Eine wahnsinnige Perspektive

Erörterung zum Thema Wahnsinn

von  loslosch

Insanus omnis furere credit ceteros (Publilius Syrus, 1. Jh. v. Chr.; Sententiae). Jeder (krankhaft) Wahnsinnige glaubt, die andern würden wüten und toben.

Eine uns Heutigen wohlvertraute Betrachtungsweise, meist in ironisierender Absicht. Durchsage im Radio: Vorsicht, Ihnen kommt ein Falschfahrer entgegen. Der unbelehrbare Falschfahrer murmelt vor sich hin: Einer? - Hunderte! Der Versuch, die Weltsicht aus der Perspektive des Wahnsinnigen nachzuempfinden, ist im heutigen Alltag jedoch eher selten anzutreffen, vermutlich deshalb, weil sehr viele, unterschiedliche Krankheitsformen des Wahnsinns in allen Schattierungen und Übergängen existieren: von der paranoiden Störung über Angsterkrankungen bis zu den schizophrenen, manisch-depressiven und depressiven Zuständen, im fortgeschrittenen Alter das Miteinander weiter erschwerend.

Wie lässt sich bei diesem Befund eine stabile, nachvollziehbare Perspektive des vom Wahnsinn Betroffenen für Außenstehende vermitteln? Die viel gelesene, noch im Mittelalter sehr beliebte Spruchsammlung des Publilius Syrus benutzt eine allgemeine Formel. Sie ist für die damaligen Zeitumstände eine zwar karge, aber erstaunlich kluge Umschreibung des Wahns. Heute sagen wir: Der Wahn ist die private, nur persönlich gültige, das Leben bestimmende Überzeugung, die ein Mensch von sich selbst und seiner Welt hat - seine ureigene Fehlbeurteilung der Realität (in der Wahrnehmung des Gesunden). Sind wir deshalb schon nennenswert weiter?

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Kommentare zu diesem Text

saschka1976 (35)
(29.12.10)
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 loslosch meinte dazu am 29.12.10:
Der Wahn ist eine gültige Realität. Ja, für den Betroffenen. Es war als Anregung gedacht. Danke. Lothar

 Momo antwortete darauf am 30.12.10:
@saschka1976
Ich stimme deinem Kommentar zu. Der Wahn ist eine gültige Realität, für jeden Einzelnen und damit ist er auch Massenschicksal. "... ist da um uns etwas au zu zeigen!"
Stichwort: Drittes Reich

 EkkehartMittelberg (29.12.10)
Zu deiner Frage, Lothar: In der medizinischen Behandlung des Wahsnsinns sind wir nicht viel weiter gekommen. Aber mir scheint, dass wir darin vorsichtiger geworden sind, eine von der Mehrheitsmeinung total abweichende Ansicht umstandslos als Wahnsinn zu beurteilen.
Liebe Grüße von Ekki

 loslosch schrieb daraufhin am 29.12.10:
Die Definition eines kompetenten Psychiaters, von mir sprachlich nachpoliert. Bei der ständig abweichenden Meinung wäre (für mich) ein Indiz für Störungen gegeben, wenn Meinungen wie Handtücher gewechselt würden: Sprunghaftigkeit. Wir Laienpsychologen sind auf dem Vormarsch. :) Lothar

 EkkehartMittelberg äußerte darauf am 29.12.10:
Was du bescheiden als Meinung eines Laienpsychologen ausgibst, nehme ich als Kriterien für Störungen ernst. Manches ist auch ohne die Autorität großer Forscher evident.
Ekki

 Momo (30.12.10)
Die Gesellschaft besteht aus vielen einzelnen Menschen, von denen sie annimmt, dass die Mehrheit von ihnen gesund ist. Welch ein Segen!

Ich kannte einmal einen Menschen, der augenscheinlich ganz furchtbar gesund war.
Sein Wahnsinn trat erst dann zutage, als nichts mehr ging. Und auch das blieb folgenlos für seine Handlungsfreiheit, bis auf Schuldenberge, die Kappung persönlicher Beziehungen, Verlust der Wohnung …
Die Gemeinschaft muss so ein Verhalten akzeptieren, weil erst dann gegen den Willen des Wahnsinnigen eingeschritten werden kann, sobald sein oder das Leben anderer bedroht ist. Solange es sich nur um seelischen und finanziellen Kollateralschaden handelt, wird der Wahnsinn akzeptiert/muss er akzeptiert werden.

In diesem Sinne: einen guten Rutsch in ein gesundes neues Jahr.

 loslosch ergänzte dazu am 30.12.10:
Die Problematik ALLER Persönlichkeitsstörungen. Beim Alkoholismus glaubt jeder, mitreden zu können. Dort zumindest wisssen wir: Mit guten Worten geht gar nichts. Die Gratwanderung zwischen Willensfreiheit und öffentlichem Zwang.

Dir gleichfalls gute Wünsche zum neuen Jahr. - Sie sollten realistisch sein, um keine eigenen Schwächen bloßzulegen! :) Lothar
Graeculus (69)
(14.04.15)
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 loslosch meinte dazu am 14.04.15:
findest du auch auf s. 218f der aphos.
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