Jetzt outet sich der Gedankenstrich

Satire zum Thema Denken und Fühlen

von  EkkehartMittelberg

Ich habe lange gewartet, weil ich ja die Denker begleite. Die stecken auch voller Skrupel, sind zögerlich und schwerfällig so wie ich.

Lesen Sie mal Texte von Denkern, in denen ich vorkomme. Die können noch Sätze bauen, schöne lange und Sie müssen mit ihnen über einen großen Bogen spazieren, bis sie endlich ans Prädikat gelangen.. In so einem Syntagma pressen sich die überschlagenden Gedanken und Sie als Leser werden schwindlig, weil sie meinen, Sie fallen aus dem Satzgewölbe. Aber manchmal hat der Syntaktiker ein Einsehen mit Ihnen, die Sie im Denken nicht so trainiert sind,  und er verwendet mich gleich zweimal und schafft eine sogenannte Paradontose, äh Parenthese, und dann haben Sie einen Moment Ruhe, glauben Sie jedenfalls, und Sie sind auf dem Kulminationspunkt des Denkens, und damit Sie nicht abhauen können, stehe ich links und rechts davor und dahinter und fessele Sie, auf dass Sie endlich einmal denken, und wenn Sie aus der Paradontose, äh Parenthese heraus gefunden haben, dann wissen Sie nicht mehr, was Sache war vor Zahnschmerzen, und Sie lesen wieder von vorne und schwupps sind Sie wieder bei der Paradontose gelandet  und endlich kommen Sie über den zweiten Gedankenstrich hinweg und ihre Gedanken drehen sich im Kreise  - jedenfalls denken Sie jetzt ganz intensiv -  und dann ist noch lange nicht Schluss und Sie retten sich über einige weitere Hypotaxen gedankenvoll, gedankenverloren ins Prädikat.

Sie haben es jetzt vielleicht gemerkt, dass ich zum Hochadel der Satzeichen gehöre und Ihnen das erhebende Gefühl gebe, sich etwas zu gönnen, was Sie sich sonst nicht leisten können in der Hektik des Alltags, in der Sie funktionieren müssen. Wo kämen Sie denn auch hin, wenn Sie dächten? Da haben die anderen alle schon längst Feierabend.  Aber Sie, wenn ich Sie aufgehalten habe und Sie kommen zu spät nach Hause und Ihre Gemahlin denkt schon Schlimmes über Sie und fragt Sie trotzdem ganz lieb, wie der Tag denn war, dann können Sie reinen Gewissens sagen: “Schatz, sei ganz beruhigt, ich bin mit meinen Gedanken auf den Strich gegangen, und stell dir vor, ich habe seit langer Zeit mal wieder gedacht, nur gedacht, verstehst du, und habe mich aus der Monotonie der alltäglichen Fantasielosigkeit erhoben.“

Dann wird Ihre Gemahlin zwar sauer und sagt vielleicht: „Jetzt meint die Schlampe auch noch, sie könne dir das Denken beibringen, ausgerechnet dir, der immer nur denkt, dass er denkt, ach könntest du doch nur fühlen, wie erbärmlich du bist. Aber diese falsche Verdächtigung ist Ihnen der erhabene Augenblick wert, in dem ich Sie mit meinen Parenthesen in die klare, unschuldige Luft des reinen Denkens entführt habe.
Ich weiß, Ihre Gattin redet immer von Gefühlen und dass Sie dazu nicht fähig seien, und im Büro behauptet Ihr Chef, Sie könnten nicht denken. Sie aber haben die clam-heimliche Freude, dass Sie Texte mit Gedankenstrichen lesen in langen schönen Syntagmen, von denen dieser BILD-Leser keine Ahnung hat.

Sie wissen mich zu schätzen, mich den raren Gedankenstrich. Stellen Sie sich einmal vor, wie gewöhnlich ich wäre, wenn ich ein Gefühlsstrich wäre. Diese Schmerzens- und Herzenslyrik, sie bestünde ja zur Hälfte aus Strichen und würde mich trivialisieren.

Aber Sie, lieber geduldiger Leser, haben mit mir die höchste Lust erlebt, zu der Menschen sich aufschwingen können, Sie waren mit mir auf dem Gedankenstrich.

© Ekkehart Mittelberg, Januar 2015

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Kommentare zu diesem Text

Graeculus (69)
(20.01.15)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 20.01.15:
Merci, Graeculus, schön, dass du die Ambivalenz des Strichleins erkannt hast.

 TrekanBelluvitsh (20.01.15)
Ein Hoch auf den Gedankenstrich! Aber auch Hochadel hat niedere Verwandte, in diesem Fall den Bindestrich. Den kennt selbst die BLÖD-'Zeitung' und verwendet ihn auch gerne, z.B. beidem Wort Kriegs-schiffe. Das bringt einen dann auch zum Nachdenken...

 EkkehartMittelberg antwortete darauf am 20.01.15:
Danke, Trekan. Mit ihrer durchschnittlichen Satzlänge von acht Worten kommt die Blöd-Zeitung ohne Gedankenstriche aus. Kein Wunder, dass sie nach solchen Kompensationen sucht. Freilich werden die ihre Exklusiv-Leser nicht zum Grübeln bringen.

 solxxx schrieb daraufhin am 20.01.15:
Ich war gerne mit auf dem Gedankenstrich und es ist bewundernswert zu was er dich inspiriert hat. So gesehen das bedeutungsvollste Satzzeichen, sofern man es nicht überliest und da möchte ich mich nicht unbedingt ausschließen.

 franky (20.01.15)
Hi lieber Ekki,

„Wo kämen Sie denn auch hin, wenn Sie dächten?
Da haben die anderen alle schon längst Feierabend.“

Da musste ich herzlich schmunzeln. Ein gelungener Text, der nur der Feder eines ehemaligen Lehrers entsprungen sein kann.

Gerne gelesen.

Herzliche Grüße

Von Franky

 EkkehartMittelberg äußerte darauf am 20.01.15:
Merci, Franky. Lehrer sind und bleiben die Weltmeister des Feierabends. Irgendwo müssen sie ja kompetent sein.

Geruhsame herzliche Grüße
Ekki

 toltec-head (20.01.15)
Ein blindes Rhinozeros, das auf einem Korn geht, gibt noch keinen Frühling. Aber gelungen.

 EkkehartMittelberg ergänzte dazu am 20.01.15:
Vielen Dank, Toltec, ich mache schon die Schwalbe.

 AZU20 (20.01.15)
Wie komme ich jetzt vom Gedankenstrich wieder runter? Gern gelesen. LG

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 20.01.15:
Danke, Armin, ganz behutsam abseilen, auf keinen Fall springen, die Fallhöhe ist zu groß. )

LG
Ekki
Gringo (60)
(20.01.15)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 20.01.15:
Es ist mir immer ein Vergnügen an dich zu denken, Gesine, auch wenn ich nicht auf dem Strich bin. Grazie!
Sätzer (77)
(20.01.15)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 20.01.15:
Merci, Uwe. Es ist das schönste Kompliment für mich, wenn ich amüsant schreiben konnte.

LG
Ekki
Steyk (61)
(20.01.15)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 20.01.15:
Der kleine Strich bedankt sich bei dir, Stefan. Er sit vor Stolz ein wenig länger und dicker geworden.

Herzlichst
Ekki

 Bergmann (20.01.15)
Sehr lohnend wäre ein Aufsatz zum Apostroph! Oder zur Parenthese (oder Klammer), zur Unterstreichung oder zu den Auslassungspünktchen ... kommt bestimmt alles noch oder ist bereits Bestandteil deines opus

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 20.01.15:
Merci für diese Anregungen, Uli. Vielleicht gelingt es mir ja, daraus etwas zu machen.

LG
Ekki

 Bergmann meinte dazu am 20.01.15:
i-Punkt, äöü-Pünktchen, Trema, Accent aigu/grave, Çedille, - ein weites Feld tut sich da auf. Du könntest dann eine Allgemeine Feldtheorie der Interpunktionszeichen etc. schreiben, über die Philosophie der Zeichensemantik ... vielleicht in Form einer kv-Soap.

 Bergmann meinte dazu am 20.01.15:
i-Punkt, äöü-Pünktchen, Trema, Accent aigu/grave, Çedille, - ein weites Feld tut sich da auf. Du könntest dann eine Allgemeine Feldtheorie der Interpunktionszeichen etc. schreiben, über die Philosophie der Zeichensemantik ... vielleicht in Form einer kv-Soap.
Silvi_B (48)
(20.01.15)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 20.01.15:
Den nehme ich dankbar entgegen, Silvi, kann er doch bekömmlicher nicht gewürzt werden.

Liebe Grüße
Ekki

 TassoTuwas (22.01.15)
Der Gedankenstrich hat die fatale Angewohnheit sich in Bandwurmsätzen wohl zu fühlen. Je länger, je gedankenstrichiger.
Ich werde wohl die nächsten drei Tagen damit verbringen, mich aus der Verhedderung zu befreien.
Allerdings mit einem langen Schmunzeln.
Herzliche Grüße
TT

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 22.01.15:
Merci, Tasso, ja, in Bandwurmsätzen fühlt er sich wohl und amüsiert sich über Verhedderungen. Aber ich bin sicher, dass du dich als alter Fährtenleser befreieen wirst.

Herzliche Grüße
Ekki

 Alias (29.01.15)
ich liebe die parenthese(n) — im gegensatz zur paradontose, muss unbedingt zum zahnarzt — und verwende sie sehr sehr oft. es gibt keinen ersatz für sie — und auch für deine satiren nicht — obwohl der... (die drei vielsagenden pünktchen liebe ich auch, verwende aber kein leerzeichen vor ihnen, weil es blöd aussieht) — einfache bindestrich zu einfach ist. Besser ist der lange halbgeviertsstrich und für ganz verwegene der geviertsstrich, der flotte vierer unter den bindestrichen.
sehr anregend das thema — für mich jedenfalls.
lieben gruß von ingrid

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 29.01.15:
Merci, Ingrid, wieder etwas gelernt. Ich werde zukünftig kreativer mit den Bindestrichen umgehen.

liebe Grüße
Ekki

 Regina (04.02.15)
Die Erfindung des Gefühlsstrichs finde ich sehr genial, den müsste man für die nächste Rechtschreibreform vorschlagen, ich schlage vor, ihn ähnlich der geschweiften Klammer, aber horizontal zu schreiben. Für Lyrik sehr passend.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 04.02.15:
Merci, Regina, wir können es ja mal ausprobieren mit dem Gefühlsstrich. Nicht auszudenken, was man in den hineinprojezieren kann.
CoffeeTin (34)
(04.02.15)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 04.02.15:
Merci, da machst du bestimmt keinen Fehler.
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