Begegnung [mit einer bekannten Unbekannten]

Text zum Thema Abhängigkeit

von  ZornDerFinsternis

Ich begegnete ihr auf der Bahnhofstoilette. Dunkles, blondes Haar – verschwitzt. Ihre Haut war blasser, als der letzte Schnee an den ich mich erinnern konnte. Der Dreck der Straße betonte ihre Wangenknochen und machte es fast unmöglich in die grünen Augen zu schauen, ohne Mitleid zu empfinden. Sie starrte mich an. Zitternd grub sich ihre vernarbte Hand in die Tür der Toilette. Es stank. Irgendwas, zwischen billigem Putzmittel, Zigarettendunst und Pisse.
Ich wusch mir die Hände. Mein Blick ruhte im Spiegel und war dabei, sich in ihren traurigen Augen zu verlieren. Dieses Grün war unbeschreiblich. So satt, wie das der kleinen, unwillkommenen Unkräuter, die sich zwischen den Pflastersteinen des Bürgersteiges hervordrängten. Ich überlegte, wie viele Männer diesen Augen wohl schon verfallen sein mochten. Sie mussten wirklich einmal wunderschön gewesen sein.
Das Wasser lief eiskalt über meine Handflächen. Seife gab es nicht mehr. Ich griff zur Seite, um ein Papiertuch hervorzuziehen, um meine Hände trocknen zu können. „Hast‘ mal ‚ne Kippe für mich?“ Mein Kopf drehte sich zu dem Mädchen herüber. Sie kauerte immer noch am Türrahmen. Ihre Arme waren genauso blass, wie ihr Gesicht. Einstiche fanden sich an beiden. Einige mussten alt sein, die Blauenflecken waren kaum noch zu sehen. Ich schüttelte den Kopf. War mir aber nicht sicher, ob sie es überhaupt wahrnahm.
„Warum gehst du nicht nach Hause – ist schon spät und…“ Diese Frage war bescheuert. Ohne ein Wort auf den Lippen kroch sie zur Tür heraus. Sie war weg. Weg. Und irgendwie, war sie niemals wirklich hier gewesen. Ich weiß, dass ich sie schon einmal gesehen habe. Dieses Mädchen von der versifften Bahnhofstoilette, es steht noch immer vor mir im Spiegel.
Wer kann ihm sagen, wie lange sie mir noch entgegen starren wird? Die Zeit läuft bedrückend voran und der nächste Schuss, die nächste Flasche Whisky, kommt bestimmt.

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Kommentare zu diesem Text


 Dieter Wal (08.07.10)
Super Sozialreportage!

 ZornDerFinsternis meinte dazu am 09.07.10:
Ist das jetzt sarkastisch aufzufassen, Dieter? ._. Ich bin mit dem Text nämlich nicht recht zufrieden... wieder eine ziemlich, holprige, unebene sprachliche Angelegenheit.

 Dieter Wal antwortete darauf am 09.07.10:
Das ist ernst gemeint.

Wenn du dran feilen möchtest, gern mehr per Email oder lieber telefonisch (Ginge schneller).
SigrunAl-Badri (50)
(09.07.10)
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 ZornDerFinsternis schrieb daraufhin am 09.07.10:
Dankeschön, Liebes.
supernova (51)
(14.07.10)
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 ZornDerFinsternis äußerte darauf am 15.07.10:
Das ist wirklich eine große Sache für mich... bin wirklich sehr, sehr gerührt und freue mich sehr, dass der Text trotz all seiner (bei mir häufigen) Schlichtheit, Anklang zu finden scheint :)
Es war und ist mir ein großes Bedürfnis die schattigen Gesellschaftsseiten aufzuzeigen und auch Verständnis zu entwickeln. Nicht zwangsläufig eine Art Mitleid, denn Mitleid gibt nicht immer das " gewisse Etwas " , sondern eben Verständnis. Einsicht. Hinterfragen.
Vielen Dank, für deine Klicks und den lieben Kommentar :)
Anni

 makaba (15.07.10)
das ist ein sehr guter text.. wirklich ergreifend und erschütternd und so nah rübergebracht. wirklich sehr gut!

lg makaba

 ZornDerFinsternis ergänzte dazu am 16.07.10:
Vielen, vielen Dank.
Von Herzen liebe Grüße in dein Wochenende.
Anni
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