, was seine Sexualität oder ähnliches betrifft, sagt deshalb laut und trotzig: „Fertig mit rasieren!“ Dreht sich um, schiebt den Duschvorhang zur Seite. ’Plastik - dieser Scheiß, da kann man sauer werden, vor allem, wenn einem beim Duschen das nasse Zeug am Hintern klebt...’ Wie er den noch nötigen Schritt zur Dusche tut, sieht er sich seitlich im Spiegel. Doch dieser Blick - wirklich ein Versehen, wie er später eruierte, denn niemals hat er wissentlich, jedenfalls seit Jahren nicht, seinen Körper seitlich im Spiegel gesehen, nun, von vorn, ja - ja, das schon, doch auch das nur so lala; also, dieser Blick auf seinen Körper erschreckt ihn. ’Seitlich, mein Freund, ist jeder menschliche Figur die übers 25 Lebensjahr hinaus ist eine Zumutung für den Betrachter - und erst die eigene! Ja, vor anderen kannst du davon laufen, die Augen verschließen, dich scheiden lassen, kannst sie - bei nötiger Courage - umbringen. Klar, kann man machen - kann man alles machen!’ Nicht wahr, - du weiß, wovon du redet, denn getötet hast du schon reichlich, auf jeden Fall genug, und das wegen weitaus weniger als einem miserablen Konterfei im Bad eines drittklassigen Hotels, wo die Spiegel schon aus Qualitätsmangel lügen müssen...; ja, das sowieso, sagt sein Ego. Herrgott, warum muss ’ihm’ das nur passieren, und heute wieder, und das neunzig Minuten vor dem Topereignis seines Lebens. Sch..., flucht er.


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