Kaffee am Morgen

Kurzgeschichte zum Thema Achtung/Missachtung

von  RainerMScholz

Dieter trank seinen Kaffee mit viel Zucker und Milch aus einem Pappbecher am Currywurststand von Samed, der schon am frühen Vormittag geöffnet hatte und ihm manchmal eine misslungene oder zu braun gebrannte Wurst mit Ketchup einfach so über die Theke reichte. Die Leute strömten mit Plastiktüten und Einkaufstaschen behängt wie Ebbe und Flut vor den Geschäftszeilen, hinein und heraus, gehetzt und schaumumflorten Blickes, griffgierig, geldbeutelhaltend, `rein und `raus, `rein und `raus. Er nippte an dem heißen Kaffee, der Pappbecherrand feuchtete durch. Am Stehtisch gegenüber stand eine mit einer riesigen buntbestickten Umhängehandtasche bewehrte Dame und aß eine Wurst. Dabei telefonierte sie fahrig gestikulierend und scheinbar aufgeregt. Dieter trank seinen Kaffee. Er war gerade mit seinem Sachbearbeiter aus der Fischerfeldstraße fertig geworden, vielmehr der Sachbearbeiter mit Dieter.
„Tut mir leid, aber ich habe mir noch nichts zum Frühstücken beschaffen können.“
„Wollen Sie vielleicht `mal abbeißen?“
Der Sachbearbeiter wedelt mit seinem Mettbrötchen mit Zwiebeln in Dieters Richtung, der auf einem Stuhl mit Stahlbeinen vor seinem Schreibtisch sitzt.
„Nein, war nur ein Scherz,“, er lacht, „kommen wir zu Ihrer Akte.“
„Ja.“
„Was?“
„Kommen wir zu meiner Akte.“
„Sie haben die Fortbildungsmaßnahme abgebrochen.“
„Ich kann schon meinen Namen buchstabieren und selbständig ankleiden kann ich mich auch schon.“
„Wie meinen Sie das?“
Ein roher Hackfleischbrocken fällt dem Sachbearbeiter unbemerkt in die Tastatur.
„Die Fortbildungsmaßnahme wird von unzureichend ausgebildeten Fortbildern durchgeführt, eingestellt von einem Fortbildungsanbieter, der nur auf die staatlichen Fortbildungsgelder aus zu sein scheint, aber nicht auf die Fortbildung selbst.“
Der Sachbearbeiter hinter seinem Computerbildschirm schaut Dieter kritisch in die Augen, nein, nicht direkt in die Augen, eher auf eine Stelle an seiner Kehle oder seiner Schulter.
„Wie meinen Sie das?“
„Es geht darum, dass...“
„Sie müssen schon deutsch mit mir reden.“
Dieter schreckt perplex auf.
„Der sitzt da und liest uns Witze aus der Bildzeitung vor, über die er...“
„Sie müssen schon deutsch mit mir reden.“
„Entschuldigung,“, Dieter schluckt, „ich konnte mir noch kein Frühstück...“
„Also,“ der Sb beißt in sein Hackbrötchen, „da Sie die von uns finanzierte Maßnahme vorzeitig und ohne Begründung abgebrochen haben, sehen wir uns leider gezwungen...“
Er redete weiter und weiter. Dieter dachte an den Kaffee im Pappbecher, den er jetzt gerade trank.
Die Frau mit der riesigen Handtasche sprach weiter in ihr Telefon, anscheinend mit einer Freundin. Ihre blonden Haare saßen wie ein Helm auf ihrem Kopf, sie hatte offensichtlich Kleider der gehobenen Klasse am Leib und professionell manikürte Fingernägel. Sie beschwerte sich vehement bei ihrer Telefonfreundin über die verwahrlosten Zustände in der Innenstadt.
„Dann ist der mir auch noch nachgelaufen und hat immer gerufen: he, he, nur einen Euro, Madame. Madame hat er gesagt und ist mir immer noch hinterher. Und gestunken hat der. Ich bin dann zum Douglas `rein oder H&M, ich kann`s Dir nicht mehr sagen, vor lauter Aufregung.“
Sie redete immer weiter und erboste sich immer mehr. Dieter sah die Wurst in ihrer Hand und sein Magen knurrte.
Endlich war das Telefonat beendet. Sie packte das schicke Mobilfunkteil in ihre riesige Tasche und verspeiste den Rest ihrer Mahlzeit. Mit drei Papierservietten wischte sie sich ab und schickte sich an zu gehen. Dieter warf den Becher in den Müll, winkte Samed und folgte ihr. Schnellen Schrittes querten sie durch das Menschengetümmel die Zeil, stießen an der Hauptwache, vorbei an den fahrenden Panflötenspielern, auf die Schillerstraße und betraten das Parkhaus in der Taubenstraße zwischen Börsenplatz und Eschenheimer Ring, wo die Müllcontainer auf der Straße standen und man auf den Hundekot und das Spritzbesteck neben dem Bürgersteig achten sollte. Dieter stand mit ihr in dem engen, muffigen, diffus nach Urin riechenden Aufzug. Sie sah ihn kurz in dem verdreckten Spiegel, der an der Aufzugwand hing, an, sah auf ihre Uhr, hinunter zu den Schuhen und an die tiefe Decke. Auf dem dritten Parkdeck stiegen beide aus. Das Tageslicht streute durch die Zaunmaschen, die die Tauben abhalten sollten, und die Betonschlitze, blauer Abgasnebel strich durch die Notausgangstüren, Reifengummi war auf  die Asphaltdecke radiert. Vor einem metallicgrauen Mercedes A-Klasse hantierte sie mit den Autoschlüsseln, die Warnlichter blinkten einmal kurz auf, und Dieter trat an die Frau heran und hielt ihr ein Messer vor das Gesicht.
„Los, einsteigen!“
„Was? Hilfe, ich...“
„Einsteigen! Sofort!“
Er zeigt ihr das Messer.
„Ich stech´ Dich ab.“
Er drängt sie vor das Steuer des Fahrzeugs, öffnet den hinteren Verschlag und steigt mit ihr ein. Die Türen schließen sich. Er greift nach vorne zu den Armaturen und betätigt die Notverriegelung.
„Ich habe nichts, bitte, ich...“
„Halt`s Maul! Gib mir deine Handtasche, los!“
Er zieht die Handtasche, die sie an den Körper gedrückt hält, zu sich auf den Rücksitz. Er schlitzt die Rückwand des Fahrersitzes auf, hält ihr die Messerspitze an den Rücken, „Spürst du das?!“, und fesselt sie mit dem Anschnallgurt an die Haltevorrichtung für Bügelhemden. Er durchsucht ihre Handtasche und nimmt sich ihre Wertgegenstände.
„Hast Du noch `was dabei? Los, sag schon!“
„Nein, bitte, nehmen Sie sich doch...“
Er tastet ihren Körper ab, zieht ihre Ringe von den Fingern und öffnet die Halskette vorsichtig im Nacken. Sie sagt nichts, macht nur erschreckte Geräusche, wenn er sie unvermittelt berührt und atmet schwer und zu schnell. Dieter steckt alles ein. Er beugt sich nach vorne und durchsucht das Handschuhfach. Dabei berührt er mit dem Ellenbogen ihre Brust. Er denkt kurz nach, sieht nach draußen. Er kann ihren Büstenhalter durch die zerrissene Bluse sehen. Dieter klettert von der Rückbank nach vorne. Er setzt sich auf ihren Schoß und greift ihr zwischen die Beine, um den Hebel zum Zurücksetzen des Sitzes zu finden. Dieter schiebt sie auf dem Sitz zurück bis zum Anschlag. Er öffnet den Schlitz seiner Hose und nimmt seinen Penis heraus. Sie sieht ihn mit großen Augen an, ihr Lidschatten ist verwischt. Er bewegt sich auf ihr vor und zurück, vor und zurück. Dieter versucht sein Glied in sie zu drücken und gleichzeitig ihre Brust zu halten, doch die Ejakulation beschmutzt schon ihre Kleider. Er zieht den Reißverschluss wieder zu, nimmt das erbeutete Diebesgut von der Rückbank, klettert von der Frau herunter auf die Beifahrerseite und steigt wortlos aus. Dieter ging zum Aufzug und verließ das Parkhaus.
Draußen regnete es, als er auf die Straße trat, und auf der Schillerstraße Richtung Alte Oper liefen die Leute in die Cafés und Bars, um nicht nass zu werden.


©  Rainer M. Scholz

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Kommentare zu diesem Text

mannemvorne (58)
(30.09.17)
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 RainerMScholz meinte dazu am 02.10.17:
Tote Clowns lachen leiser.
Gruß + Dank,
R.
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