Einsam im Abendland, Teil 1

Essay zum Thema Diesseits/ Jenseits

von  LotharAtzert

Schon wieder mal alles verloren,
O, einsam im Abendland. ...
Wo bliebst du, die mich einst erkoren,
- Die Spuren verwehen im Sand.

Erinnerung, grüne Oase,
Was hatten wir damals uns gern.
Heut tröpfelt mir nur noch die Nase,
Der Rest, ein erloschener Stern.
(Supernova - 08.01. 2015)

Wolfgang Döbereiner (26.02. 1928 - 05.04. 2014) umschrieb den Begriff "Gefüge" einmal sinngemäß so: Der Baum, der Brunnen, der Geiger, die Geliebte, der Liebhaber usw. - verschiedenste Lebensarten kommen zusammen, um in der Zusammenkunft eine gemeinsame Heimat zu besiedeln. Jedes Einzelne ist dabei mitwirkender Teil des Ganzen.
Nimmt man, aus Willkür oder warum auch immer, eine Art hinweg, hinterläßt sie eine Lücke, welche weitere Teile instabil macht, so daß über kurz oder lang ein kompletter Lebensraum zugrunde geht.

Die moderne Einstellung ist die, daß man glaubt, entstandene Lücken nicht nur ausfüllen zu können, sondern sich auch nicht scheut, das Gewachsene gegen den Wuchs "verbessern" zu wollen. Gestalt, also das aus Lebenserfahrung Gewachsene, wird durch kalkulierende Herstellung ersetzt: Wo einst der Baum stand, der zahllose Wesen ernährte, auch Schatten, Luft zum Atmen und Früchte spendete, steht jetzt der Konsumtempel;  Brunnen  trocknen aus, obwohl die Wassermenge der Erde konstant bleibt, (die Polkappen schmelzen, tiefergelegene Landflächen gehen unter) dafür sponsern Coca Cola u. Co. Game-Shows; und die Liebe, die man vergebens im Privaten sucht, sucht man für Geld in diversen Single-Börsen oder sonstigen Dienstleistungsunternehmen. Die Liebe, das allerbarmende Umfangen ... für den Fall des Scheiterns, jedes Scheiterns, stehen staatsexaminierte Psychiater für unterschiedlichste Depressionen in den Startlöchern. Alles ist bestens geregelt.

An der Sprache merkt der Sensible, selbst schon Fossil: Funktionsbegriffe allenthalben, als Zeichen dessen, was untergeht - die Verwerter im "Kosmos" haben das Sagen. Den Begriff "Depression" mochte ich aus dem gleichen Grund nie. Eine Gebärende mag pressen. Aber der Schmerz und die Not, die durch den Untergang alles Gefügten heute rasant entstehen, den sollte man sich nicht auch noch durch die Verursacher behandeln lassen. So etwas nannte man früher "den Teufel mit dem Beelzebub austreiben".
Ich bleibe daher lieber bei Wehmut und Weltschmerz.

Gefüge sind nicht planbar. Dem Irrtum (Un-Fug im wahrsten Sinne des Wortes) sind schon viele Erfinder aufgesessen. Weil die Fügung sich nach dem richtet, was wir Datenbank oder Bestimmung nennen. Alles andere geht unter. Die Umsetzung menschlicher Kalküle - begradigte Flüsse per Gesetz wieder beschiefen, - "renaturieren" - dies nur als Beispiel für Lügebegriffe - wären überhaupt nur dann heilsam, wenn sie das ordnende Prinzip jener himmlischen Datenbank wieder zur Grundlage machten, andernfalls es bloße Vorstellung, bloße Worthülse bleibt.

In der sogenannten Datenbank wird jede einzelne Erfahrung gattungsgemäß abgespeichert und verändert die zukünftige Art dementsprechend. Das heißt es betrifft alle und jeden.
Doch von diesem Prinzip ist keine Rede mehr seit der sogenannten Aufklärung. Dabei ist nichts unvernünftiger, als die Vernunft über alles zu stellen, wie Kant und seine Nachbeter es im Abendland machen. Denn um auf das Richtige zu kommen, sind zahllose, mitunter schmerzhafte Umwege über das Falsche nötig.

Beim Untergang der Gefüge entstehen zwangsläufig Schmerz und Wehmut über den Verlust - bei all denen, die im Empfinden ursprünglich beheimatet waren.
Für den Dichter Novalis war, jedoch erst nach dem Tode Sophiens, "jeder Schmerz eine Erhöhung unseres Ranges". Weil das Leid nur zum Erleidenden auf diese ureigene Weise spricht: Du sollst nicht weltlichen Eitelkeiten hinterher rennen, sondern in dir selbst das wundersame Wirken des Himmels aufsuchen. Nur weil du dieses versäumtest, leidest du jetzt unter dem ursächlich Erwirkten."
Aber wie wenige hören doch diese Stimme ihres egenen Inneren, welche manchmal auch "Gewissen" genannt wird. ... und noch Wenigere befolgen seine Weisung ohne Widerspruch. ...

Wir selbst haben die Ursache für genau diese Wirkung in der Gegenwart gesetzt. Indem wir unser Schicksal nicht annahmen, sondern mit der Menge mitliefen, erschufen wir Eigendünkel und Meinung. - "Mein" - ein Wort, dessen Bedeutung dem Innehaltenden durch das Bild von der eigenen Dunkelheit leicht entschlüsselbar ist.
Und in der Gegenwart setzen wir so die Schmerzen von morgen, oder ... wir erkennen den Kreis von Ursache und Wirkung. Ein Kreis, der sich fügen will in die Urbilder, jener Kraftspender, wie sie die Antike gebar.

Mary Shelley fällt mir spontan dazu ein, der eine zeitgemäße Umgestaltung vom Titanen Prometheus zum Frankenstein gelang. 1818 erschien das Werk, zunächst anonym. Da haben Mary und Percy schon das Unheil durch die Wissenschaft deutlicher, als andere gesehen, eine Wissenschaft, welche Totes lebendig machen wollte, bzw. Automatismen und Normen in Gang setzte und gleich das passende Unwort "normal" aus ihrem beschränkten "Kosmos" schmissen: eins wie's andere für alle - das Ende der gefügten Welt.
Mary und Percy B. Shelley, Gordon Lord Byron, Novalis - alles Vegetarier, ich wollts nur am Rande erwähnt haben. ...

.

Möchtest Du einen Kommentar abgeben?
Diesen Text kommentieren

Kommentare zu diesem Text


 Regina (14.01.15)
Interessant zu lesen auf alle Fälle.
Möchtest Du einen Kommentar abgeben?
Diesen Text kommentieren
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram