Lincoln Park - Teil 5

Kurzgeschichte zum Thema Begegnung

von  MrDurden

Wie sie bereits sagte, klein und bescheiden. Cleveland Avenue in Lincoln Park. Ein traumatisierter Cop trinkt schwarzen Kaffee mit einer Prostituierten in einer Wohnung, deren Mietkosten von einem südländischen Drogendealer mit leicht aggressiven Ambitionen beglichen werden. Wahrscheinlich ist er zur Vernunft gekommen, hat sich meinen Kollegen anvertraut oder ist mit seinen Problemen bereits über alle Berge. Wäre zumindest das Beste für ihn. Nur ein Kaffee, dann verschwinde ich.

„Hat es dir die Sprache verschlagen?“

Sie wirkt weder angespannt noch ist ihr die Situation unangenehm, seit ich ihr im Taxi von meinem Job erzählt habe. Im Gegenteil, sie scheint meine Gesellschaft mittlerweile zu genießen. Mit ihrer Tasse in der Hand setzt sie sich zu mir auf das durchgesessene Sofa und mustert mich während ein weiteres flüchtiges Lächeln über ihre Lippen huscht.

„Ich gebe zu, deine Geschichte hat mich ebenfalls überrascht. Ist es denn üblich, dass Beamte deines Reviers Huren nach Hause begleiten?“

Lächelnd nehme ich einen kräftigen Schluck und verneine. Noch eine Weile lang unterhalten wir uns über alles mögliche bis ich langsam müde werde. Der Tag hat mich doch ziemlich mürbe gemacht, also trinke ich aus und suche das Badezimmer bevor ich gehe. Als ich die verschrammte Holztür öffne, trifft es mich wie ein Schlag ins Gesicht. Geronnenes Blut klebt an den weißen Fliesen des Zimmers und inmitten einer dunkelroten Lache in der Badewanne liegen zwischen Hautfetzen und schwarzen Haaren zehn abgetrennte Männerfinger. Unter Schock presse ich meinen Rücken gegen die Wand des Hausflurs und suche hektisch nach meinem Handy während diese plötzliche Müdigkeit mich in die Knie zwingt und gelassene Schritte zielstrebig in meine Richtung kommen.

„Und es hat so gut angefangen mit uns beiden.“

Ein Ruck presst mich erneut gegen die Wand des Flurs. Blut strömt aus meinem Bauch. Es ist Davids Rasierklinge, doch ich spüre nichts.

„Beruhige dich, atme langsamer. Es ist gleich vorbei und ich sorge dafür, dass du nichts spürst.“

Mir wird schwarz vor Augen. Keine Chance, dagegen anzukämpfen. Der muffige Teppichboden ist getränkt mit meinem Blut. Und ihre Worte dringen nur dumpf zu mir durch.

„Ich habe gelogen, Cop. Weder als Mädchen, noch als Frau bin ich jemals weggelaufen. Bevor ich mein Elternhaus verlassen habe, ließ ich meinen Vater für alles bezahlen, was er seinem kleinen Mädchen angetan hat. Und bevor du ihn gefunden hast, ließ ich David für alles bezahlen, was er uns beiden eingebrockt hat. Du bist kein schlechter Mensch, Cop. Du warst nur zur falschen Zeit am falschen Ort.“

Sie hat diese Ruhe in ihrer Stimme. Wie viel Schlimmes kann unter einer gelassenen Persönlichkeit begraben liegen? Während sie mich im Arm hält, drückt sie die Klinge tiefer in meinen Bauch. Meine Augenlider werden schwerer und noch immer liegt der Geruch von Kirschen und süßem Martini in ihrem Atem. Ich kenne nicht ihren Namen, doch sie bleibt bis zum Ende bei mir. Cleveland Avenue in Lincoln Park, Detroit. Heute war ich da. Heute konnte ich sie beschützen.

Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Kommentare zu diesem Text

Jack (33)
(18.01.12)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 MrDurden meinte dazu am 18.01.12:
Da hast du recht. Ich finde es sehr schwierig Themen zu finden, die noch nicht erzählt bzw. noch nicht totgeredet wurden. Danke für das Lob, hab mich gefreut!

 kirchheimrunner (25.01.12)
gut! Der Schluß ist genial. Solche Stories mag ich.
L.G. Hans

 MrDurden antwortete darauf am 25.01.12:
Vielen Dank fürs Lesen und Kommentieren Hans! Freut mich, dass ich deinen Geschmack getroffen habe. Grüße, David.
bleibronze (65)
(29.01.17)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram