Der Versuch, über Zärtlichkeit etwas zu sagen

Text zum Thema Zärtlichkeit

von  tulpenrot

Wir hätten uns fast gestritten. Das kommt hin und wieder vor. Du bist so unbeugsam in deinen Ansichten, so steinfest in deiner Meinung. Da ist jedes Argument so an das andere gefügt wie die Schichten einer Felswand, die ich nur unter großen Anstrengungen erklettern kann, meist abrutsche oder hilflos hängen bleibe. Und manchmal sind sie unentwirrbar wie ein Dickicht, ein blickdichter Dschungel von Worten, Gedankenfetzen, Vermutungen und Behauptungen. Dann bin ich versucht, diesem Zustand mit einer wütend geschwungenen Machete zu begegnen und ihn zu beenden. Meist aber finde ich keine Zeit dazu, sondern suche unbeholfen nach einem Weg und nach geeignetem Werkzeug. Doch bevor ich so weit bin, postierst du weitere Behauptungen wie alte abgestorbene Baumriesen vor mir auf. Wie Schreckgespenster wirken sie, und ich stolpere fast über ihre unförmigen Bodenwurzeln, die unversehens meinen Fuß unsicher machen. So wenig vorbereitet fühle ich mich, so überrumpelt und verkleinert , dass ich ins Schweigen falle.
Du nutzt nun klug und umsichtig die Zeit, um dein Argumenten- Dickicht mit schlingpflanzenartigen Zusätzen zu umgeben. Durchkommen? Unmöglich.

Dennoch, auch das gibt es: Ich halte stand, ein wenig außer Atem zwar, aber es gelingt, kämpfe mich hindurch oder umklettere gefährliche Stellen. Nur nicht aufgeben! So wie heute Abend. Ich ringe nach Luft, bleibe zu guter Letzt einfach stehen und halte inne. „Du bist müde“, sagst du plötzlich und überraschend sanft. Und: „Gute Nacht“. Da werden die Schlingpflanzen zu einer Schaukel, die Blätter der zuvor unheimlichen Baumriesen zum weichen Lager und ihre Äste zum schattigen Gehäuse. Die zuvor unbezwingbare Wand rieselt unvermittelt als warmer feiner Sand herab. „Schlaf gut“, sagst du. Und deine Stimme hat alle Hast und Schärfe verloren.

Zärtlichkeit hat ihre eigene Art dem anderen zu vermitteln, welche Gefühle man für ihn bei sich beherbergt, jenseits der Fesseln des Verstandes und dessen Maßregelung. Ich fühle mich wohl eingebettet in deine Stimme, hingegeben an eine Stimmung, eine Gestimmtheit, eine unbestimmte Bestimmung, der ich nicht habhaft werden, der ich mich aber auch nicht entziehen kann. Sie tritt unaufgefordert ein wie ein willkommener stiller Überraschungsgast am späten Abend. Zwar wirkt sie nicht so sehr wie ein Pfeil, der sich treffsicher und nachhaltig in die Mitte meiner Seele eingräbt, sondern sie ist eher wie ein weicher Schal, ein duftiges Tuch, das mich schmeichelnd umhüllt, das ausgespannt zum Verweilen einlädt, in dem ich nun schaukele oder eher schwebe, ohne den Boden zu berühren.

Dieses Unbeschreibliche in Worte zu fassen, kann jedoch nur scheitern, kläglich enden. Es wirkt so erbärmlich wie Hühnergegacker gegenüber einem kunstvollen Minnegesang. Man möchte dahinschmelzen, würde meine Freundin sagen. Doch ich möchte die Worte anders wählen, nicht so profan. Dein „Gute Nacht, schlaf gut“ hat es verdient. Wenn ich es nur könnte!

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Kommentare zu diesem Text


 princess (02.12.11)
Steinfeste Meinungen und Überraschungsgäste sind mitunter weniger weit voneinander entfernt, als es den Anschein haben mag. Wobei das "sowohl ... als auch" der beiden recht verwirrend sein kann.

Zarte Worte hast du gefunden bei dem Versuch, über die Zärtlichkeit etwas zu sagen. Ich lese hier fast eine Liebeserklärung an das, was ist. Wie auch immer. Schön!

Liebe Grüße, Ira

 tulpenrot meinte dazu am 02.12.11:
Das ist ein schöner Kommentar, liebe Ira. Danke. In Vorbereitung auf andere Texte übe ich gerade ein bisschen, Gefühle zu umschreiben, Bilder zu erfinden und sprachlich daran zu feilen. Ich bin auch noch beeindruckt von einer Vorlesungsreihe hier an der Uni mit Brigitte Kronauer. Natürlich kann ich ihr nicht das Wasser reichen, aber Maler versuchen sich ja auch darin, Vorbilder zu kopieren, während sie ihren eigenen Stil entwickeln.
Ganz liebe Grüße
Angelika

 AZU20 (02.12.11)
Du kannst es. Ein zarter Text mit schönen Bildern. LG

 tulpenrot antwortete darauf am 02.12.11:
Das freut mich, wenn du das meinst. Danke für dein Lesen und deine Empfehlung!
Jonathan (59)
(03.12.11)
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 tulpenrot schrieb daraufhin am 03.12.11:
Du brauchst überhaupt nicht zu schnauben. Du nicht!! Dies hier ist nur eine Fingerübung .... vielleicht ....
Aber wenn du Respekt hast, dann ist es schon ein wenig in die richtige Richtung. Danke!!! ))
LG
tulpenrot
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