Brüder und Schwestern

Kurzgeschichte zum Thema Alltag

von  Wortsucht

Viele Automobilisten wünschen sich ein Cabrio – ich bin’s ... was gibt es Schöneres, als sich die Sonne ungebremst aufs Hirn scheinen zu lassen.
Neulich kam so ein kleiner Typ in den Laden, olivgrüne Bomber-jacke, Tarnhose, Springerstiefel und Sonnenbrand auf der höchsten Stelle ... „Tschau“ sagte er zu mir in einem freundschaftlich- kollegialen Ton. Ich sah in über meine Brille hinweg an. “Hmmm ...“ sagte ich. „Hast du reines, deutsches Bier?“ fragte er. Mit einer Kopfbewegung zeigte ich in die hintere Ecke, wo der Kühlschrank steht. Er marschierte zielstrebig los, holte seine Dose Bier und ging damit zur Kasse. Nachdem er bezahlt hatte, kam er wieder zu mir und sagte: „Ich wünsche dir einen erfolgreichen Tag, Kumpel!“ Hatte ihn die Sonne zu tief erwischt? „Kennen wir uns?“ frage ich. „Sind wir nicht alle Brüder und Schwestern? Fühlen und denken das Gleiche?“ „Manche mehr und manche weniger … ich nicht!“ antwortete ich ... Ich denke er verstand es nicht, aber er verließ den Laden wieder.
Ein paar Tage später betrat ein junger Mann den Laden; rosa Pulli, dezent geschminkt, tänzelnder Schritt ... Ich war an der Kasse und er säuselte: „Hey, geht es dir gut?“ „Kennen wir uns?“ frage ich. „Sind wir nicht alle Brüder und Schwestern? Fühlen und denken das Gleiche?“ Ich war kurz sprachlos … „Manche mehr und manche weniger … ich nicht!“ Sichtlich enttäuscht packte er seine Einkäufe ein und verließ den Laden wieder ...
Gleichentags, etwas später erschien (im wahrsten Sinn des Wortes) eine Familie im Laden. Frau, etwa 35 Jahre alt, graue Haare zum Zopf geflochten, weiße Rüschenbluse, langer, gestreifter Rock; er etwa zehn Jahre älter, grauer Bart, braune Manchesterhose, brauner Wollpulli; im Gefolge etwa sechs Kinder … auch sie kauften ein paar Dinge ein und an der Kasse sagte er mit fester Stimme: „Gott zum Gruß, mein Freund!“ „Kennen wir uns?“ frage ich. „Sind wir nicht alle Brüder und Schwestern? Fühlen und denken das Gleiche?“ „Manche mehr und manche weniger … ich nicht!“
„Mein Freund“, begann er „der Herr ist Allmächtig und gibt uns unser täglich Brot!“ (Und warum müsst ihr es bei mir im Laden kaufen?). „Ach so … also, wenn ich am Abend nach Hause komme, ist mein Brotkasten leer ...! Ich wäre schon froh, wenn euer Meister mein Brot so verstecken würde, dass ich es finde!“
Er war kurz davor, sich zu bekreuzigen, sie hatte in der Zwischenzeit eine Broschüre aus ihrer Tasche geholt und streckte sie mir entgegen: „Diese Worte werden sie auf den richtigen Weg führen!“ sagte sie mit milder Stimme. Ich nahm das Heft in die Hand und sagte: „ach, ein Plan, wo das Brot versteckt wird, cool ...!“
Ohne ein weiteres Wort verließen sie den Laden ... Mir ging der Satz nicht mehr aus dem Kopf: Sind wir nicht alle Brüder und Schwestern? … Ich möchte ein Einzelkind sein!


Anmerkung von Wortsucht:

Eine Geschichte aus dem Dorfladen

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Kommentare zu diesem Text


 Melodia (27.01.11)
*daumen hoch* lustig... und leider auf wahr... aber solange es einem nicht selbst widerfährt^^

lg
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