Nach dem Krieg

Erzählung zum Thema Krieg/Krieger

von  Sanchina

Nach dem Krieg


Ein junger Soldat irrt heimwärts durch sein Land, wo kein Stein mehr auf dem anderen ist, in Zivilkleidung, die er von einem Toten hat, ernährt sich von Asche, Staub, Gras, trinkt Wasser aus Seen und Bächen. Zum Irrewerden ist, dass es auch noch ein phantastischer Sommer ist. Zum noch Irrerwerden ist, dass im Winter nicht auch Sommer ist, damit man nicht friert, denn die Luft ist jetzt kühl, nicht länger befeuert. In den Städten die Frauenscharen in allen Schneisen, die Straßen waren, emsig damit beschäftigt, die größten Trümmer beiseite zu schaffen. Die Zwanzigjährigen und Älteren sehen wie Greisinnen aus. Nur die Kinder sind weise. Mode ist, aus zwei, drei alten Kleidern ein neues zu machen. Das geblümte Sommerkleid von Tante Martha mit den karierten Ärmeln des Vorkriegs-Herbstkleides von Oma, auf der Brust die Knöpfe von Opas (der gefallen ist) alter Uniform aus dem Ersten Weltkrieg. Jeder Haushalt, auch der zertrümmerte, hat noch Ressourcen. Die Frauen schleppen keineswegs nur Steine, sondern sie suchen und tragen alles zusammen, was noch gut ist: Wertstoffe. Hier ein Fetzen, nicht mehr erkennbar, was für ein stoffener Gegenstand dies einmal gewesen ist, dort eine löcherige Pfanne. Alles, was noch irgendwie gut ist, wird dringend gebraucht. Und eine Pfanne mit Löchern ist gut, wenn nichts drin ist. Und draußen, vor den geborstenen Toren der Städte, überall auf Haufen die Toten.

Der junge Soldat findet die Mutter, die gar nicht bemerkt, dass er irre geworden ist. Hauptsache, ihr Junge ist wieder bei ihr. Er war doch erst achtzehn Jahre alt, als er fort zog. Drei lange Jahre war er im Krieg. Aber er lebt. Die Wohnung ist unzerstört. Alles ist noch da, wo es vor dem Krieg war: die Uhr an der Wand, das Klavier hinter der Tür. Nur der Vater fehlt noch; er ist in Gefangenschaft. Mutter und Sohn schlafen im Ehebett. Mitten in der Nacht wird der Junge wach. „Mama,“ sagt er, „ich habe mich nass gemacht.“

Die Mutter trocknet ihr Kind, zerlegt das Bett, tauscht Matratzenteile gegeneinander aus, legt ein frisches Laken darauf, verdunkelt das Zimmer nicht. Es ist alles wie vor zwanzig Jahren in dieser Nacht. Als wäre der Krieg gar nicht gewesen. Die Mutter merkt nicht, dass ihr Kind groß und irre geworden ist.

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Kommentare zu diesem Text

SigrunAl-Badri (52)
(18.10.10)
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 AZU20 (18.10.10)
Da wird einiges wach, was ich hautnah miterlebt habe. Sehr intensiv. LG
Skandia (43)
(19.10.10)
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 Dieter_Rotmund meinte dazu am 19.10.10:
"Ein junger Soldat irrt heimwärts durch sein Land, wo kein Stein mehr auf dem anderen ist"

Da der Soldat mit "heimwärts" eine Richtung hat, kann man nicht von "irren" sprechen, außerdem ist man entweder heimwärts unterwegs ODER schon in seinem Heimatland, ergo ist "heimwärts durch sein Land" unmöglich.
Das geflügelte Wort heißt "wo kein Stein mehr auf dem anderen steht". Sorry, bei soviel handwerkliche Schlampigkeit gleich im ersten Satz habe ich dann keine Lust mehr weiterzulesen....

 Sanchina antwortete darauf am 19.10.10:
Wenn du weiter gelesen hättest, wüsstest du, dass der junge Soldat irre geworden ist. Deshalb irrt er durch sein Land, egal, ob mit oder ohne Richtung. Das haben Irre so an sich.
In diesem Land i s t kein Stein mehr auf dem anderen. Wieso sollte ich das geflügelte Wort benutzen, wenn ich diese Aussage gar nicht treffen will? Steine können aufeinander liegen, stehen oder eben auch sein. Das ist keine "handwerkliche Schlamperei", sondern es sind bewusst gewählte Formulierungen.
Schließlich: Wenn ich von Bayern in Richtung Nordsee reise, bin ich "heimwärts" unterwegs i n meinem Land.
(Antwort korrigiert am 19.10.2010)

 Dieter_Rotmund schrieb daraufhin am 22.10.10:
Da der Text perspektivisch nicht in der Form des Ich-Erzählers (=Soldat) geschrieben ist, kannst Du auch den (auktorialen!!!) Text nicht einfach "irre" machen.
Ich bin sprachlos vor soviel Kritikresistenz, die in so hanebüchene Ausreden ausartet. Sanchina, nichts für ungut, aber wenn Du nur Lobhudeleien willst, dann fordere das bitte auch kategorisch, dann halte ich die Klappe!

 Sanchina äußerte darauf am 22.10.10:
Ich bitte darum!

 Dieter_Rotmund ergänzte dazu am 23.10.10:
Alles klar!!!

 EkkehartMittelberg (26.11.10)
Man kann gar nicht genug betonen, wie wichtig ein Text wie dieser ist in Ländern, in denen die meisten Menschen gar keine Vorstellung davon haben, wie schrecklich Krieg ist.
LG von Ekki
DerAutor (42)
(26.11.10)
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 Sanchina meinte dazu am 26.11.10:
Danke. Aber ich will ja gar nicht nur Lobhudelei. Ich wollte bloß, dass Dieter die Klappe hält.
Gruß, Barbara
DerAutor (42) meinte dazu am 26.11.10:
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