Noch immer vermittelt Jakes Crossroads Bar mit seiner whiskyfarbenen Tapete, den Retrolampenschirmen und dem aufgequollenen Eicheholz des Tresens das trügerische Gefühl einer behüteten Umgebung. Fremde sind niemals so offen und ich bin nicht auf eine solche Geschichte vorbereitet. Doch in ihrer Stimme liegt eine seltsame Ruhe. Etwas, das es mir unglaubwürdig erscheinen lässt, dass diese Frau jemals vor irgendetwas davonlaufen würde. Die matschige Olive ihres Martini liegt beinahe im Trockenen. Ich habe während ihrer Erzählung kaum an meinem Scotch genippt. Sie ist mehr als das, was sie vorgibt zu sein. Nach so vielen Jahren als Cop in Detroit erkennt man irgendwann, dass viel Schlimmes unter solch gelassenen Persönlichkeiten begraben liegen kann. Und während sie mit dem Ansatz eines Lächelns ihr Glas leert, verschwinden die letzten Spuren von Sorgenfalten auf ihrer Stirn.
„Hat es dir die Sprache verschlagen? Oder trinkst du endlich mal aus und erzählst mir von deinem Tag?“
Dass ihr Freund oder Ex-Freund Probleme mit den Schwergewichten der Stadt hat, muss dieser abgewrackte Cop wohl überhört haben. Nur mit den Behauptungen einer angetrunkenen Prostituierten kann und werde ich kaum die Zentrale informieren. In diesem Beruf weiß jeder, dass Vorsicht besser als Nachsicht ist. Doch rauchiger, alter Scotch fördert nach Dienstschluss nicht gerade die Arbeitsmoral eines alleinlebenden Cops Ende dreißig. Vielleicht kann etwas frische Luft meine Gedanken klarer werden lassen. Also trinke ich aus und versuche geistreich zu sein.
„Du hast recht, mit so was habe ich nicht gerechnet. Man geht durchs Leben, betrachtet die meisten Dinge und Menschen oberflächlich, strickt sich sein kleines Netz aus Vorurteilen und Vermutungen und glaubt, man wüsste alles über einen Fremden. Ich mach dir einen Vorschlag. Wir gehen etwas frische Luft schnappen und ich zahle dir ein Taxi nach Hause. Der Kerl dürfte sich mittlerweile beruhigt haben. Und wenn nicht, werde ich da sein.“
Etwas angespannt grübelt sie einige Sekunden lang vor sich hin und willigt schließlich ein. Vor der Bar stelle ich mich an den Rand des Oakwood Boulevard und halte einen Wagen an. Dass ich Polizist bin weiß sie noch nicht und mit Alkohol im Blut einen Streifenwagen zu fahren kommt nicht einmal nach einem solchen Tag in Frage. Also steigen wir in das Taxi und fahren in Richtung Lincoln Park.
„Ich kenne nicht einmal deinen Namen, aber falls du noch interessiert bist, verkürze ich uns die Fahrt mit einer Geschichte.“
Noch immer liegt der Geruch von Kirschen und süßem Martini in ihrem Atem. Und ein flüchtiges Lächeln huscht über ihre Lippen während ich zögerlich meine Geschichte beginne.