Der sterbende Künstler

Skizze zum Thema Tragik

von  tulpenrot

2. Version

Reichlich getrunken habe er von den Farben der Welt, sogar von Betrug und Hinterhalt erzählt er mir. Und ich denke: Seinen Gemälden hat er sein langes bewegtes Leben eingehaucht. Alle Welt kann in ihn hineinblicken und seine Welt schaut heraus. Seine Leidenschaft hat er veräußert. Er wurde reich und ist dennoch arm.

Was bleibt von seinen Ausflügen in die Welt der nackten Körper und verführerischen Formen? Was bleibt von seinen Erkundungsreisen in fremde Menschengesichter? Hat er etwas erkannt in seinen Selbstbildnissen?

Seine Erinnerungen seien nun gefüllt mit zerbrochenen Beziehungen, erzählt er, die unter der Last seines Drängens gelitten haben. Sein Leben geriet ins Schlingern. Wer trägt meine Schuld? fragt er mich, als ob ich die Antwort wäre.

Wir Betrachter tragen sie doch nicht, denke ich erschrocken. Wir waschen uns  nach dem Betrachten der Bilder, die die Blöße und Schönheit der anderen zeigen, die Hände.

Er habe reichlich verdient damit, man bezahlte ihn gut, wiederholt er. Und nach einer kleinen Pause ergänzt er, dass er seine Bilder überhöht sehen möchte, sie hätten eine Botschaft. Sie sollten kein billiges Spiel mit Farben und Formen sein.
Wer mag darüber entscheiden? frage ich mich.

Einsam lebt er inmitten seiner Kunst. Seine einstige Liebe wurde in einem sterilen Krankenzimmer untergebracht. Sie kennt ihn nicht mehr. Die Leinwand bricht nun, die Farben bröseln, die Tuben vertrocknen.

Niemand wurde geboren, um die Stimme rechtzeitig zu erheben, als der Sturm tobte, die Gefühle zu straffen und sie wie ein Segel in den Wind zu setzen, das Boot zu retten, bevor der Mast brach und das Schwert vom Bootsboden weggerissen wurde. Niemand entriss dem Tod das Ruder aus der Hand, denke ich traurig. Oder warnte zwar ein einzelner Leuchtturm mit müdem Licht, doch der rettende Hafen war nicht in die Seekarte eingezeichnet?
Was aber hilft es jetzt noch?



1. Version

Reichlich getrunken hat er von den Farben der Welt, sogar von Betrug und Hinterhalt, erzählt er mir. Und ich denke: Seinen Bildern hat er sein Leben eingehaucht, alle Welt blickt hinein und schaut heraus. Seine Leidenschaft hat er veräußert. Er wurde reich und ist dennoch arm.

Ich frage mich: Was bleibt von seinen Ausflügen in die Welt der nackten Körper und verführerischen Formen? Was bleibt von seinen Erkundungsreisen in Menschengesichter? Was hat er erkannt in seinen Selbstbildnissen?

Seine Erinnerungen seien nun gefüllt mit zerbrochenen Beziehungen, erzählt er, die unter der Last seines Drängens gelitten haben. Sein Leben geriet ins Schlingern wie bei einem Boot, dem der Mast gebrochen ist und das Schwert unterm Bootsboden weggerissen wurde, das es auf Kurs halten sollte. Oder es ist, wie wenn ein Leuchtturm warnt, aber der rettende Hafen ist nicht in die Seekarte eingezeichnet worden und der Kompass nicht eingenordet. Ist es so? frage ich mich.

Wer trägt meine Schuld? fragt er.

Wir Betrachter tragen sie nicht. Wir waschen uns  die Hände nach jedem Bild, das die Blöße und Schönheit der anderen zeigt, denke ich.
Er habe reichlich verdient damit, man bezahlte ihn gut, wiederholt er. Er möchte seine Bilder überhöht sehen, sie hätten eine Botschaft, sagt er. Sie sollten kein billiges Spiel mit Farben und Formen sein.

Wer mag da entscheiden? frage ich mich.

Die Leinwand bricht nun, die Farben bröseln, die Tuben vertrocknen. Seine einstige Liebe wurde in einem sterilen Krankenzimmer untergebracht. Sie kennt ihn nicht mehr.
Niemand wurde geboren, um die Stimme rechtzeitig zu erheben im Sturm,  die Gefühle zu straffen und sie wie ein Segel in den Wind zu setzen, das Boot zu retten. Niemand entriss dem Tod das Ruder aus der Hand, denke ich traurig.


Anmerkung von tulpenrot:

1. Bearbeitung am 10.07.2017
Der Text ist noch frisch - Bearbeitungsphasen folgen

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Kommentare zu diesem Text


 AZU20 (05.05.17)
Aber er hatte doch sein Leben, in dem er erfolgreich war, oder? LG

 tulpenrot meinte dazu am 05.05.17:
Ja, aber er war verzweifelt bei unserem Gespräch. Ich saß hilflos daneben und wusste nicht zu antworten, mir kam auch nur sehr Widersprüchliches in den Sinn. Seine Bilder gefallen mir sehr. Aber sein persönliches Leben scheint eine Katastrophe gewesen zu sein, so weit ich es verstanden habe. Mir geht das alles schon seit Wochen sehr nach.
Danke für dein Interesse.
LG
(Antwort korrigiert am 05.05.2017)

 GastIltis (05.05.17)
Liebe Angelika, dein Text ist sehr intensiv. Er zeigt, dass du zuhören kannst, dich in Menschen hinein zu versetzen vermagst. Ja, wer wenn nicht du? Verstehen? Das ist etwas anderes. Ein Künstler, nicht jeder, ist anders. Muss vielleicht anders sein. Und seine Beziehungen sind es auch. Meistens. Dass du an dem Text noch arbeiten willst (musst?), ist anzunehmen. Er arbeitet noch zu sehr in dir. Eine leichte Aufgabe? Gewiss nicht. Dennoch: gutes Gelingen. Wünscht dir Giltis.

 tulpenrot antwortete darauf am 05.05.17:
Danke für diesen Kommentar! Er ist etwas besonderes. Danke auch für das Sternchen, das mich ermutigt.
Es beschäftigt mich immer wieder, wie Menschen ihr Leben leben, gelebt haben, wie sie damit zurecht kommen oder scheitern, nicht immer in der gleichen Intensität, sicher nicht. Aber hin und wieder doch. Und dann möchte ich die passenden Worte dafür finden, nicht zu viele, aber genügend ... Vielleicht gelingt es ja mit der Zeit.
LG
Angelika

 EkkehartMittelberg (05.05.17)
Es ist für den Außenstehenden schwer zu beurteilen, ob deine Skizze den sterbenden Künstler wirklich trifft. Aber sie ist sprachlich so differenziert und ausgefeilt, dass man es glauben möchte.
LG
Ekki

 tulpenrot schrieb daraufhin am 05.05.17:
Danke für deine Rückmeldung und das Sternchen. Mehr kann ein literarischer Text nicht liefern, denke ich, nämlich eine Idee von dem, was da beobachtet, geredet und gedacht wurde. Es ist ja kein detailliertes Protokoll.
LG
Angelika

 Irma (05.05.17)
Künstler waren schon immer und sind auch heute oft leidende Kreaturen. Sie kranken an der Welt, leiden an Depressionen. Man könnte sie als Arme bezeichnen, obwohl sie reich sind. Reich oder überreich an Emotionen, die sie in ihren Kunstwerken (ganz gleich ob Malerei, Musik, Dichtkunst) zum Ausdruck bringen.

Die Welt stürzt sich begierig auf ihre Ergüsse. Aber nur wenige Künstler haben das Glück, dass ihre Werke schon zu ihren Lebzeiten gewürdigt werden. Brotlose Kunst eben. Den meisten werden Ruhm und Ehre erst lange nach ihrem Verscheiden zuteil.

Wer zum Schaffenden geboren ist, wird sein Los auf sich nehmen müssen, so wie Jesus sein Kreuz. Niemand kann raus aus seiner Haut. Ein Künstler MUSS malen, MUSS musizieren, MUSS schreiben. Es ist ihm innerstes Bedürfnis. Auch wennn ihn seine Umwelt für verrückt erklärt. Nur dadurch lässt sich das Entstehen all unserer bekannten Kunstwerke erklären.

"Der sterbende Künstler" wäre in meinen Augen also jemand, der nicht mehr schaffen kann. Der seine Fähigkeit, Kunst zu erschaffen, verloren hat. Solange er das aber noch kann, lebt er. Und lebt vielleicht sogar noch lange nach seinem Tod weiter. Selbst wenn in diesem Moment die Farben zu bröseln und die Leinwände zu vertrocknen scheinen. LG Irma
(Kommentar korrigiert am 05.05.2017)

 tulpenrot äußerte darauf am 05.05.17:
Das scheint wirklich sehr häufig der Fall zu sein. Es sind Menschen, die in Extremen leben und arbeiten. Ich erschrecke immer wieder aufs Neue, wenn ich ein solches Leben betrachte.
Danke für deine eindrücklichen Gedanken dazu und deine Auszeichnung für meinen Text.
LG
Angelika

 franky (05.05.17)
„Seine Erinnerungen seien nun gefüllt mit zerbrochenen Beziehungen, erzählt er, die unter der Last seines Drängens gelitten haben. Sein Leben geriet ins Schlingern wie bei einem Boot, dem der Mast gebrochen ist und das Schwert unterm Bootsboden weggerissen wurde, das es auf Kurs halten sollte. Oder es ist, wie wenn ein Leuchtturm warnt, aber der rettende Hafen ist nicht in die Seekarte eingezeichnet worden und der Kompass nicht eingenordet. Ist es so?“

Was du da schreibst liebe Angelika, lässt mich den Atem anhalten und innehalten im Laufe des gewöhnlichen Alltags. Innehalten und zustimmend den Kopf nicken, nicht alles verstehend aber erahnend

Herzliche Grüße

Von

Franky

 tulpenrot ergänzte dazu am 05.05.17:
Nun, ich wollte die Verhältnisse nicht so unbedingt platt beim Namen nennen, sondern umschreiben, sodass sich der Leser ein ungefähres Bild machen kann und er Raum hat für eigene Assoziationen. Oder ist das zu schwierig? Verlang ich vom Leser zuviel?
Danke für dein freundliches Kopfnicken und Atemanhalten und die Sterne!
LG
Angelika

 TassoTuwas (05.05.17)
Und wenn es wahr ist, dass nur aus dem Chaos etwas Großes, Wunderbares entstehen kann.
Und wenn du dann den Künstler fragst, möchtest du um den Preis der Verzweiflung unsterblich werden.
Ich glaube, ich weiß was er antworten wird!
Liebe Grüße
TT

 tulpenrot meinte dazu am 05.05.17:
Der Preis ist wahrlich hoch bei ihm. Seine Schilderung hat mich erschüttert. Ob er unsterblich ist? Seine Werke werden ihn auf jeden Fall überleben und noch lange die Betrachter erfreuen.
LG und vielen Dank
Angelika
P.S. Aber er verbringt seine letzten Tage und Stunden in großem Zwiespalt.
(Antwort korrigiert am 05.05.2017)

 AlmÖhi (01.01.18)
Eine melancholische Reflexion über Kunst und Leben, Kunst und Liebe, Kunst und Tod. Wie es aussieht, ist die Kunst trotz leidenschaftlicher Anstrengung am Ende allen dreien nicht gewachsen.

 tulpenrot meinte dazu am 02.01.18:
Ja, so sieht es aus. Jedenfalls ist die Suche nach Sinnerfüllung, nach Leben, die trotz großer Kunst in diesem von mir beschriebenen Menschen nicht zum Ziel gekommen.
Vielen Dank für die Beschäftigung mit meinem Text und die Empfehlung!
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