Die Elende

Bild zum Thema Mord/Mörder

von  Muuuzi

Die kleinen Winde wehten um die verdeckten, beinahe umhüllten Fenster, die keine Sicht in ihr Inneres preis zu geben vermochten. Immer weiter strickte die Alte an ihren Fäden. Ihr langes, graues und doch wunderbar geflochtenes Haar war alt und verdorben.

Niemand konnte ihren Atem hören, wenn sie von vergessenen Zeiten sang. Vergraben und versunken in ihrem kleinen Schaukelstuhl formte sie die glatten, dürren Fäden zu kurzen, weichen Ärmeln.
Die Pullover, die sie jeden Tag neu anfertigte, waren winzig und würden den Puppen passen, die die unjunge, beinahe schwerhörige Frau zu hunderten in ihrem Regal angehäuft hatte. Sie alle waren unbekleidet und trugen roten Lippenstift. Sie legte den fertigen Pullover zu den anderen und fing eine neue Strickerei an. Die Alte dachte an längst verdachte Stunden, die ihr Leben damals wunderbar erscheinen ließen. Die Kälte zog durch ihre dumpfen Glieder, beinahe so, als wäre es ihr ohnehin gleichgültig.

Die roten, aus Garn gestrickten Strümpfe verfehlten ihre dumme Wirkung als Beinwärmer. Zu Unrecht wurden sie als solche verkauft.

Die vermoderten Puppen starrten erkältet durch den Raum, ohne das Nirgendssein vergessen zu haben. Es schien dennoch so, als würden sie keine richtige Kälte kennen. Nackt spreizten einige von ihnen ihre Beine und blieben doch ungeniert im Regal sitzen. Wie Huren wurden sie dem offenen, großen Raum präsentiert. Die Alte sah nur ungern zu ihnen hoch. Zu sehr hasste sie den Staub, der auf ihnen klebte und sie verunstaltete. Doch säubern wollte sie sie nicht mehr. Dazu wurde sie im Laufe des Alters unfähig, da sie bereits vieles verdrängt zu haben glaubte.

Der rote Lippenstift kreiste um die Mundwinkel der Puppen, fast so, als wolle er damit die Frucht des Mundes erobern. Der Strich passte nicht zu den eigentlich lieblichen Puppen, die in früheren Zeiten wunderschön, edel und reich sein mussten.  Ihre Haare waren immer noch lang und lockig. Nur eine von ihnen hatte eine magere Glatze, die noch einige Haarbüschel zu erkennen ließ. 

Die alte Frau erhob sich aus ihrem Stuhl und sprach plötzlich: „Du musst jetzt endlich weg!“

Dann nahm sie eben diese grässliche und verunstaltete Puppe aus dem Regal und nahm sie mit ins Badezimmer. Erleichtert drehte sie den verrosteten Wasserhahn auf, der braunes Wasser aus seinen Rohren pupte, bis die schmutzige Wanne bis zum Rand gefüllt war. Dann legte sie die Puppe in die Brühe.

„Stirb, du Elende! Dich mochte ich nie!“

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Kommentare zu diesem Text


 EkkehartMittelberg (12.08.13)
Ein interessantes Bild für einen symbolischen Mord, der bei dem engen Verhältnis der Alten zu den Puppen einem echten sehr nahe kommt.
Stellenweise erscheint mir die Sprache, ohne für mich erkennbare Bedeutung, verschwurbelt, zum Beispiel:
"Die Kälte zog durch ihre dumpfen Glieder, beinahe so, als wäre es ohnehin gleichgültig." Kann der Kälte etwas bedeutend sein?
"...fast so, als wolle er damit die Frucht des Mundes erobern und bezwingen"
"die Frucht des Mundes bezwingen" Ik weeß nich.

Schön, nach langer Zeit wieder von dir zu hören, Muuuzi.
Liebe Grüße
Ekki

 Muuuzi meinte dazu am 12.08.13:
Danke für die Ausschwurbelung :) beim ersten habe ich das "ihr" vergessen. Und das "bezwingen" habe ich ganz gestrichen.
Danke auch für die Empfehlung! :) Und schön, auch wieder mal was von dir zu hören! :)
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