Lincoln Park - Teil 1

Kurzgeschichte zum Thema Begegnung

von  MrDurden

„Du siehst aus, als hättest du einen mindestens so harten Tag hinter dir wie ich.“

Für einen Augenblick hebt sie ihren gesenkten Kopf, wirft einen verächtlichen Blick in meine Richtung, wendet sich wieder ihrem Drink zu und versucht mich zu ignorieren. Oakwood Boulevard in Melvindale, Detroit. Whiskyfarbene Blumentapete, Retrolampenschirme und das aufgequollene Eicheholz des Tresens lassen Jakes Crossroads Bar das trügerische Gefühl einer behüteten Umgebung vermitteln. Doch zu einem sicheren Ort kann nicht einmal das Detroit City Police Department diese kaputte Stadt machen. Kurz nach 23:00 Uhr, der quietschende Hocker an der Bar ist in den letzten vier Wochen zu meinem Stammplatz geworden. Acht Stunden täglich in Lincoln Park ohne Partner Streife zu fahren ist ein Job, den man am ehesten mit altem, rauchigem Scotch am Abend erträgt. Das Eis in meinem Glas ist geschmolzen und die Olive in ihrem Martini zerfällt langsam zu einem kleinen, grünen Nichts. Ich kann mich nicht erinnern, wer von uns zuerst an der Bar saß, doch ihr unaufdringliches Parfum steigt mir seit mindestens einer halben Stunde in die Nase. Einen halben Meter links von mir schlängeln sich lange, schwarze Locken über hängende Mundwinkel und Sorgenfalten. Und alles, was ich gerade brauche, ist ein wenig Gesellschaft.

„Ist das deine Masche? Frauen in Bars nach ihrem Tag zu fragen, ohne eine konkrete Frage zu stellen?“

Während sie spricht, schweift ihr gelangweilter Blick über das verstaubte Schnapsflaschenregal vor uns. In den Kneipen dieser Gegend ist Augenkontakt zum Gesprächspartner kein Höflichkeitsstandard sondern ein seltenes Privileg. Und das Regal ist wirklich verflucht staubig.

„Wahrscheinlich ist das keine Neuigkeit für dich, aber in dieser Stadt braucht man mehr als eine Masche, um mit irgendjemandem ins Gespräch zu kommen. Also muss ich erst meine Waffe aus dem Auto holen, oder erzählst du mir freiwillig von deinem Tag?“

Ein unscheinbares Lächeln huscht über ihre weinroten Lippen während sie eine Locke aus ihrem Gesicht streicht und mir endlich in die Augen sieht.

„Die wenigsten Menschen hören gerne Geschichten ohne Happy End.“

Der Geruch von Kirschen und süßem Martini liegt in ihrem Atem. 93 Prozent der Menschen in einer Bar waschen sich nach dem Toilettengang nicht die Hände. Das Schälchen mit Erdnüssen zwischen uns rückt in weite Ferne und ihre Sorgenfalten werden langsam flacher.

„Solche Menschen trifft man auch nicht Dienstagabend um 23:00 Uhr in einer Bar in Melvindale zwischen Scotch und Urinerdnüssen. Also, ich bin ganz Ohr.“

Allmählich dreht sich ihr Barhocker in meine Richtung. Nachdenklich lässt sie ihren linken Zeigefinger über den Rand des Martiniglases wandern und zögerlich beginnt sie ihre Geschichte.

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Kommentare zu diesem Text

Jack (33)
(18.01.12)
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AronManfeld (43)
(20.01.12)
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 MrDurden meinte dazu am 21.01.12:
Das ist mit Abstand die schlechteste Kritik, die ich je bekommen habe, und ich bedanke mich dafür. Muss auch gestehen, dass ich bis zum heutigen Abend kein Wort von Bukowski gelesen habe und nach dieser neuen Erfahrung ein wenig beleidigt war. Denn trotz eines gesunden Maßes an Selbstkritik kann ich meine Schreibe nicht als "rüden, onanistischen Neon-Schmutz" bezeichnen bzw. als noch weniger griffig, wie du sie einschätzt. Einen schönen Abend wünsche ich dir.
(Antwort korrigiert am 21.01.2012)
bleibronze (65) antwortete darauf am 28.01.17:
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bleibronze (65) schrieb daraufhin am 28.01.17:
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bleibronze (65)
(28.01.17)
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